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Die Ukrainerin Olha Charlan trat bei der WM gegen die Russin Anna Smirnowa an.

© dpa/Tibor Illyes

Ukraine gegen Russland im Sport: Der gespielte Frieden

Der Eklat bei den Fecht-Weltmeisterschaften zeigt, wie schwierig der Umgang mit russischen und ukrainischen Athleten ist. Das Internationale Olympische Komitee muss sich deshalb endlich klar positionieren.

Ein Kommentar von Katrin Schulze

Die Symbolik hätte aufgeladener kaum sein können. Da stehen sich zwei Frauen gegenüber, von Angesicht zu Angesicht, jede mit dem Säbel in der Hand. Die eine aus Russland, die andere aus der Ukraine. Gegner auf der Planche bei der Fecht-Weltmeisterschaft in Mailand, Feinde im politischen Weltgeschehen.

Als die ukrainische Top-Favoritin Olha Charlan nach ihrem Sieg im Gefecht ihrer russischen Kontrahentin den Handschlag verweigerte, wurde sie disqualifiziert. So wollen es die Regeln der Fechterinnen und Fechter. Anna Smirnowa, die Russin, trat daraufhin in den Sitzstreik. Und schon war er da, der große Eklat bei einer Veranstaltung, die sonst außerhalb der kleinen Sportszene nur wenige interessiert.

Hatte denn ernsthaft jemand geglaubt, dass das gut verlaufen könnte und der russische Angriffskrieg einfach vergessen wird, sobald auch nur ein sportlicher Wettkampf beginnt? Wenn dem so sein sollte, dann war es mindestens naiv – man könnte auch sagen: grob fahrlässig. Sport kann niemals unpolitisch sein.

Wer sich auf die Aussage zurückzieht, Veranstaltungen mögen unabhängig und autark sein, der ignoriert die Kraft und Faszination, die seit jeher von Wettwerben ausgeht oder hat die Geschichte und Geschichten vergessen.

„Sensibilität“ der Sportverbände – was soll das sein?

Die Geste der Black-Power-Bewegung auf dem olympischen Podest von Mexiko 1968, die gegenseitigen Boykotts von Amerikanern und Russen bei den Olympischen Spielen in Moskau und Los Angeles im Kalten Krieg, den Kniefall der Solidarität im American Football, die Debatte um die Regenbogenflagge bei der Fußball-WM der Männer in Katar, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Das Internationale Olympische Komitee verlangt nach der jüngsten Normalitätssimulation von den Sportverbänden nun mehr „Sensibilität“. Was das genau heißen soll, weiß es vermutlich selbst nicht so genau. Immerhin hat es bisher eine klare Stellungnahme dazu vermieden, wie es sich die Teilnahme von russischen, belarussischen und ukrainischen Athleten künftig bei Olympia vorstellt – wie sie geschützt und integriert werden können und wie überhaupt ein kameradschaftlicher Umgang miteinander möglich sein soll.

Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris dribbelt sich IOC-Präsident Thomas Bach weiter darum herum, Verantwortung zu tragen. Dass er lieber die Rolle des Chef-Diplomaten übernimmt, als sich klar zu positionieren, wird seines Amtes nicht gerecht. Bach mag die Hoffnung auf ein bisschen Frieden in seiner vermeintlich schönen, heilen Sportwelt haben. Aber ein bisschen Krieg gibt es eben nicht.

In ihrer Heimat fallen die Bomben und nach einem Turnier sollen die Ukrainer den Russen bitteschön die Hände schütteln. Ein Gegner im Krieg darf kein Feind auf dem Sportfeld sein? Als ob Athletinnen frei von all dem sind, was mit ihrem Land, mit ihrer Familie und Freunden passiert. Nein, Frieden kann man nicht spielen. Das demonstrierte auch Ihor Rejslin bei der Fecht-WM: Der Ukrainer trat zu seinem Duell gegen den Russen Wadim Anochin gar nicht erst an.

Neutrale Flagge bedeutet nicht auch Neutralität

Russische und belarussische Fechterinnen wie jetzt in Mailand unter neutraler Flagge starten zu lassen, ist deshalb nur sehr oberflächlich betrachtet ein Zeichen von Neutralität oder gar Solidarität. Selbst Innenministerin Nancy Faeser sah sich bemüßigt, sich in gebotener Deutlichkeit zu äußern. „Russland hat im Moment im internationalen Sport nichts zu suchen. Die volle Solidarität des Sports muss der Ukraine gelten“, twitterte sie.

Jeder Hobbysportler wird nachvollziehen können, wie frustrierend es sein mag, aus politischen Gründen von Veranstaltungen ausgeschlossen zu werden. Vier Jahre lang rennen, rudern oder ringen die Top-Athleten darum, einmal auf großer olympischer Bühne aufzutreten. Und dann soll jede Mühe umsonst gewesen sein. Das ist nicht fair.

Doch die Frage ist, ob es darum geht, wenn nicht nur um Medaillen, sondern buchstäblich um Leben und Tod gekämpft und jeder Fairplay-Gedanke missachtet wird. Sollten die Russen irgendwann wieder die eigenen Grenzen und die Souveränität anderer Länder akzeptieren, können sie vielleicht, und auch nur vielleicht, darauf hoffen, dass ihnen die Ukrainer nochmal die Hand reichen.

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