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Deutschland könnte sich für die Ausrichtung der Olympischen Spiele bewerben. Thomas Härtel verspricht sich davon Verbesserungen für die Sportinfrastruktur in Berlin.

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Sportbund-Chef wirbt für Berliner Olympia-Bewerbung: „Wir würden gerne mit München und Warnemünde ins Rennen gehen“

Schlägereien im Schwimmbad, marode Spielstätten und eine anstehende Olympiabewerbung: Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes, über die Baustellen und Chancen der Hauptstadt.

Herr Härtel, jüngst suspendierte Absteiger Hertha BSC seinen Torwart, weil er im Trainingslager in Österreich einen Einheimischen krankenhausreif prügelte. Man muss schon einiges aushalten als Hertha-Mitglied, wie Sie es sind …
Das stimmt. So ist das nun einmal. Ich bleibe aber meinem Verein in schwierigen Zeiten treu, auch wenn ich manchmal Ärger und Wut im Bauch habe. 

Schlägereien sind im Berliner Sport zurzeit ohnehin das Thema. Trifft Sie das?
Sie meinen die tätlichen Übergriffe im Columbiabad und auf Berlins Fußballplätzen. Natürlich trifft mich das. Ich bin der Präsident des Landessportbunds. Mich muss das treffen, sonst wäre ich der Falsche in dieser Position. Vor allem aber will ich helfen, dass der Sport seinen Beitrag leistet, dass es zu diesen Vorfällen gar nicht erst kommt.

Der Präsident eines Berliner Fußballvereins sagte im Interview mit dem Tagesspiegel: „Was Familie und Schule nicht hinbekommen, sollen wir im Sportverein lösen.“ Trifft er den Punkt? 
Nein, weil man es sich mit der Einstellung zu einfach macht. So bewegt sich nichts. Richtig ist, dass der Sport alleine nichts ausrichten kann. Aber in Zusammenarbeit mit Kita, Schule und auch mit den Eltern eben schon. 

Was können die jährlich sich wiederholenden Eskalationen im Columbiabad unterbunden werden? 
Es ist nicht so, dass bislang nichts dagegen unternommen wurde. Es gibt beispielsweise das Projekt „Bleib cool am Pool“. Jugendliche und Erwachsene werden zu Konfliktlotsen ausgebildet. Sie haben häufig einen besonderen Zugang zu der Community im Bad, die Probleme macht. Das hilft sehr, die hier ehrenamtlich Engagierten wirken deeskalierend. 

Aber offenbar nicht genug. 
Das stimmt. Es wäre aber ungerecht, von den Konfliktlotsen zu erwarten, dass sie diese Probleme alleine lösen. So funktioniert es nicht. Es braucht mehr dazu. Auch der Sport allein kann nicht helfen. Aber er kann einen Beitrag leisten, Brücken bauen, Zugang zu Communities verschaffen, Kontakte zu den Familien knüpfen. Aber klar, die Meldungen der vergangenen Wochen treffen uns wie Blitze, eben weil wir so viel Arbeit und Energie in dieses Thema reinstecken. 

Wie wäre es mit weniger programmatischen, sondern eher schnellen, pragmatischen Lösungen, um derlei Ausschreitungen in den Bädern zu verhindern? 
Ich bin Mitglied des Aufsichtsrats der Berliner Bäder-Betriebe und sage immer wieder, dass ich das Anzeigenverhalten und die ausgesprochenen Hausverbote für zu lasch halte. Ich verstehe zum Beispiel auch nicht, warum die Hausverbote immer nur für das eine Bad und nicht für alle Bäder Berlins ausgesprochen werden. Das würde sicher schon etwas bewirken. 

Sind sie manchmal traurig über das Medienecho? Die breite Masse liest viel von den Schlägereien, wenig über die Bedeutung der Sportvereine in Berlin. 
Es ist vollkommen richtig, dass über diese Probleme berichtet wird. Aber klar, ich habe schon auch den Wunsch nach Darstellung dessen, was der Sport alles leisten kann.  

Erzählen Sie doch mal. 
Der organisierte Sport verbindet, integriert. Mit unseren Programmen und Projekten wie „Sportbunt – Vereine leben Vielfalt!“ und „Integration durch Sport“ sowie mit unserer Sportjugend Berlin leisten der LSB und die Sportvereine Unbezahlbares für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Ich sehe es oft. Es gibt zum Beispiel Veranstaltungen unserer Sportschule, bei denen Übungsleiter:innen mit Fluchterfahrung ihre erworbenen Lizenzen erhalten. Allein in Berlin gibt es inzwischen 220 davon. Diese Menschen kommen mit ihrer ganzen Familie, sie sind gerührt, haben Tränen in den Augen. Sie schaffen so viel für die Gesellschaft.

Bei Berlins Bädern ist der Sanierungsstau besonders groß.
Bei Berlins Bädern ist der Sanierungsstau besonders groß.

© dpa/Fabian Sommer

Der organisierte Sport lebt von seinen Ehrenamtlichen, die langsam aussterben. Wer unter 40 will heute noch Kassenwart oder Schriftführer in einem Verein sein?
Das ist ein Problem. Die Jüngeren sind eher projektorientiert, sie finden Themenfelder wie Digitales, Nachhaltigkeit oder große Events wie die jüngst in Berlin ausgetragenen Special Olympics spannend. Unsere Hoffnung ist, dass sie sich über solche Projekte auch langfristig in den Vereinen einbringen. Die rund 20.000 Volunteers der Special Olympics etwa wollen wir gezielt anschreiben und für das Ehrenamt gewinnen. 

Außerdem lebt der Sport von seinen Sportstätten. In Berlin sieht es nicht gut aus. Haben Sie schon einmal die Außentoiletten im Jahn-Sportpark besucht? 
Nein, Ihrer Frage entnehme ich, dass man das besser nicht tun sollte. 

Blick aufs Jahn-Stadion in Pankow.
Blick aufs Jahn-Stadion in Pankow.

© mauritius images / Bildagentur-online/Schoening / Alamy

Richtig.
Ich habe aber schon andere Sanitäranlagen auf Berliner Sportanlagen aufgesucht, die in einem erschütternden Zustand waren. Das ist auch ein Problem in Berliner Schulen. All das hat mit dem Sanierungsstau, teils aber auch etwas mit Vandalismus zu tun. Gerade für Ältere ist das kaum hinnehmbar. Sie schreckt man mit mangelhaften sanitären Einrichtungen ab. 

Sie sprechen den Sanierungsstau an.
Er beträgt aktuell 380 Millionen Euro. 

Das ist immens.
Es gibt aber Hoffnung. Stichwort Sportanlagensanierungsprogramm und Masterplan Sportinfrastruktur. 

Das Problem ist: Jedes Bad, das saniert werden muss, muss geschlossen werden.

Thomas Härtel, Chef des Landessportbundes

Kommt jetzt der Millionenregen für die Berliner Sportstätten?
Es ist vieles in der Schublade. In der Koalitionsvereinbarung sind die Pläne verankert. Der Masterplan soll die Entwicklung der Sportstätten in der Stadt für den Profi- und Spitzensport ebenso wie für den Amateur- und Breitensport als gesamtstädtisches Konzept sicherstellen und vorantreiben. So steht es in der Vereinbarung. 

Klingt gut, aber Pläne für den Berliner Sport gab es schon viele. Umgesetzt wurde oft wenig bis nichts. 
Dass die Sportinfrastruktur in Berlin verbessert werden muss, steht parteiübergreifend außer Frage. Es darf nicht sein, dass – wie zurzeit der Fall – viele Eltern ihre Kinder nicht in die Sportvereine schicken können, weil es zu wenig Hallen und Plätze gibt. Ich denke, in den nächsten anderthalb Jahren wird vieles passieren. Außerdem profitieren wir von der Schulbauinitiative. 360 Hallenteile werden neu gebaut. Und auch mit dem Bädervertrag sind wir auf einem guten Weg. Hier ist der Sanierungsstau besonders groß. Das Problem ist: Jedes Bad, das saniert werden muss – und das sind viele in Berlin – muss auch geschlossen werden. 

Im Paracelsus-Bad in Reinickendorf wird seit Sommer 2019 gebaut. Die Wiedereröffnung wurde schon mehrfach verschoben.
Im Paracelsus-Bad in Reinickendorf wird seit Sommer 2019 gebaut. Die Wiedereröffnung wurde schon mehrfach verschoben.

© imago/Jürgen Ritter

Marode Sportstätten gibt es in Berlin nicht nur im Breitensport.
Das ist leider richtig. Das Jahn-Sportpark-Stadion muss gebaut werden und auch Sanierungen im Olympiapark und im Sportforum Hohenschönhausen sind dringend erforderlich. Wir wollen dort das Stadion drittligatauglich machen. Es fehlen in Berlin aber auch Sportstätten, gerade im mittleren Segment, also Hallen und Stadien mit einer Kapazität von drei- bis viertausend Sitzplätzen. Wir brauchen neue Sportstätten für Teams wie die Spreefüxxe, die Frauen von Alba Berlin und auch eine Wasserballarena für die Wasserfreunde Spandau.  

Denken Sie, dass eine Olympiabewerbung hier helfen kann? 
Eine Olympiabewerbung wäre sicher ein Katalysator für solche Bauvorhaben. 

Für Teams wie die Spreefüxxe werden neue Sportstätten gebraucht, sagt Sportbund-Chef Thomas Härtel.
Für Teams wie die Spreefüxxe werden neue Sportstätten gebraucht, sagt Sportbund-Chef Thomas Härtel.

© imago/Lobeca

Daher also die Bewerbungsabsichten. 
Für mich ist das nicht der Hauptgrund. Mich persönlich begeistern Olympische Spiele und Paralympics. Ich denke, das geht vielen Menschen so. Ein positiver Effekt wäre, dass sich die Sportinfrastruktur in dieser Stadt verbessern würde, genauso wie die öffentlichen Verkehrsmittel. 

Olympia-Bewerbungen in Deutschland sind eine Geschichte von Pleiten und Pannen. Was macht Sie zuversichtlich, dass das dieses Mal anders wird? 
Tatsächlich auch das Internationale Olympische Komitee. Die Anforderungen an die Bewerber sind jetzt andere. Es soll auf nationaler Ebene kein teurer Wettstreit mehr mit anderen Städten stattfinden, sie können sich sogar auch gemeinsam bewerben. Das spart viel Geld. 

Ja, aber zuerst müsste sich Deutschland auf eine Ausrichterstadt einigen.
Auf Ausrichterstädte. Auch das ist neu. Es können und sollen sich sogar mehrere Städte eines Landes bewerben. Weil das nachhaltiger ist und dann nicht so viel neu gebaut werden muss. 

100 Jahre nach den Propagandaspielen wollen wir zeigen, dass wir ein demokratisches Land sind.

Thomas Härtel über eine Olympia-Bewerbung

Mit wem würde sich Berlin gerne bewerben? 
Ich sage hier offen, auch wenn der Deutsche Olympische Sportbund noch keine Festlegung wünscht, dass wir gerne mit München in das Rennen gehen wollen. Zudem mit Warnemünde. 

Können Sie das erklären? 
Berlin und München haben zum einen schon olympische Erfahrung und zum anderen zusammen mit Warnemünde schon 100 Prozent der Sportstätten, die es für die Ausrichtung bräuchte.  

Teils marode Sportstätten. 
Die ohnehin saniert werden müssen. Warnemünde wäre für Berlin mit einem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur verknüpft. Berliner träumen von einer schnellen Verbindung an heißen Tagen an die Ostsee. Olympia könnte das möglich machen.

Blick aufs Olympiastadion in Berlin. Finden hier 2036 Olympische Spiele statt?
Blick aufs Olympiastadion in Berlin. Finden hier 2036 Olympische Spiele statt?

© IMAGO/EIBNER

Die Hindernisse dahin sind groß. Da wäre die Bevölkerung … 
… die zuletzt in Deutschland die Olympia-Zustimmung verweigerte. Die Dialoginitiative „Deine Ideen, Deine Spiele“ ist die richtige. Etwas ablehnen kann man immer, aber dann sollte man sich besser konstruktiv einbringen. Diese Chance gibt es nun. Wir wollen die Gesellschaft diesmal mehr einbinden, ihr nicht einfach etwas vorsetzen. Und das IOC lässt mit seinen neuen Bestimmungen der Gesellschaft mehr Spielraum als zuvor. 

Und dann wäre da das kritische Datum 2036.
Das ich für eine Chance halte. Wir wollen gerne 100 Jahre nach den Propagandaspielen zeigen, dass wir ein aufgeschlossenes und demokratisches Land sind. Außerdem wäre es komisch, wenn sich Deutschland für dieses Datum ohne Berlin bewerben würde. Berlin muss dann aufs Spielfeld. 

Vor allem aber: Afrikanische und arabische Länder wollen erstmals Sommerspiele. Die Chancen für sie sind deutlich besser, dass sie 2036 den Zuschlag bekommen als ein europäischer Bewerber. 
Das bleibt abzuwarten. Aber wenn das IOC seine eigenen Anforderungen ernst nimmt, dürften autokratische Länder wie zum Beispiel Katar oder Saudi-Arabien nicht für Olympische Spiele infrage kommen. Der Sport sollte schon ein Zeichen setzen, dass bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen erfüllt sein müssen, um Ausrichter von Großveranstaltungen zu sein. 

Das war in der jüngsten Vergangenheit überhaupt nicht der Fall. Im Gegenteil, je weniger Demokratie, desto größer die Sportveranstaltung, siehe Katar oder China. 
Das ist richtig. Rückblickend ist das frustrierend. Aber wie gesagt: Die Ausrichtung des IOC ist nun eine andere. Und vielleicht kann Thomas Bach ein bisschen helfen, auch wenn er bei der Entscheidung darüber nicht mehr IOC-Präsident sein wird. 

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