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Zwei Brüder, ein Ufer. Auch der Dokfilm „Oasis“ von Justine Martin wird bei den Sehsüchten gezeigt.

© Louis-Emmanuel Gagné-Brochu

Potsdamer Studierendenfestival beginnt: Sehsüchte erkunden Grenzerfahrungen

Unter dem Motto „New Shores“ werden bei der 52. Ausgabe 180 Filme aus 37 Ländern gezeigt. Auch das Event selbst betritt neue Ufer: die Schiffbauergasse.

Manchmal merkt man erst an neuen Ufern, wie schwer Gepäck ist, das man mitgebracht hat. Dem Jungen Bekes in „Killing Bagheera“ ergeht das so, ein Kurzfilm, der im Rahmen der Sehsüchte laufen wird. Bekes ist mit seinem älteren Bruder Alan aus Syrien geflohen. Durch Unterholz bis kurz vor die europäische Grenze. Durch ein meterhohes Plastikrohr wollen sie ans neue Ufer kriechen, ins ersehnte Europa. Bekes hat Angst, aber Alan bestimmt. Sie krauchen hinein. Drinnen ist es der Ältere, der in Panik verfällt und weint. Wieder am Licht, versucht Bekes den Bruder zu trösten. Was er dafür bekommt: eine Ohrfeige.

Das Festival wird von rund 50 Studierenden organisiert, 14 von ihnen stellten die 52. Ausgabe im Filmmuseum vor.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Vom 19. bis 23. April findet das Studierendenfestival, das größte Europas, zum 52. Mal statt. „Killing Bagheera“ von Muschirf Shekh Zeyn ist als einer von sieben Filmen für den Preis „Beste Produktion“ nominiert. Er führt nicht nur programmatisch vor Augen, wie politisch aufgeladen das diesjährige Sehsüchte-Motto „New Shores“ (Neue Ufer) ist. Der Kurzfilm illustriert auch, was Luca Perschul aus dem Team für das Hauptprogramm als kleinsten gemeinsamen Nenner der über 900 Einreichungen formuliert: „Es wird in den Filmen generell viel über Heimat geredet. Oft geht es um Disruptionen im positiven Sinne. Um Fragen nach Aufbruch.“

Es wird in den Filmen generell viel über Heimat geredet. Oft geht es um Disruptionen im positiven Sinne. Um Fragen nach Aufbruch.

Luca Perschul, Hauptprogramm der Sehsüchte

„New Shores“, das bezieht sich bei den Sehsüchten 2023 auf Neuerungen in der Preisstruktur (es gibt zwei neue Preise für „Künstlerische Leistungen“ und die neue Sektion „Sehsüchte Special“), vor allem aber auf den Ort. Das neue Ufer, zum dem sich das Festival aufmacht, hat einen konkreten Namen: Schiffbauergasse. Es wagt sich raus aus dem Filmuni-Campus und bespielt jenseits von Thalia-Kino und Filmmuseum diesmal auch Waschhaus und Theaterschiff.

„Wir sind ein Publikumsfestival“, sagt Joana da Silva Düring vom Team Eventprogramm. „Von daher ist es uns wichtig, dass wir so viele wie möglich erreichen. Wir freuen uns sehr über ein neues Publikum aus Potsdam.“ Dass in den letzten Jahren nur wenige Potsdamerinnen und Potsdamer den Weg zum Festival schafften, ist kein Geheimnis. Das soll mit dem neuen Standort anders werden. Auch die Preisverleihung findet nach zwei hybriden Jahren wieder vor Publikum und gänzlich analog statt: im Filmmuseum.

„La herida luminosa“ von Christian Avilés war bei der Berlinale 2023 zu Gast, nun ist der Kurzfilm bei den Sehsüchte zu sehen.

© ESCAC Films

180 Filme aus 37 Ländern

Wer die Riege der elf Vertreterinnen und Vertreter auf der Pressekonferenz nebeneinandersitzen sieht, bekommt eine Ahnung von der Dimension dieses Festivals: Rund 50 Menschen wirken an der Organisation mit, von der Gesamtkoordination über Jury- und Gästebetreuung bis hin den einzelnen Sektionen, in denen Preise verliehen werden. Zehn sind es in diesem Jahr, darunter erstmals ist das Goethe-Institut als Förderer für Reisekosten mit an Bord - und das Kulturministerium ist nach über zehn Jahren als Festivalförderer wieder mit dabei: Immerhin 15.000 Euro gibt es dazu.

Insgesamt gezeigt werden 180 Filme aus 37 Ländern, Deutschland und Kanada, aus Taiwan und Ecuador. Sie alle einen „Grenzerfahrungen, politische oder persönliche“, sagen die Macherinnen und Macher. Die können privat, fast intim sein wie das dokumentarische Geschwisterporträt „Oasis“ von Justine Martin, das die Grenzen, oder vielmehr deren Verwischung, zwischen Behinderung und Nicht-Behinderung anhand eines Zwillingspaares beschreibt.

Eine ganz andere Grenzerfahrung, inhaltlich wie stilistisch, ist „La herida luminosa“ von Christian Avilés, nominiert als „Bester Spielfilm“. Von außen gesehen beschreibt er den Weg eines depressiven britischen Teenagers, der auf den Balearen von einem Hotelbalkon fast in den Tod springt. Durch eine radikal subjektive Erzählweise aber ist er auch: das Psychogramm eines Sonnensuchers. Das Ufer, nach dem er sich sehnt: unerreichbar.

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