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Bei der Telefonseelsorge bleiben nicht nur die Anrufenden, sondern auch die Ehrenamtlichen anonym. (Symbolfoto)

© Andreas Klaer

„Probleme richten sich nicht nach dem Kalender“: Warum ein Brandenburger auch zu Weihnachten für die Telefonseelsorge im Einsatz ist

Christian spricht bei der Telefonseelsorge Potsdam mit Menschen in großen und kleinen Nöten. Das Ehrenamt hat ihn bereichert und verändert, sagt der 62-Jährige.

Weihnachten, das bedeutet für viele ein gemütliches Beisammensein im Familien- oder Freundeskreis. Christian hingegen wird während der Feiertage zumindest eine Schicht lang allein in der Dienststelle der Telefonseelsorge Potsdam sitzen und Fremden sein Ohr leihen. Der richtige Name des 62-Jährigen soll hier nichts zur Sache tun. Anonymität ist den Ehrenamtlichen bei der Telefonseelsorge wichtig – und sei im Sinne der Anrufenden, erklärt er. Denn vielleicht würde der eine oder andere in einer Notsituation eben nicht zum Hörer greifen, wenn er wüsste, dass sein Nachbar am anderen Ende sitzen könnte.

Christian ist seit rund drei Jahren dabei. Ursprünglich aus dem Badischen kommend, lebte und arbeitete er zuletzt in Leipzig, bevor er 2020 mit seiner Frau vor die Tore Potsdams zog. Er setzte sich beruflich zur Ruhe, war aber nicht auf Nichtstun aus, sondern suchte nach einer sinnvollen Aufgabe. Für die Telefonseelsorge sah er sich mit einem Talent gewappnet: „Mit Leuten reden, auch in schwierigen Situationen.“

Bei der halbjährigen Ausbildung und dem von erfahrenen Kolleginnen begleiteten Einstieg in den Telefondienst relativierte sich der Blick auf die eigenen Fähigkeiten: „Ich habe gemerkt: Ja, ich kann etwas mitbringen, aber mir fehlt auch noch viel.“ Nicht immer gleich bewerten und urteilen, sondern erstmal zuhören. „Beziehungsfördernde Kommunikation ist etwas anderes als Kommunikation“, sagt er.

Ein Lokführer hatte einen Menschen überfahren

An einen der ersten Anrufe, den er allein entgegennahm, erinnert er sich gut: Ein Lokführer, der einen Menschen überfahren hatte und damit nicht klarkam. „Es war erschütternd“, sagt Christian. Auf den Umgang mit solchen extremen Fällen – zum Beispiel auch Anrufende mit akuten Suizidabsichten – werden die Telefonseelsorgenden genau vorbereitet. Es gibt einen Notfallordner, zu dem sie im Ernstfall greifen können.

Wenn jemand einsam ist, ist er vor und nach Weihnachten auch einsam. 

Christian, ehrenamtlich tätig bei der Telefonseelsorge

In aller Regel sind die Anrufe aber viel weniger dramatisch, sagt Christian: „Oft geht es um ganz alltägliche Themen; Einsamkeit oder das Unvermögen, mit den eigenen Probleme zurechtzukommen.“ Manch einer ruft jeden Morgen einfach an, „um den Tag mit einer gewissen Struktur zu starten“.

Für Christian dauert eine Schicht vier Stunden. Zwischen den Anrufen kann er bei Bedarf kurz Pause machen, um das Gehörte zu verdauen, macht sich zum Beispiel einen Tee. „Dann stellt man wieder auf Empfang.“ Dinge, die ihn nicht loslassen, bespricht er einmal im Monat bei der Supervision.

Eine Weihnachtsschicht übernimmt er in diesem Jahr zum ersten Mal. Für seine Familie sei das kein Problem gewesen. Dass sein Einsatz sich von anderen Tagen groß unterscheidet, glaubt er nicht. „Wenn jemand einsam ist, ist er vor und nach Weihnachten auch einsam. Probleme richten sich nicht nach dem Kalender.“ Die Arbeit der Telefonseelsorge sei an den 364 anderen Tagen im Jahr genauso wichtig.

Er selbst habe sich durch das Ehrenamt verändert. „Ich habe heute einen anderen Blickwinkel aufs Leben“, sagt Christian. „Am Telefon ist man viel weniger voreingenommen, viel offener, lässt Dinge näher an sich herankommen.“ Und man erkenne, dass auch bei jemandem, der vielleicht einen dummen Fehler gemacht hat, „ein Mensch dahinter steckt“.

Gefragt danach, welchen Rat er den Potsdamerinnen und Potsdamern zu Weihnachten mit auf den Weg geben würde, antwortet er: „Mehr aufeinander zu achten, auf die kleinen Dinge.“ Es gebe heute oft eine Art Empörungshaltung gegenüber der Welt: „Wir sind so empört, alles ist empörend“, beschreibt er es. „Aber wir sind alle ein Stück weit verantwortlich für das, was um uns passiert – jeder kann etwas machen.“ Die Verantwortung für den Nächsten liege immer auch bei einem selbst: „Diese Botschaft ist mir wichtig, das ganze Jahr über.“

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