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Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister von Tübingen

© Christoph Soeder/dpa

Nach N-Wort-Eklat: Das meint die Tagesspiegel-Community zu Palmers Austritt bei den Grünen

Auf die Aussagen des Tübinger Oberbürgermeisters in Frankfurt folgt eine Welle der Empörung. Zu Recht? Das schreiben unsere Online-Leser zum Fall Palmer.

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Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer provozierte auf einer Frankfurter Konferenz zum Thema Migration mit umstrittenen Äußerungen.

Palmer nutzte vor der Veranstaltung in einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gruppe mehrfach das N-Wort. Als er mit „Nazis raus“-Rufen konfrontiert wurde, sagte er zu der Menge: „Das ist nichts anderes als der Judenstern.“

Eine Welle der Empörung traf Palmer. Sogar enge Weggefährten wie sein Anwalt Rezzo Schlauch wandten sich von ihm ab. Als Reaktion auf die Debatte um seine umstrittenen Äußerungen hat Boris Palmer nun angekündigt, sich eine Auszeit zu nehmen, und ist bei den Grünen ausgetreten.

Auch unsere Leserinnen und Leser diskutieren kontrovers über den Fall. Darf man das N-Wort grundsätzlich nicht verwenden? Wird Boris Palmer ungerechtfertigt Rassismus vorgeworfen? Hier präsentieren wir Ihnen eine redaktionelle Auswahl von Leserkommentaren.


Derverwalter
Natürlich ist Palmer kein Rassist. Er provoziert aber offenkundig gern, indem er verbal eigentlich gesellschaftlich akzeptierte Grenzen überschreitet. Damit stellt er sich als Gesprächspartner selbst ins Abseits. Das ist schade und unnötig.


Bouillon01
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das N-Wort auch von Afroamerikanern untereinander gebraucht wird! Sogar die schlimmere Form das Ausdrucks! Es geht darum, dass es die Machtverhältnisse spiegelt, wenn es ein weißer, privilegierter Mensch zu einem dunkelhäutigen Menschen sagt! Es kommt auf die zugrunde liegenden Machtverhältnisse an, darin liegt die Brisanz.


Upps2000
Ne, er ist kein Heiliger. Hat er auch nie behauptet. Aber die Diskussion ist wirklich absurd geworden. Wenn es nicht möglich ist, rassistische Äußerungen zu zitieren, wenn man über sie spricht, wird es absurd. Der Magieglaube bei der Benutzung einzelner Wörter ist schon beeindruckend.

In der Vergangenheit wurde das Ne-Wort im Gegensatz zum Ni-Wort durchaus auch nicht rassistisch verwendet. Vielleicht aus Unwissenheit, vielleicht aus Ignoranz. Aber der Vater von Pippi Langstrumpf und der junge Eisenbahner mit der stets kaputten Hose waren nun doch sehr positive Figuren.

Auch das M-Wort war sicher klischeebeladen, aber Apotheken werden typischerweise nicht mit Schimpfwörtern bezeichnet. Auch die heiligen 3 Könige sind ja doch nicht so die Negativfiguren. Rassismus ist absolut widerlich, wird aber sicher nicht auf diese Weise bekämpft.

Herr Palmer steht lang genug in Verantwortung, kann irgendwer eine rassistische Handlung aufführen? Oder hat doch viel für Flüchtlinge erreicht? Bedauerlich, dass er so über das Stöckchen gesprungen ist, das ihm da hingehalten wurde.


TuniFynn
Für einen Austritt bedarf es einer Portion Reflexionsvermögen. Für mich wirkt Palmer nicht wie einer, der diese Kompetenz hat. Denn ansonsten hätte er nicht immer wieder ähnliche Äußerungen von sich gegeben, „wohl wissend“, was diese bei vielen bewirken und selbst in seiner Partei zu Konflikten führen.


FrankNFurter
Palmers Ausführungen zu Sachthemen gehören zum Sach- und Fachkundigsten, was man in Deutschland überhaupt zu hören bekommen kann. Beispielsweise seine sehr differenzierten Ausführungen zu Fernwärme als Netzwerktechnologie versus individuelle Ausstattung mit Wärmepumpen. Auch seine Darstellungen zu ganz pragmatischen Fragen in Flüchtlingsfragen sind so angenehm unideologisch und differenziert. Er hat für Flüchtlinge in Tübingen ganz pragmatisch mehr getan als all seine geifernden Gegner in Summe.

Natürlich hat sich Palmer auch ungeschickt angestellt, aber wenn jemand wie er nun schon seit einiger Zeit von einem Mob richtiggehend gejagt wird, zudem jemand mit seinem familiären Hintergrund, dessen Großvater bereits als Jude gejagt und denunziert wurde und dessen Vater sich zeitlebens gegen Antisemitismus aufgelehnt hat, dann versteht man vielleicht, warum ein so kluger Mensch wie Palmer ab und an die Nerven verliert.

Umgekehrt: Hätte jede Stadt in Deutschland einen Bürgermeister vom Format eines Boris Palmer, würde es Deutschland auf vielen Gebieten wesentlich besser gehen. Jetzt ist er zur Strecke gebracht.


Antigone12
Man darf gespannt sein, was Palmer jetzt in petto hat. Er weiß um seine Beliebtheit und rechnet mit einer Welle der Empörung gegenüber denen, die ihn haben fallen lassen. Das wiederum schafft ihm weitere Sympathien. Er ist zu klug, um einfach nur hinzuwerfen.


Perdue
Es ist absurd, dass Palmer zu Recht auf die Erfahrungen seiner Vorfahren mit den Nazis verweist, aber offenbar zu keiner Empathie mit anderen Menschen fähig ist, deren Vorfahren ebenfalls schlimmstem Rassismus über Jahrhunderte ausgesetzten waren.
Im Video ist zu sehen und zu hören, wie Palmer das beleidigende N-Wort einem Schwarzen ins Gesicht sagt. Der hatte ihn gefragt, ob er ihm das auch sagen würde. Palmer hat, und der Mann ging still weg. Ich finde das eine unglaubliche Szene. Respektloser geht es kaum.


Lilli90
Das verpönte Wort ist durch den seltsamen Begriff „N-Wort“ ersetzt worden, der aber nichts anderes bedeutet als das verpönte Wort selbst. Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz. Ich finde es übrigens richtig, das verpönte Wort nicht mehr zu verwenden, wenn wir mit oder über Menschen dieser Ethnie sprechen. Aber wenn wir über den Gebrauch des Wortes sprechen, also über das Wort selbst, muss es ausgesprochen werden dürfen.


FRO...
Alle existierenden Wörter müssen gesprochen werden dürfen – dazu gehören natürlich auch die, die aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr zum heutigen Sprachgebrauch gehören. Eine Bewertung kann nur im Kontext ihres Gebrauchs erfolgen.

Boris Palmer wird mehr oder weniger subtil unterstellt, seine Äußerungen wären rassistisch und antisemitisch konnotiert. Das halte ich für Unsinn. Er hat m.E. lediglich ein drängendes Bedürfnis zu provozieren und (in seinen Augen) irrationale Tabus zu durchbrechen, um sie infrage zu stellen. Leider ist er da manchmal etwas plump. Mehr kann man ihm ja nicht vorwerfen.

Und es geht ja lediglich um Palmers Sprachverständnis. Vorwürfe, er würde als Bürgermeister Menschen mit afrikanischer Herkunft oder Juden benachteiligen, gibt es nicht. Der Skandal ist eine Medienblase, für die Palmer lediglich die Reizworte geliefert hat. Ein Interview mit ihm könnte sinnvoll sein.


Rapid135
Ich habe mir das betreffende Video angesehen und verstehe das ganze Theater überhaupt nicht. Wer Palmer einlädt, weiß, daß es durchaus kontrovers zugehen kann. Deshalb mag ich Herrn Palmer – nicht weil ich immer seiner Meinung bin – sondern weil er den politischen gesellschaftlichen Diskurs bereichert. Er hat einen pragmatischen Stil – frei von Parteiideologie! Dafür sollten wir ihm danken und nicht ihn diffamieren.

Er hat seine eigene Art – geht keinem Streit aus dem Weg. Das muss man nicht mögen. Sein Vater war auch schon so ein „Enfant terrible“. Dafür muss er sich weder schämen noch entschuldigen. Kunst und Wissenschaft sind frei! Die Meinung ist frei! Die Presse ist frei! Warum fangen wir an, diese Menschen zu disziplinieren? Warum verengen wir unseren Diskurs, unsere Moral, unsere Sprache, unser Denken? Vielleicht geht es uns zu gut. Es ist ja bekannt: Hat der Mensch keine Problem, schafft er sich welche.

Ich möchte weiter in einem freien Land leben, wo Palmer so reden kann, wie er möchte, und wo Herr Casdorff dies in einem Kommentar kritisieren darf, ohne dass sich einer von beiden schämen oder entschuldigen muss. Die DDR gibt es seit über 30 Jahren nicht mehr – das soll auch so bleiben!


DerTheodor
Holocaustleugner, Antisemit? Es ist einfach unfassbar, diese Vermessenheit, mit solchen Worten um sich zu werfen. Wie können Leute ohne jüdische Wurzeln es sich herausnehmen, einen Mann mit jüdischen Wurzeln so zu bezeichnen? Bitte: kehrt vor euren eigenen Familienbiografien, da gibt es sicher nach wie vor genug zum Thema Antisemitismus aufzuarbeiten. Und dem/der einen oder anderen könnte sogar ein Licht aufgehen, weswegen er/sie sich der demonstrativen Tugendprahlerei verschrieben hat.

Jetzt fangen Leute mit tatsächlichen Nazivorfahren, Mitläufern und Wegguckern an, uns Kindern und Enkeln von Holocaustüberlebenden Antisemitismus vorzuwerfen. Das nenn ich eine „gelungene“ Bewältigungsstrategie! Der „Geist“ von Mitläufertum und vorauseilendem Gehorsam findet sich jedenfalls nicht auf Palmers Seite. Wie sagt unser Rabbi immer: „Bedenke, bevor du mit dem Finger auf jemanden zeigst, dass drei Finger derselben Hand stets auf dich gerichtet sind.“

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