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Immer wieder versuchten Marie Schölzel und Pia Kästner die Schmetterbälle von Ebrar Karakurt zu blocken – meist vergeblich.

© IMAGO/Maximilian Koch

„Sowas habe ich noch nie in Deutschland erlebt“: Eine Euphoriewelle für den Volleyball der Frauen

Bei der Europameisterschaft in Düsseldorf herrscht beeindruckende Stimmung. Das liegt auch an türkischen Weltstars wie Ebrar Karakurt, die in ihrer Heimat nicht nur gefeiert werden.

Es kommt im deutschen Volleyball nicht oft vor, dass bei den Spielen ohrenbetäubender Lärm herrscht. Doch genau das war in den vergangenen Tagen bei der Europameisterschaft der Frauen in Düsseldorf der Fall: Dort herrschte quasi dauerhaft eine euphorisierende Stimmung, als die Teams aus Schweden, Griechenland, Tschechien, Aserbaidschan, Türkei und Deutschland gegeneinander spielten.

Den Höhepunkt bildete das letzte Gruppenspiel Deutschlands gegen die Türkei, das am Donnerstagabend stattfand und schon Tage zuvor ausverkauft war. 2355 Zuschauende feuerten die Teams an. „Sowas habe ich in Deutschland noch nie erlebt. Auch nicht in der Bundesliga“, sagte Kapitänin Lena Stigrot, die sich nicht allzu sehr über die erwartbare 0:3-Niederlage gegen die Favoritinnen aus der Türkei ärgerte. „Die Stimmung war unglaublich und sehr positiv. Es war ein schönes Miteinander.“

Der große Andrang hing maßgeblich mit der Prominenz der türkischen Spielerinnen zusammen, die in den sozialen Medien mehrere Millionen Follower haben. In ihrem Heimatland hat Volleyball eine große Bedeutung. Auch deutsche Spielerinnen zieht es regelmäßig in die türkische Liga, die finanziell besser aufgestellt ist und eine höhere sportliche Herausforderung bietet.

Wir haben Düsseldorf und Deutschland den Volleyball nähergebracht.

Lina Alsmeier, deutsche Nationalspielerin

Angreiferinnen wie Melissa Vargas und Ebrar Karakurt wurden am Donnerstag wie echte Weltstars gefeiert. Hunderte Fans, darunter vor allem junge Frauen, schrien ihre Namen, versuchten Selfies mit ihnen zu machen und ließen mitgebrachte Bälle signieren.

Hunderte Fans unterstützten das türkische Nationalteam bei der EM.

© IMAGO/Conny Kurth

Zu den Fans gehörte auch Meryem, die selbst in Recklinghausen Volleyball spielt, und das Spiel mit ihrer Freundin besuchte. Die beiden hatten Plätze in der ersten Reihe ergattert und machten Fotos mit den Spielerinnen. „Die Spielerinnen sind einfach toll. Manche haben drei Millionen Follower auf Instagram und sind richtige Vorbilder“, sagte Meryem.

In der Türkei erhält Karakurt auch Anfeindungen

Auf dem Feld stellten insbesondere Vargas und Karakurt ihr Können eindrucksvoll unter Beweis und schmetterten einen Ball nach dem anderen in die gegnerische Spielfeldhälfte. Der deutschen Abwehr ließen sie praktisch keine Chance.

Doch in ihrem Heimatland werden sie nicht von allen gefeiert. Nachdem Karakurt vor zwei Jahren ein Foto mit ihrer Freundin gepostet hatte, erhielt sie viele homofeindliche Hassnachrichten. Ähnlich verlief es nach dem Sieg des türkischen Nationalteams bei der Nations League im vergangenen Monat, als auch türkische Zeitungen Stimmung gegen Karakurt machten.

Das verwundert wenig: Seit Jahren hetzen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierung gegen queere Menschen. Mehrere Pride-Proteste wurden von der Polizei im Juni brutal aufgelöst. Nach dem Spiel gegen Deutschland standen Karakurt und die anderen türkischen Spielerinnen nicht für Pressefragen zur Verfügung.

Im Achtelfinale wartet mit Polen ein schwerer Gegner

„Es macht Bock, gegen solche Spielerinnen zu spielen“, sagt Lina Alsmeier, die sich über die Prominenz freute. „Das ist eine echte Herausforderung. Auf der anderen Seite stehen echte Stars und es macht Spaß, die wenigstens ein bisschen ärgern zu können.“ Auch sie zeigte sich überrascht von dem großen Zuschauerandrang. „Wir hätten nicht gedacht, dass unter der Woche bei Spielen wie Tschechien gegen Schweden so viele Zuschauer dabei sind.“

Steckt dahinter bereits ein kleiner Boom im Volleyball der Frauen? „Ich hoffe und denke es auch“, sagte Alsmeier. „Wir haben Düsseldorf und Deutschland den Volleyball nähergebracht.“

Große Freude bei Monique Strubbe (l.) über einen gelungenen Angriff gegen die Türkei.

© IMAGO/Conny Kurth

Als Nächstes will sie mit ihrem Team in Belgien eine Euphorie auslösen, denn dort findet das Achtelfinale statt, für das Deutschland sich als Dritter der Gruppe C qualifiziert hat. Am Sonntag (20 Uhr) geht es gegen Polen. „Türkei ist für mich Favorit für den Titel bei der EM, aber Polen gehört für mich zu den Top Four“, schätzte Bundestrainer Vital Heynen die Lage ein. „Das wird eine schwierige Aufgabe.“

Er selbst wurde 2018 mit dem polnischen Männerteam Weltmeister. Dass das Frauen-Nationalteam gegen Schweden und Tschechien kein Sieg gelang, ärgert ihn. „Es bleibt die allgemeine Unzufriedenheit.“ Eigentlich wollte er in der Gruppe den zweiten Platz belegen, den sich nun Tschechien geschnappt hat.

Doch Kapitänin Stigrot verspricht, alles zu geben. „Gegen Polen haben wir diesen Sommer schon mehrmals gespielt und es war immer super knapp. Vielleicht sind sie jetzt endlich fällig.“ Insgesamt sei das Turnier ein ständiges Auf und Ab für ihr Team.

Nach dem Ausfall von Hanna Orthmann, die sich beim ersten Spiel gegen Griechenland eine Knieverletzung zugezogen hatte, hat das Team noch Schwierigkeiten, sich zu finden. „Aber vielleicht ist der Hallenwechsel der Schlüssel.“ Und vielleicht hat sich das Team ja auch ein paar Kniffe von den türkischen Weltstars abgeschaut.

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