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Harfenist Xavier de Maistre (links) und Tenorsänger Rolando Villazón traten am Samstag im ausverkauften Nikolaisaal auf.

© Julien-Benhamou

Zwischen Jammer und Jubel: Villazón im Nikolaisaal

Im ausverkauften Nikolaisaal präsentierte der Gesangssolist Rolando Villazón am Samstagabend sein Soloprogramm. Das Konzert, begleitet durch den Harfenisten Xavier de Maistre, sorgte für stehende Ovationen.

Von Babette Kaiserkern

Es ist ein seltenes Ereignis, dass ein Gesangssolist nur begleitet von einer Harfe das Publikum zu stehenden Ovationen hinreißt. Rolando Villazón gelingt es am Samstagabend im ausverkauften Nikolaisaal mit seinem Soloprogramm „Serenata latina“. 

Es ist nicht nur das musikalische Charisma des mexikanischen Gesangsstars, das diesem Abend eine besondere Aura verleiht. Bei diesen lateinamerikanischen Liedern wirkt Rolando Villazón so, als wäre er bei sich zu Hause. So viel Empathie und Expressivität kommen gut an – obwohl die meisten der Lieder hierzulande ziemlich unbekannt sind.

Herzschmerz, blauschwarz

Praktisch alle Lieder verströmen eine dunkle, quasi blauschwarz getönte Palette von Herzschmerz, Leid und Jammer bis hin zum Tod. Doch Rolando Villazón färbt jede Miniatur individuell ein mit klugen Phrasierungen, klarer Artikulation und gereifter Stimme. Nur manchmal drückt er ein wenig zu sehr auf die Tube. Zur Seite steht ihm der famose französische Harfenist Xavier de Maistre, von dem die Idee zu diesem besonderen Konzertprogramm kam.

Einst fragte ihn die Witwe des argentinischen Komponisten Alberto Ginastera, ob er sich nicht einmal mit den Liedern ihres Gatten beschäftigen wolle. So beginnt der Abend in Potsdam mit drei kleinen Werken von Ginastera, geglückte Schmelzprodukte aus klassischem Kunstgesang und argentinischer Folklore.

Leichtes Vibrato

Vollmundig expressiv, mit leichtem Vibrato, dynamisch abgestuft bringt Rolando Villazón sie zu Gehör. Zwischen Jammer und Jubel erklingen Lieder der Komponisten Sánchez de Fuentes, Yvette Soubiron und Luis Calvo, leichte Salonstücke, die Villazón mit Verve und Furor zu großen Dramen formt. Mit einem triumphalen hohen C entlässt der Maestro das Publikum in die Pause. Schon da klingen Bravorufe auf, nicht nur für ihn, sondern ebenso für Xavier de Maistres filigranes und rasantes Harfenspiel nach dem feurigen Tanz von Manuel de Falla.

Dann taucht das Programm weit mehr noch in die vielfältigen Facetten der lateinamerikanischen Kultur ein. Jahrhunderte des kulturellen Austauschs mit einheimischen, europäischen und afrikanischen Einflüssen bildeten dort ganz neuartige Formen und Klänge aus.

Freitod einer Dichterin

Beim indianischen Wiegenlied „Arrunando“ verschmelzen Reminiszenzen an die Ureinwohner Venezuelas mit einer Art von psalmodierendem Kirchengesang. Übergangslos erklingt „Alfonsina y el mar“, eines der berühmtesten Lieder aus Argentinien. Die Ballade über den Freitod einer Dichterin mit anrührenden Versen und einer wunderbaren Melodie des argentinischen Komponisten Ariel Ramírez verströmt so viel Wehmut, dass es einen im Herzen reißt.

Latente Trauer ist oft in der lateinamerikanischen Musik vorhanden – kein Wunder bei der Geschichte dieses immer wieder geschundenen Halbkontinents. In noch tiefere Abgründe des Jammers führt das Kunstlied „Coraçao triste“ von Alberto Nepomuceno aus Brasilien, formvollendet im Stil klassischen Liedgesangs komponiert und interpretiert.

Verrückte Brüchigkeit

Dass es auch fröhlich zugehen kann, gerade in Brasilien, zeigt Xavier de Maistre mit dem temperamentvollen Karnevalshit Tico, tico – Lebensfreude pur, nur hier etwas preziös gespielt. Mit „En estos dias“ des kubanischen Dichter-Sängers Silvio Rodriguez erklingt ein Lied der Nueva Canción – expressiv gesungen, doch das verdeckt die spezifisch verrückte Brüchigkeit dieses berühmten Stücks eher.

Zum Höhepunkt des Abends gerät „La Llorona“ - die mexikanische Wehklage aus präkolumbianischer Zeit scheint direkt aus dem Herzen von Villazón in die Seelen zu fließen und es hält die jubelnden Zuhörer nicht länger auf den Sitzen. Die Blumensträuße für die Musiker fliegen sogleich ins Publikum und als Dank gibt es noch zwei Zugaben.

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