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„Warten auf Godot“ in der Regie von Fanny Brunner.

© Thomas M. Jauk

Die Melonen sitzen noch: „Warten auf Godot“ in der Reithalle

Fanny Brunner bringt Becketts Klassiker im Hans Otto Theater auf die Bühne. Eine Inszenierung ohne Trickkiste, die den Blick von heute gekonnt einschummelt.

Als Regisseurin Fanny Brunner 2020 ihre erste Inszenierung in Potsdam vorstellte, stand da in großen Buchstaben auf der Bühne: „Not in Kansas anymore“. Die Bühne war golden. Das Stück hieß „1989/90“ und erzählte davon, dass der Westen (wie alles) nur von Weitem richtig glänzt. In Brunners neuer Arbeit steht nun auf der Bühne: „Nothing moves me anymore“. Die Mirage in der Ferne heißt hier nicht Westen, sondern Godot.

Samuel Beckett hat seinen Klassiker Ende der 1940er Jahre in Paris geschrieben, den Zweiten Weltkrieg im Rücken: die Résistance, an der er in Frankreich beteiligt war, die mit dem Holocaust gemachte Erfahrung, dass man auf den Menschen nicht hoffen kann und der Mensch dennoch das Einzige ist, auf das zu hoffen bleibt.

Warten auf den Heilsbringer

In dieser paradoxen Situation sind die beiden Hauptfiguren Estragon (Henning Strübbe) und Wladimir (Jon-Kaare Koppe) in Becketts Stück gefangen. Sie haben keinen Daseinsgrund als das Warten auf jenen Godot. Der natürlich nicht kommen wird - oder aber mit dem großwampigen Lebemann und Sklaventreiber Pozzo (René Schwittay) so anders ist als der erwartete Heilsbringer, dass die beiden ihn nicht erkennen.

Fanny Brunner hat sich in der Regie für eine Aktualisierung light entschieden. Die universelle Daseinsgrübelei zweier grunddepressiver Figuren verbindet sie mit einem zeitgemäßen Blick darauf, wer die großen Menschheitsfragen hier eigentlich verhandeln darf: ausschließlich Männer. Dass Beckett selbst sein Stück auch rein männlich besetzt sehen wollte, weiß man spätestens, seitdem ein Kulturzentrum in den Niederlanden sich vor ein paar Wochen genötigt sah, den Text vom Spielplan zu nehmen - man sah das hauseigene Gleichberechtigungsgebot verletzt.

Männlichkeitsbilder, die zerfallen

In Potsdam, unter Quotenbefürworterin Bettina Jahnke, darf „Godot“ trotzdem gespielt werden - dafür stehen im Übrigen an anderer Stelle auch nur Frauen auf der Bühne. Estragon und Wladimir, bei Beckett Landstreicher, sehen aus wie abgerockte, altgewordene Brüder klassischer Aufführungen: lange Bärte, zotteliges Haar, weißgeschminkte Gesichter. Die Melonen sitzen noch, aber hier fehlt die Hose, dort der Frack. Männlichkeitsbilder, die zerfallen.

Beckett soll sich Estragon und Wladimir wie Laurel und Hardy gewünscht haben. Henning Strübbe und Jon-Kaare Koppe wirken wie ein fernes, melancholisches Echo auf die beiden. Koppe trägt Schuhe so groß wie die von Chaplin. Er ist der, der aufmuntert, Zaubertricks kann, eine Rübe oder ein Radieschen verschenkt und überhaupt begriffen hat, dass die Warterei am besten mit Ablenkung funktioniert. Strübbes Estragon ist grimmiger, müder, aber auch der, der immer wieder sagt: „Ich gehe jetzt.“ Er wird es nicht tun. Erhängen würden sich beide. Wenn sie einen Strick hätten.

Brunners Regie versucht gar nicht erst so zu tun, als ob das Ganze nicht auch ganz schön monoton wäre: Die Theatertrickkiste bleibt weitgehend zu, die Warteschleifenhaftigkeit des Ganzen erhalten. Umso mehr Platz also für dieses lupenrein arbeitende tragikomische Duo, ihre grimmige Zärtlichkeit, auch ihre Grausamkeit. Mitleid kennen sie nicht, auch nicht mit Lucky (Paul Wilms), der nackt von Pozzo an einer Leine hereingeführt wird und in einer berückenden Szene vorführt, wie „Denken“ geht: große Gesten, viele Füllwörter. Mansplaining par excellence?

Die Bühne deutet darauf hin. Ein großer Kaktus mit scharfen Stacheln steht da, daran gepinnt ein Zettelchen: „Nimm dir einen Spiegel und schau dir deine Vulva an“. In einer schier endlosen Pinkelszene erleichtert sich Lucky an diesem Kaktus. Sonst ist der Zettel nicht weiter Thema. Stattdessen singen Estragon und Wladimir ihrer Freundschaft und dem Dasein generell ein Liebeslied, und zwar mit Udo Lindenberg: „Hinterm Horizont geht’s weiter“.

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