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Dietmar Woidke im ZDF Morgenmagazin

© dpa/Patrick Pleul

Entsetzen, Ratlosigkeit, Kampfeslust: Brandenburgs Politik ringt mit dem AfD-Allzeithoch

Die AfD, die in Brandenburg ab 2024 regieren will, ist ein Jahr vor der Wahl mit Abstand stärkste Kraft. Wie reagieren die Parteien?

Brandenburgs Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Dietmar Woidke wollen sich stärker inhaltlich mit der extrem rechten AfD auseinandersetzen, die ein Jahr vor der Landtagswahl ein neues Allzeithoch erreicht hat. Das sagte SPD-Generalsekretär David Kolesnyk am Donnerstag dem Tagesspiegel. „Die Situation ist durchaus bedrückend: Die AfD im Land radikalisiert sich – und wird gleichzeitig von vielen Leuten mittlerweile als normale Partei gesehen.“ Man müsse und werde deutlicher machen, was die AfD wolle, was das konkret für Menschen im Land bedeuten würde.

Nach dem aktuellen Brandenburg-Trend im Auftrag des RBB ist die AfD im Land mit 32 Prozent mittlerweile mit Abstand stärkste Partei, folgen die seit 1990 ununterbrochen regierenden Sozialdemokraten in der Mark erst mit 20 Prozent.

Neu ist, dass vier von zehn Brandenburgern kein Problem damit hätten, wenn die AfD nach der Landtagswahl mitregieren würde, was selbst jeder vierte CDU-Anhänger und jeder fünfte Linke-Anhänger so sehen. Bisher war die AfD, die in Brandenburg einen Rechtsaußenkurs fährt, auch für ihre Anhänger eine reine Protest- und Oppositionspartei.

Eine frühere Umfrage im Sommer hatte bereits offenbart, dass sich 54 Prozent der 35- bis 49-jährigen Brandenburger, also der Berufstätigen – die Arbeitslosigkeit ist gering – inzwischen ein Kreuz bei der AfD vorstellen können.

Woidkes AfD-Kampfansage

Wie die stärkere Auseinandersetzung mit der AfD aussehen soll, hat Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) vor zwei Tagen – womöglich kannte er schon die Umfrage – beim Bürgerdialog in Oranienburg demonstriert. Dort war Woidke gefragt worden, wie lange er die AfD als Vertreterin hunderttausender Brandenburger Wähler aus gesellschaftlicher Gestaltung „mit billigen Nazi-Vorwürfen“ noch ausgrenzen wolle.

Er könne sich ja vieles vorstellen, antwortete Woidke, „wenn sich die AfD klar von Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung distanzieren würde – aber das passiert nicht“. Dann listete er weitere konkrete Gründe auf: Die AfD, die vorm Landesverfassungsgericht gegen das „Brandenburg-Paket“ klage, wolle damit einhunderttausend Kindern die vom Land übernommenen Kita-Beiträge wegnehmen, den Krankenhäusern finanziell schaden und den Ehrenamtlern das Leben schwer machen. „Es ist eine Partei, die diesem Land gezielt Schaden zufügen will“, sagte Woidke. Die AfD sei deshalb „kein Partner, auf keiner Ebene“.

Vorbehalte gegen AfD-Regierungsverantwortung schwinden

Um so größer aber ist das Entsetzen, aber auch – hinter vorgehaltener Hand – die Ratlosigkeit in Brandenburgs demokratischen Parteien, dass die AfD seit April sogar um neun Prozentpunkte zulegen konnte. „Das ist das Ergebnis einer desaströsen Kommunikation von Bundes- und Landesregierung“, sagte Peter Vida, Chef von BVB/ Freien Wähler, die mit sechs Prozent wieder im Landtag wären.

Grünen-Co-Fraktionschef Benjamin Raschke sprach mit Blick auf Koalitionskonflikte von einem „Weckruf an alle, zur Sacharbeit zurückzukehren“. Die Zeit bis zur Landtagswahl müsse mit konkreten Projekten wie dem Solareuro für echte Verbesserungen für die Menschen in Brandenburg genutzt werden. Die Grünen liegen bei acht Prozent.

Die AfD im Land radikalisiert sich – und wird gleichzeitig von vielen Leuten mittlerweile als normale Partei gesehen.

David Kolesnyk, SPD-Generalsekretär 

Die CDU, im April nach dem Rücktritt von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) noch bei 23 Prozent, fiel auf 18 Prozent und verlor damit am stärksten. Dass dies eine Quittung für die Übernahme von AfD-Positionen sein könnte, etwa zu Grenzkontrollen, wie AfD, Freie Wähler und Linke prompt vorwarfen, sieht CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann nicht. „Wir kopieren die AfD nicht!“, sagte Hoffmann. „Mancher Mitbewerber macht es sich da zu einfach.“ Wenn man der AfD aber bewegende Themen wie Migration „das halbe Spielfeld allein überlässt, braucht man sich über AfD-Ergebnisse auch nicht zu wundern“. Es gebe im Lande „überall viel Sorge, Verunsicherung und Angst, aber auch Enttäuschung, Wut und Frustration, dass die Politik die für Leute vordringlichen Probleme nicht anpacke.“ Und zwar vor allem die Bundespolitik.

Tatsächlich ist diese Stimmung im Land maßgeblich von den Themen Inflation/steigende Preise, Heizung/Energie und Migration/Flucht dominiert, während Landesthemen wie die schlechten Schulen fast keine Rolle spielen. Trotzdem resultiere sie auch aus Versäumnissen auf Landesebene, müssten die Kenia-Koalitionäre endlich mit ihrer „Selbstbeschäftigung“ aufhören, sagt etwa Sebastian Walter, Fraktions- und Parteichef der Linken, die mit acht Prozent einigermaßen stabil blieben. „Wer abgehoben immer wieder davon redet, dass Brandenburg von Erfolg zu Erfolg rennt, aber gleichzeitig die Menschen davon überhaupt nichts spüren, hat den Kontakt zur Realität verloren.“

Potenzial für Wagenknecht-Partei

Brandenburg ist bisher nicht für abrupte Stimmungsumschwünge der Bevölkerung bekannt. Inzwischen ist vieles in Bewegung, hätte etwa eine neue linke Partei unter Führung von Sahra Wagenknecht in Brandenburg auf Anhieb Potenzial: 44 Prozent der Brandenburger würden dies gut finden, 57 Prozent der AfD-Anhänger und 53 Prozent der Linke-Klientel. Walter reagierte betont gelassen: „Ich sehe nicht, dass es für eine Wagenknecht-Partei überhaupt Platz geben wird.“ Es gebe einen Unterschied, was man in Umfragen gut finde und am Ende dann tatsächlich wähle. Denn die Linke sei die klare Opposition für soziale Gerechtigkeit und Frieden in Brandenburg, „die bundespolitischen Debatten spielen bei uns eine untergeordnete Rolle“.

Und die AfD selbst? Was die AfD für ihren geplanten Durchmarsch in Brandenburg für gefährlich hält, geht aus der Reaktion von Parteichefin Birgit Bessin hervor: „Die Umfrage-Katastrophe für die SPD ist vor allem Dietmar Woidke zuzuschreiben“, erklärte Bessin. „Woidke sollte sich unbedingt zurückziehen und vor allem auf eine erneute Spitzenkandidatur verzichten.“ Trotz deutlicher Popularitätsverluste bescheinigen 51 Prozent dem Brandenburger Regierungschef einen guten Job.

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