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Rekruten bereiten ihre Waffen vor, während ein Ausbilder sie bei einer militärischen Ausbildung auf einem Schießplatz in der Region Wolgograd beobachtet.

© Foto: dpa/AP/Uncredited

Ukraine-Invasion Tag 250: Verliert Russland derzeit bis zu 1000 Soldaten pro Tag?

Wieder schwere Angriffe auf das ukrainische Energienetz, Ukraine exportiert weiter Getreide, Norwegen versetzt Militär in erhöhte Alarmbereitschaft. Der Überblick am Abend.

wer die Angaben der ukrainischen Streitkräfte zu den Verlusten auf russischer Seite verfolgt, wurde in den vergangenen Tagen stutzig. Von rund 500 Soldaten war da an einem Tag die Rede, enorme 950 waren es dann schon für den Freitag. Zwischen 100 und 300 Soldaten waren es noch im Sommer pro Tag. Insgesamt summieren sich die Verluste an Personal der russischen Armee laut der Ukraine bis Ende Oktober auf etwas mehr als 70.000 Soldaten.

Sind diese Zahlen wirklich glaubwürdig? Die Antwort kennt niemand, wahrscheinlich nicht einmal die Russen selbst. Anders gefragt: Sind die Zahlen wahrscheinlich?

Jedenfalls sind sie nicht unwahrscheinlich, wenn man davon ausgeht, dass die Angaben der Ukraine Gefallene und Verletzte beinhalten können. Im englischen Original ist beim Generalstab der Ukraine von „liquidated personal“ (ausgeschaltetem Personal) die Rede, beim ukrainischen Verteidigungsministerium bedeutungsgleich von „eliminated personal“. Das lässt Raum für Interpretation, von Toten sprechen die Ukrainer nicht explizit. Viele Nutzer in den sozialen Netzwerken setzen die Zahl allerdings gleich mit der Zahl getöteter Russen. 

Die Zahlen auf die Toten zu beziehen, würde aber zu einer unwahrscheinlichen Gesamtsumme an Verlusten führen. Militärexperten gehen davon aus, dass auf einen Toten noch einmal ein bis drei Verletzte kommen. Wie hoch das Verhältnis im Ukraine-Krieg ist, ist unbekannt. Aber selbst bei einem Verhältnis von 1:2 läge die Zahl der Toten und Verwundeten bei rund 200.000. Das entspricht der Gesamttruppenstärke mit der Putin in die Ukraine einmarschierte.

Zuletzt machte ein geleakter Report eines FSB-Mitarbeiters die Runde, in dem von 90.000 gefallenen, verwundeten und desertierten Soldaten die Rede war (mehr hier). Britische und amerikanische Schätzungen gehen von 80.000 Soldaten aus. Die Zahlen aus Kiew lägen damit sogar etwas darunter.

Nimmt man Kiews Angaben also ernst - und dafür spricht zumindest einiges - dann sind die russischen Verluste in den vergangenen Tagen und Wochen also deutlich gestiegen. Der Grund, wie viele Beobachter meinen: Die schlecht bis gar nicht ausgebildeten Rekruten, die gerade zu Tausenden die Frontlinie erreichen und dort teilweise auch sterben. 

Ein ukrainischer Soldat erklärte zuletzt, dass die Rekruten den Krieg nicht zu Russlands Gunsten drehen könnten. Aber sie würden den Vormarsch der Ukrainer durchaus verlangsamen. Der Militärexperte Gustav Gressel beschrieb Putins zynisches Kalkül dahinter so: „Er hofft, dass er mehr Männer hat, als die Ukraine Kugeln.“

Korrektur: In einer früheren Version hieß es, dass in den täglichen Statistiken auch von „losses“ (Verlusten) die Rede sei. Das ist falsch. Wir haben die Stelle präzisiert.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Zwölf ukrainische Schiffe auf dem Weg nach Istanbul: Russland hatte den Getreidedeal am Wochenende einseitig aufgekündigt. Die Ukraine will trotzdem exportieren. Die Initiative bekomme einen gefährlichen Charakter, sagt der Kreml-Sprecher. Mehr hier.
  • Zu 98,52 Prozent gefüllt: Noch nie waren die Gasspeicher in Deutschland so voll wie gerade. Die Reserven liegen bei 241,62 Terawattstunden. Mehr hier.
  • Das Drama des 11. Armeekorps: In Kaliningrad sollten sie eine konstante Bedrohung für die Nato darstellen. Auf dem Schlachtfeld in Charkiw wurde die Geschichte des 11. Armeekorps umgeschrieben. Mehr hier.
  • Kreml setzt russischen Truppenbefehlshaber in der Ostukraine offenbar ab: Russische Medien und Militärblogger spekulieren über die Abberufung von Generaloberst Lapin. Zuvor hatte Kadyrow den Befehlshaber hart kritisiert. Mehr hier.
  • „Schießen auf die eigenen Leute“: In einem abgehörten Telefongespräch erzählt ein russischer Soldat seiner Frau von der Front. Dort sollen die Russen eine Rückzugsblockade etabliert haben – um Deserteure aufzuhalten. Mehr hier.
  • Nach russischen Raketenangriffen sind 80 Prozent der Wasserversorgung in der ukrainischen Hauptstadt ausgefallen. Das teilte das Wasserversorgungsunternehmen Kyivvodokanal auf Facebook mit. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko riet der Bevölkerung in Kiew, sich notfalls an öffentlichen Zapfsäulen mit Trinkwasser einzudecken. Die Stadtverwaltung veröffentlichte eine Karte dieser Brunnen. Der Ausfall des Wassersysteme hing den Angaben mit Schäden an der Stromversorgung zusammen. Klitschko schrieb auf Telegram, 350.000 Haushalte seien auch ohne Strom. Mehr in unserem Newsblog.
  • Norwegen versetzt sein Militär ab Dienstag in eine erhöhte Alarmbereitschaft, um die Sicherheitsvorkehrungen als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine zu verstärken. Das kündigte Ministerpräsident Jonas Gahr Störe an. „Dies ist die schwerste Sicherheitslage seit mehreren Jahrzehnten“, sagte er auf einer Pressekonferenz. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Russland seine Kriegsführung auf andere Länder ausweitet, aber die zunehmenden Spannungen machen uns anfälliger für Bedrohungen, Geheimdienstoperationen und Beeinflussungskampagnen.“
  • Bei dem schweren Luftangriff auf die Ukraine am Morgen sind Teile einer abgeschossenen russischen Rakete in ein grenznahes Dorf im Norden der Republik Moldau gestürzt. Das teilte das Innenministerium in der Hauptstadt Chisinau mit. Die Regierung wertete das Ereignis als Unfall. 
  • Russland schickt nach Einschätzung britischer Militärexperten Reservisten oft nur mit schlechter Ausrüstung im Kriegs gegen die Ukraine an die Front. „Im September zeigten sich russische Offiziere besorgt darüber, dass einige frisch mobilisierte Reservisten ohne Waffen in der Ukraine eintrafen“, hieß es in einem Bericht, den das Verteidigungsministeriums in London am Montag veröffentlichte. 
  • Nach mehreren Großdemonstrationen gegen die tschechische Regierung haben sich am Sonntag Zehntausende Menschen „gegen die Angst“ auf dem Prager Wenzelsplatz versammelt. Während bei den früheren Kundgebungen Zehntausende gegen Energiepreissteigerungen und Tschechiens Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine protestierten, traten die Demonstranten am Sonntag für weitere Unterstützung für den ukrainischen Abwehrkampf ein.

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