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Die Ukraine will weiterhin Frachter über das Schwarze Meer Richtung Istanbul schicken (Symbolbild).

© Foto: AFP/YASIN AKGUL

Update

Zwölf Schiffe auf dem Weg nach Istanbul: UNO weist Vorwurf der Beteiligung an Drohnenangriff zurück

Russland hatte den Getreidedeal am Wochenende einseitig aufgekündigt. Die Ukraine will trotzdem exportieren. Die Initiative bekomme einen gefährlichen Charakter, sagt der Kreml-Sprecher.

Das UN-Büro für humanitäre Hilfe (Ocha) hat russische Vorwürfe zurückgewiesen, wonach ein mit ukrainischem Getreide beladenes ziviles Frachtschiff in einen Drohnenangriff auf Russland verwickelt gewesen sein könnte. Zum Zeitpunkt des Angriffs hätten sich keine derartigen Schiffe in der „Sicherheitszone“ des Getreidekorridors im Schwarzen Meer befunden, teilte Ocha-Chef Martin Griffiths am Montag dem Sicherheitsrat in New York mit.

Weiterhin nennt der Kreml die ukrainischen Getreideexporte über das Schwarze Meer ohne russische Mitwirkung riskant. Wenn Russland sage, es könne die sichere Schifffahrt in diesem Seegebiet nicht garantieren, sei die internationale Vereinbarung über die Ausfuhren „nicht so leicht umzusetzen“. Das sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau nach Angaben russischer Agenturen. Die Getreideinitiative nehme dann „einen anderen Charakter an, viel riskanter, gefährlicher und ohne Garantie.“

Peskow sagte, Moskau sei bereit, die Empfängerländer zu entschädigen, die durch den russischen Ausstieg aus dem Abkommen weniger Getreide bekommen. Wie dies praktisch aussehen werde, sei aber eine schwierige Frage.

Zwölf Schiffe von ukrainischen Häfen abgelegt

Am Montag sollen zwölf Schiffe von ukrainischen Häfen abgelegt haben, teilte das Infrastrukturministerium in Kiew mit. Die Getreideexporte aus der Ukraine über das Schwarze Meer sollen weiterlaufen, obwohl Russland das sichere Geleit für die Frachter aufgekündigt hat. Darauf haben sich die Delegationen der Vereinten Nationen, der Türkei und der Ukraine geeinigt, wie das Koordinierungszentrum in Istanbul in der Nacht zum Montag mitteilte. Die russische Delegation in dem Zentrum sei von dem Ergebnis informiert worden.

Ein erstes Schiff habe bereits die Freigabe zur Weiterfahrt durch den Seekorridor erhalten, vier Schiffe fahren demnach in Gegenrichtung. Nach Angaben der Vereinten Nationen sollen sich unter den Schiffen der mit Weizen beladene Frachter „African Robin“, der mit Sojabohnen beladene Frachter „SK Friendship“ und die mit Erbsen beladene „Sealock“ befinden.

Die Militärverwaltung der Hafenstadt Odessa teilte mit, an Bord der am Montag ausgelaufenen Frachter befinde sich eine Rekordmenge von 354.500 Tonnen Agrarprodukten. Unklar ist, wie Russland auf diesen fortgesetzten Schiffsverkehr reagieren wird.

Eine Luftaufnahme zeigt Schiffe, die an der südlichen Einfahrt des Bosporus in Istanbul vor Anker liegen (Archivbild).

© AFP/YASIN AKGUL

Auch die bisher von allen vier Parteien gemeinsam in Istanbul durchgeführten Kontrollen der Frachter sollen weitergehen. Für Montag sollen die UN und die Türkei zehn Teams stellen, um 40 wartende Schiffe abzufertigen. „Die Ukraine wird von ihrer Seite alles tun, damit die Initiative zum Getreideexport weiter funktioniert“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache am Sonntag.

Russland sprach am Sonntag von angeblichen Beweisen, dass die Ukraine den humanitären Seekorridor für den Drohnenangriff auf die Schwarzmeerflotte in Sewastopol am Vortag missbraucht habe. Über eine Rückkehr in die Getreidevereinbarung sei nicht zu reden, solange dies nicht vollständig aufgeklärt sei, sagte Vizeaußenminister Andrej Rudenko. Moskau will diesen Angriff am Montag, dem 250. Kriegstag, auch vor den UN-Sicherheitsrat in New York bringen.

Russlands Mitarbeit im Kontrollzentrum ruht – aber nicht ganz

Bei der Sitzung der vier Delegationen im Koordinationszentrum habe die russische Seite mitgeteilt, die Mitarbeit auf unbestimmte Zeit auszusetzen, hieß es in der UN-Mitteilung. Sie wolle aber den Dialog mit den UN und der Türkei über „drängende Fragen“ fortsetzen. Die russischen Vertreter wollten sich am Rande auch beteiligen, wenn die Getreideinitiative insgesamt rasche Entscheidungen treffen müsse.

Auch wenn Russland sich zögerlich verhält, weil es nicht die gleichen Vorteile erhalten hat, werden wir unsere Bemühungen im Dienste der Menschheit entschlossen fortsetzen“, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag. „Unsere Bemühungen, diesen Weizen in Länder zu liefern, die von Hunger bedroht sind, sind offensichtlich. Mit dem gemeinsamen Mechanismus, den wir in Istanbul eingerichtet haben, haben wir zur Linderung einer globalen Nahrungsmittelkrise beigetragen.“

Auch nach Lesart der Vereinten Nationen kann der Export trotz der von Russland angekündigten Aussetzung des Abkommens weitergehen. „Unser Verständnis ist, dass Initiative und Verpflichtungen auch während der Aussetzung der Teilnahme Russlands in Kraft bleiben“, sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Montag bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Es blieb zunächst unklar, ob die Vereinten Nationen den Export der Getreidelieferungen auch auf lange Sicht ohne Russlands Teilnahme fortführen wollen.

Russland: Können ungehinderte Durchfahrt von Schiffen nicht erlauben

Russland will die Fortsetzung der Exporte über das Schwarze Meer nicht zulassen. Die Vereinbarung könne „nicht ohne uns umgesetzt werden“, sagte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja bei Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Gleichzeitig könne Moskau „eine ungehinderte Passage von Schiffen ohne unsere Inspektion nicht zulassen“, sagte Nebensja.

Er kündigte „eigene Maßnahmen“ Russlands an, „um zu kontrollieren, was das internationale Koordinierungszentrum ohne unsere Zustimmung erlaubt hat“.

Der russische UN-Botschafter Vassily Nebenzia bei der Sitzung des Sicherheitsrates über Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im UN-Hauptquartier in New York City.

© Foto: IMAGO/ZUMA Wire/Luiz Rampelotto

Russland hatte zuletzt mit einem Ausstieg aus der Vereinbarung gedroht, weil es seine eigenen Getreide- und Düngerausfuhren nicht genügend gefördert sah. Als Grund wählte es nun den Angriff auf die Schwarzmeerflotte. Allerdings zeigte diese Attacke, wie verwundbar die russische Marine selbst in einem ihrer wichtigsten Häfen ist. Moskau störte den Schiffsverkehr im Getreidekorridor zunächst nicht.

Die Vereinten Nationen stellten die von Moskau genannten Gründe für die Aussetzung des Getreideabkommens in Frage. „Wenn sich Schiffe der Initiative nicht in dem Gebiet befinden, hat der Korridor keinen besonderen Status. Er bietet weder Deckung noch Schutz für offensive oder defensive Militäraktionen. Er kann nicht als Schild oder Versteck verwendet werden. Es ist auch keine No-Go-Zone“, sagte Griffith.

Türkei: Aussetzung des Getreideabkommens nützt niemandem

Russlands Aussetzung des Abkommens für ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer nützt nach den Worten des türkischen Verteidigungsministers Hulusi Akar niemandem.

Er werde im Laufe des Tages mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Schoigu und dem ukrainischen Verteidigungsminister Olexij Resnikow telefonieren, erklärt Akar seinem Ministerium zufolge in einer Videokonferenz mit türkischen Militärchefs. Im Gespräch mit den beiden Ministern werde er sich um eine Fortsetzung des Abkommens bemühen.

Der türkischen Verteidigungsministers Hulusi Akar bemüht sich, das Abkommen zu retten.

© Foto: Reuters/Ints Kalnins

Die Initiative war im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN vereinbart worden und hatte die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren infolge des russischen Angriffskriegs beendet. Nach türkischen Angaben sind seither 9,3 Millionen Tonnen Getreide verschifft worden. Vereinbart ist, dass die Schiffe und ihre Fracht jeweils bei der Durchfahrt durch die türkische Meerenge Bosporus kontrolliert werden.

Ursprünglich galt das Abkommen bis 19. November. Es wäre aber, wenn keine Seite widersprochen hätte, automatisch verlängert worden. Moskau hatte das Abkommen zuletzt immer wieder kritisiert, weil es sich infolge der Sanktionen des Westens bei den eigenen Getreide- und Düngemittelexporten ausgebremst sieht.

Russland liefert keine Beweise für seine Vorwürfe

Der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der annektierten Halbinsel Krim wurde am Samstag von Flug- und Schwimmdrohnen angegriffen. Moskau spricht von einem Terrorakt und behauptet, dass die ferngesteuerten Kampfboote sich im Schutz des Seekorridors für die Getreideexporte bewegt hätten. Mindestens eine Drohne sei auf See von einem Getreideschiff aus gestartet worden. Beweise wurden in einer Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums vom Sonntag aber nicht angeführt.

So etwas könnten nur kranke Menschen behaupten, entgegnete der ukrainische Staatschef Selenskyj in seiner Videoansprache. „Aber diese kranken Menschen bringen die Welt erneut an den Rand einer schweren Nahrungsmittelkrise.“ Für Russlands Kriegsführung gegen die Ukraine bedeutet die Attacke, dass die Schwarzmeerflotte als Herzstück der Militärmacht auf der Krim nicht sicher ist.

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Die EU fordert Russland am Sonntag auf, die Aufkündigung des Getreideabkommens zu widerrufen. Durch die Entscheidung sei der Export von dringend benötigtem Getreide und Düngemittel gefährdet, schreibt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter.

Die Ausfuhren seien aber im Kampf gegen die weltweite Nahrungsmittelkrise nötig, die im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine entstanden sei. „Die EU fordert Russland auf, seine Entscheidung zurückzunehmen.“ Ähnlich äußerten sich die Vereinten Nationen und die Nato. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nannte das Vorgehen „unverantwortlich“.

US-Präsident Joe Biden betonte, dass das russische Handeln für mehr Hunger auf der Welt sorgen werde. „Russland setzt Nahrungsmittel erneut als Waffe in dem Krieg, den es begonnen hat, ein“, kritisierte US-Außenminister Antony Blinken. Er rief die russische Regierung dazu auf, wieder die Vereinbarung zur sicheren Passage ukrainischer Getreidetransporte einzuhalten. 

Mehr als 14 Millionen Tonnen Agrargüter aus der Ukraine wurden nach EU-Angaben bislang über Handelswege exportiert, die nach Beginn des russischen Angriffskriegs ausgebaut worden waren. Hinzu kommen 15 Millionen Tonnen an Gütern, die nicht aus dem Landwirtschaftssektor stammen, wie ein Sprecher der Brüsseler Behörde sagte.

Als Beispiele nannte er Eisen und Stahl. Die sogenannten Solidaritätskorridore waren im Mai eingerichtet worden. Dahinter steckt vor allem ein Konzept, bestehende Handelswege über Land auszuweiten, um Alternativen zu Ausfuhren über das Schwarze Meer zu etablieren. (Tsp mit dpa/Reuters/AFP)

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