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Bundeskanzler Scholz beim SPD-Konvent in Berlin.

© Foto: Imago/Chris Emil Janssen

Erst Peking, dann SPD-Konvent: „Ich bin entspannt“ – Warum der Kanzler neue Hoffnung schöpft

Nach der Rückkehr aus China stellt sich Olaf Scholz der SPD-Basis. Dabei spricht er von Erfolgen beim Atomthema und kritisiert radikale Klima-Proteste.

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Die Jusos in Berlin-Kreuzberg gelten als weit links in der SPD, da ist es für Olaf Scholz schon ein gewisses Lob, das ihm der Berliner Juso macht: „Vielen Dank für Deine Arbeit, find’ ich solide.“ Der Kanzler war gerade in Peking, ist um 02.40 Uhr in Berlin gelandet, nun versucht er seine Politik beim SPD-Debattenkonvent im Vollgutlager auf dem Gelände der früheren Kindl-Brauerei zu erklären. Und er zieht auch klare Konsequenzen für die künftige China-Politik.

„Deutschland packt das“, lautet der Slogan auf der roten Bühne, aber die Zweifel sind auch zu spüren bei diesem ersten großen Präsenz-Parteitreffen der Kanzlerpartei seit Corona. 

Scholz taucht am frühen Nachmittag fast unbemerkt mit Jeans und Polohemd in dem Industriekomplex auf, trinkt erstmal einen Kaffee mit SPD-Co-Chefin Saskia Esken – dann beginnt eine Selfie-Runde mit Teilnehmern. Um die Partei mehr zu öffnen, sind auch 100 Nicht-Mitglieder zur Teilnahme für den Konvent ausgelost worden, insgesamt sind rund 1000 Teilnehmer dabei. Viele der entwickelten Ideen sollen in die weitere Parteiarbeit einfließen.

Ich bin entspannt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Für Scholz ist es – nach dem weitgehend virtuellen Parteitag im Dezember 2021 - das erste Mal, dass er als Kanzler vor so vielen Sozialdemokraten vor Ort reden kann. Er wird angesichts der historischen Überlappung von Krisen gefragt, wann er das letzte Mal einen entspannten Abend erlebt habe, seine Antwort: „Auf diese Frage kann ich schwer antworten, außer: Ich bin entspannt.“ Und auf die Frage, wie er die Lage im Jahr 2025 sehe, meint er nur, da werde die Ampel-Koalition fortgesetzt.

Aber es geht natürlich vor allem um die ernste Lage im Hier und Jetzt. Scholz nutzt den Auftritt für einen Appell an Moskau, auch mit Blick auf den so wichtigen G20-Gipfel am 15. und 16. November auf Bali. Mit Blick auf den Einsatz einer Atombombe, sagt der Kanzler in Richtung Wladimir Putin: „Wir fordern Russland klar auf, dass es sagt, dass es das nicht tun wird.“

Und dann ist er bei seiner so kontrovers diskutierten China-Reise. Weil es gelungen sei, dass bei dem Besuch der chinesische Präsident Xi Jinping Russland klar davor gewarnt habe, die Nuklearoption zu ziehen, müsse er eindeutig sagen: „Allein dafür hat sich die ganze Reise gelohnt.“ Das gibt lauten Beifall im Saal. Und Scholz wirkt mit sich im Reinen, bringt leise Hoffnung zum Ausdruck, dass mit Hilfe Chinas, vielleicht ja auch durch eine offizielle Verzichtserklärung der Einsatz von Nuklearwaffen durch Russland abgewendet werden kann.

Nicht immer einer Meinung: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Nicht immer einer Meinung: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD).

© AFP / Foto: AFP/Tobias Schwarz

Führende SPD-Außenpolitiker im Saal sind unterdessen sauer auf Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die habe dem Kanzler im Stile einer Oppositionspolitikerin Ratschläge für die richtige China-Politik gegeben, statt selbst mal mit Chinas Außenminister den Dialog zu suchen. Es gehe nicht darum, mit Worten beim Heimpublikum zu glänzen, sondern im konkreten Gespräch, und seien die Partner noch so schwierig, etwas zu bewegen, wird betont.

Und im Übrigen sei es vor dem G20-Gipfel genau richtig, jetzt mit Chinas Präsident Xi Jinping das Gespräch zu suchen, um ihn dazu zu bewegen, auf Wladimir Putin einzuwirken, dass die nukleare Option tabu bleibt – beide werden wie Scholz zum G20-Gipfel auf Bali erwartet.

Scholz verspricht mehr Halbleiterfabriken in Deutschland

Der Kanzler greift bei seinem Auftritt auch die deutlichen Forderungen nach weniger Abhängigkeit von China auf. Wie SPD-Chef Lars Klingbeil macht er deutlich, dass das neue Zauberwort „Diversifizierung“ laute. Daher sei es so wichtig, dass Intel in Magdeburg ein großes Werk baue. „Und da kommen noch ein paar Halbleiterfabriken dazu“, verspricht Scholz. Dazu passt aber nicht, dass die Bundesregierung den Verkauf eines Dortmunder Chip-Herstellers an das schwedische Tochterunternehmen eines chinesischen Konzerns erlauben könnte.

Es darf nie wieder ein Land geben, bei dem wir so abhängig werden.

Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender

Klingbeil hatte zuvor Pflöcke für die künftige Parteilinie eingeschlagen: „Mein Anspruch als SPD-Vorsitzender ist, dass wir die richtigen Konsequenzen ziehen.“ Auch schmerzhafte Diskussionen gehörten dazu, „wo wir nicht die richtige Abbiegung hingekriegt haben“, meint er Blick auf die Gaspolitik gegenüber Russland.

„Da bin ich jetzt bei China: Es darf nie wieder ein Land geben, bei dem wir so abhängig werden.“ Bei bestimmten Rohstoffen und Produkten müsse man sich um alternative Beschaffungswege kümmern. Deutschland müsse sich auch darauf vorbereiten, (….), „dass China sich genauso abwendet von uns wie Russland.“ 

SPD-Chef fordert Konsequenzen aus Russland-Fehlern

Er wolle nicht, „dass wir irgendwann in fünf, sechs Jahren, wenn es noch politisch kritischer wird mit China, dass wir dann sagen: ‘Okay jetzt sind die aber in allen Funkmasten verbaut, wir haben anscheinend ein Problem’.“ Seiner Ansicht nach müsse es bei der Zusammenarbeit mit China daher Grenzen geben. Es müsse „sehr klar definierte hochsicherheitsrelevante Bereiche geben - Daten, digitale Infrastruktur, künstliche Intelligenz, Quantencomputing - und da muss klar sein, hier bleibt China draußen. Hier wird es keine Kooperation geben“.

Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, will die richtigen Lehren aus der Russlandpolitik ziehen.
Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, will die richtigen Lehren aus der Russlandpolitik ziehen.

© Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Letztmals gab es 2018 ein solches Debattenforum, um die Parteiziele für die Zukunft festzulegen. Damals wurde das Bürgergeld, das Überwinden von Hartz IV mit mehr Leistungen und weniger Sanktionen zum Hauptziel erklärt. Hier ist man nun fast am Ziel, aber die Union droht mit der Blockade, fürchtet, dass sich für Niedriglohnverdiener das Arbeiten nicht mehr lohnen könnte.

SPD-Chef wirft Union beim Bürgergeld „fake news“ vor

Klingbeil spricht mit Blick auf Rechenbeispiele von Fake News, wirft CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder spalterische Politik vor. Wer sich so verhalte, „wer den Weg von Donald Trump der Verbreitung von Fake News einschlägt, wer der Meinung ist, man müsse das Land spalten, hat nichts mehr in der politischen Mitte dieses Landes verloren“.

Ohnehin würden sie bei der Union eigene Rezepte vermissen. Wo sei denn deren Zeitenwende, das Aufarbeiten der von Angela Merkel mit zu verantwortenden Energieabhängigkeit von Russland und die Schlussfolgerungen, fragt SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan – der schon Gerhard Schröders Russlandpolitik sehr kritisch sah.

SPD will wieder mehr Industriepartei sein

Die Partei hat viel zu diskutieren, entsprechend muss von der Hauptbühne immer wieder gemahnt werden, die vielen Gespräche hinten im Saal nach draußen zu verlagern. Klingbeil betont: „Wir lassen nicht nach, wenn es darum geht, die Ukraine in diesem Krieg gegen Wladimir Putin zu unterstützen.“ Und als zweiten Grundsatz für die SPD betont er: „Es darf nie wieder zu einer so einseitigen Abhängigkeit kommen, wie das bei Russland der Fall war.“

Da in dieser fragilen Lage alles mit allem zusammenhängt, steht bei diesem Konvent weniger die Sozialpolitik im Fokus, sondern die von Scholz konstatierte Zeitenwende und wie Deutschland es zum Beispiel schaffen kann, angesichts horrender Energiepreise die industrielle Basis zu erhalten, schließlich stammen 20 Prozent der Wirtschaftsleistung aus dem Industriebereich.

Die Wasserstoff-Welt existiert bisher nur auf dem Papier

So diskutiert die Partei die Einführung eines eigenen Industriestrompreises, wo der Staat die Mehrkosten für das nicht mehr aus Russland kommende Gas abfedert. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger fordert, dass es auch beim Thema Wasserstoff und dem klimagerechten Umbau etwa von Stahlwerken schneller als bisher gehen muss - sie arbeitet in der Partei intensiv an einer aktiven Industriepolitik.

„Wir müssen wegkommen von den Powerpoint-Präsentationen hin zum echten Hochofen“, sagt die stellvertretende Vorsitzende im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Dazu brauche es auch europaweite Pipelines. „Die Europäische Union wurde mal als Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet. Wir brauchen heute eine Europäische Union für Erneuerbare Energien und Wasserstoff.“ Daher müssten trotz aller Krisenkosten auch jetzt Milliarden für die Transformation mobilisiert werden, betont Rehlinger.. „Sonst müssen wir Milliarden ausgeben, um Arbeitslosigkeit zu finanzieren.“

Der Kanzler reist weiter zum Klimagipfel

Scholz verspricht, dass diese Milliarden in die Transformation der Industrie und für neue Leitungen investiert würden, am Montag geht sein Reisemarathon gleich weiter, er fliegt zum Weltklimagipfel nach Ägypten, bevor es dann am Samstag für fünf Tage nach Vietnam, Singapur und zum G20-Gipfel auf Bali geht.

Beim Debattenkonvent wird er auch auf die Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ angesprochen. Und hier macht er deutlich, dass er davon nicht viel hält. „Ich gebe gerne zu, dass ich das nicht gut finde, wenn jetzt Kunstwerke irgendwie bemalt oder mit Brei beworfen werden“.

Scholz hält nichts von Aktionen der „Letzten Generation“

Er glaube, dass das Gegenteil zu ihren Anliegen erreicht werde, wenn sich Aktivsten auf die Straße klebten und den Verkehr behinderten. „Ich glaube, die Leute, die da im Stau stehen, verstehen nicht plötzlich die Ernsthaftigkeit des Anliegens, sondern ärgern sich nur von vorne bis hinten. Und deshalb glaube ich, das ist kein guter Einfall“, betont der Kanzler.

Nach all dem Druck und der Kritik hat er hier ein Heimspiel. Am Ende stehen alle auf, klatschen. Und dann folgt eine neue Selfie-Runde, wie ein Maskottchen steht Scholz am Rande des Saals und lässt unzählige Selfies mit sich schießen, die Warteschlange ist weit über 50 Meter lang.

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