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25.10.2022, Ukraine, Kiew: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) trifft Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, im Präsidentenpalast zu Gesprächen. Steinmeier hält sich zu einem eintägigen Besuch in der Ukraine auf und machte sich vor Ort ein Bild von der Zerstörung durch den Angriffskrieg Russlands. Foto: Jesco Denzel/Bundespresseamt/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa

„Ihr könnt euch auf Deutschland verlassen“: Was Steinmeiers Ukraine-Besuch gerade jetzt bewirken soll

Im dritten Anlauf hat es Frank-Walter Steinmeier in die Ukraine geschafft. Der Besuch soll auch ein Zeichen der Aussöhnung zwischen ihm und Selenskyj sein. Eine Analyse.

| Update:

Etwas müde sieht der Bundespräsident aus, als er am Dienstagmorgen aus dem Zug in Kiew steigt. Doch Frank-Walter Steinmeier dürfte bei der Ankunft auch Erleichterung darüber verspüren, dass er es endlich in die Ukraine geschafft hat. Ihm sei es wichtig, sagt der Bundespräsident, gerade jetzt „in dieser Phase der Luftangriffe mit Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern ein Zeichen der Solidarität“ zu senden.

Eigentlich war Steinmeiers Reise für vergangene Woche angesetzt gewesen. Wegen dringlicher Warnungen etwa vom Bundeskriminalamt, der Bundespolizei oder dem Auswärtigen Amt, so hieß es, sei diese dann noch einmal verschoben worden. Die CDU nutzte die Gelegenheit, echauffierte sich über eine „Angsthasen-Absage“ Steinmeiers und eine „internationale Vollblamage“ für Deutschland. Dabei könnte die Verschiebung auch dazu beigetragen haben, dass Steinmeiers Reisepläne in dieser Woche geheim bleiben konnten.

Nun jedenfalls ist Steinmeier hier, steht am Kiewer Bahnhof, im Rücken einer der blauen Züge, die schon so viele deutsche Politiker zuverlässig in die Ukraine gebracht haben. „Ihr könnt Euch auf Deutschland verlassen! Wir werden die Ukraine weiter unterstützen: militärisch, politisch, finanziell und humanitär“, verspricht er. Er weiß: Vielen Ukrainern droht ein eisiger und dunkler Winter, wenn die durch die russischen Angriffe zerstörte Energieinfrastruktur nicht schnell wieder aufgebaut werden kann.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine.

© Foto: dpa/ Michael Kappler

Für ihn war es ein weiter Weg nach Kiew – auch im übertragenen Sinn. Der Bundespräsident wird in der Ukraine kritisch gesehen. Der frühere Außenminister und Kanzleramtschef steht wie kaum ein anderer für die deutsche Russlandpolitik. Er habe, so der Vorwurf, osteuropäische Warnungen vor einer Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen überhört.

Steinmeier gestand Fehler ein

Im April dieses Jahres gestand Steinmeier Irrtümer in Bezug auf Russland ein. „Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde“, sagte er vor Journalisten. Sein Festhalten an Nord Stream 2 sei ein Fehler gewesen. Man sei auch gescheitert mit dem Ansatz, Russland in eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur einzubeziehen. Es war ein bemerkenswertes Eingeständnis.

Als Steinmeier im April zu Besuch in Polen war, wollte er mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und den Staatspräsidenten dreier baltischer Staaten in die Ukraine reisen. Doch daraus wurde nichts. Er habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass sein Besuch offenbar „in Kiew nicht gewünscht“ sei, sagte er damals enttäuscht. Die de facto Ausladung wurde in Berlin als starker Affront wahrgenommen, zumal Deutschland viel tut um die Ukraine zu unterstützen. Erst ein Telefongespräch der Präsidenten Anfang Mai entspannte die Lage wieder.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch beim polnischen Kollegen Andrzej Duda. Der wollte ihn mit nach Kiew nehmen. Doch die Ukraine lehnt ab.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch beim polnischen Kollegen Andrzej Duda. Der wollte ihn mit nach Kiew nehmen. Doch die Ukraine lehnt ab.

© Jens Büttner/dpa

Dass es nun am Ende doch noch mit der Reise geklappt hat, ist auch ein Signal. Es soll, so heißt es aus Steinmeiers Umfeld, ein Zeichen des Schulterschlusses sein. Eine Geschichte der Aussöhnung zwischen zwei Präsidenten.

Steinmeiers Reise soll aber auch eine Botschaft ins eigene Land senden. Steinmeier hatte zu Beginn des Krieges gesagt, dass die Unterstützung für die Ukraine ein Marathon sei. Mittlerweile sind die Auswirkungen des Krieges in Form hoher Energiepreise und Inflation auch in Deutschland zu spüren. Bei montäglichen Demonstrationen wird die Forderung laut, die Pipeline Nord Stream 2 aufzumachen und sich aus dem Krieg herauszuhalten.

Gespräche im Luftschutzbunker

Der Bundespräsident hat das Gefühl, die Politik müsse stärker erklären, warum es weiter wichtig ist, dass Deutschland an der Seite der Ukraine steht. „Bei allen Härten und Lasten, die der Krieg auch für uns in Deutschland mit sich bringt: Sehen wir einen Moment lang durch die Augen der Ukrainer, dann wissen wir, dass sie unsere volle Solidarität und Unterstützung brauchen – solange es nötig ist“, sagt er am Bahnhof. An diesem Freitag will Steinmeier im Schloss Bellevue eine große Rede zur Lage der Nation halten, bei dem diese Botschaft wohl noch einmal vertiefen wird.

Wir werden die Ukraine weiter unterstützen: militärisch, politisch, finanziell und humanitär.

Frank-Walter Steinmeier

Dass die Reise nach Kiew für Steinmeier nicht ohne Risiken ist, zeigt sich beim Besuch des nordukrainischen Städtchens Korjukiwka, das zu Beginn des Angriffskrieges von russischen Truppen besetzt war. Kaum ist Steinmeier angekommen, heult ein Luftalarm. Der Bundespräsident verbringt mit Anwohnern anderthalb Stunden in einem Bunker. 

Steinmeier hatte die Stadt schon einmal 2021 vor Beginn des Krieges besucht. Damals hatte sich der dortige Bürgermeister eine Städtepartnerschaft gewünscht. Nun bringt Steinmeier die Zusage von Waldkirch im Breisgau für eine Partnerschaft mit. Auch eine Art Winterhilfspaket hat er dabei: mit Stromgenerator, einer mobilen Anlage zur Reparatur von Heizungen und Wasseranlagen sowie einer Maschine zum Herstellen von Hackschnitzeln zum Heizen.

Von Verstimmungen ist nichts mehr zu merken

Anschließend traf Steinmeier in Kiew Präsident Wolodymyr Selenskyj. In dem Gespräch sollte es auch im die Beseitigung der Kriegsschäden in Deutschland gehen. Hier sieht Steinmeier für Deutschland in der Unterstützung eine führende Rolle. Einen Vorstoß für eine Initiative zu Friedensverhandlungen dagegen sollte es, wie es hieß, von Steinmeier nicht geben. Dafür sieht man in Berlin angesichts der massiven russischen Angriffe auch auf zivile Ziele derzeit keine Grundlage.

Selenskyj dankte Deutschland nach dem Gespräch mit Steinmeier für die Unterstützung seines Landes. Damit trage die Bundesrepublik zum Frieden in der Ukraine bei. Dies sei „groß und historisch wichtig.“ Selenskyj erwähnte insbesondere die Lieferung des Flugabwehrsystems Iris-T. Er hoffe, dass davon weitere Systeme kommen werden. Dies habe für sein Land „wirklich Priorität“.

Steinmeier und Selenskyj wollen eine Schirmherrschaft über ein deutsch-ukrainisches Städtepartnerschaftswerk übernehmen. Solche Partnerschaften sendeten „ein klares Signal an Moskau: Euer Krieg wird uns nicht spalten – er wird uns noch näher zusammenbringen“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung. Das diplomatische Zerwürfnis aus dem Frühjahr wird mit keinem Wort mehr erwähnt.

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