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Einsam, isoliert? Kanzler Olaf Scholz erfährt derzeit einiges an Gegenwind.

© Foto: EPA-EFE

China, Koalition, Macron : Warum Kanzler Scholz gerade so aneckt

Olaf Scholz zieht mit seinen Machtworten und seiner Politik viel Kritik auf sich. Das hängt auch mit seinem Stil zusammen und einer fehlenden China-Strategie, heißt es in der Ampel-Koalition. Eine Analyse.

| Update:

Es ist einer der schöneren Termine im Leben eines Kanzlers. Athen, 26 Grad, mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis besucht Olaf Scholz die Akropolis, von dort kann man bis zum Hafen von Piräus sehen, der mehrheitlich dem chinesischen Cosco-Konzern gehört. Und der sich dank des Engagements auf Platz vier der größten europäischen Häfen hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg geschoben hat.

Und Hamburg hat Scholz immer im Herzen, auch als Kanzler. Der frühere Erste Bürgermeister will ihn wettbewerbsfähig und unter den Top Drei halten. Doch nicht nur hier wirkt Scholz wie ein Kanzler, der auf seine Art, einige nennen es bockig, sein Ding durchziehen kann, er eckt auch woanders derzeit an.

Scholz und Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis auf der Akropolis.
Scholz und Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis auf der Akropolis.

© Foto: LOUISA GOULIAMAKI/AFP

Streitpunkt China

Es ist kommunikativ mal wieder nicht gut gelaufen. Koalitionsvertreter erfuhren aus der Presse, dass Scholz eine Cosco-Beteiligung am Container-Terminal Tollerort im Hamburger Hafen durchziehen will. Aber es gibt auch gute Gründe dafür, doch eine abwägende Argumentation, für die der Kanzler steht, hat es in diesen aufgeregten Zeiten oft schwer. Scholz Nachfolger als Erster Bürgermeister Hamburgs und Vertrauter Peter Tschentscher argumentiert, um im globalen Wettbewerb auf der Höhe der Zeit zu bleiben, müssten auch in Hamburg Terminalbeteiligungen von Reedereien möglich sein.

„Denn Häfen und Terminals brauchen Auslastung und Planungssicherheit, damit sich Investitionen lohnen und ein effizienter Betrieb möglich ist.“ Am Ende wurde die Beteiligung auf eine Minderheitsbeteiligung von 24,9 Prozent ohne Einfluss auf Entscheidungen gedeckelt. Minister von Grünen und FDP äußerten in Protokollerklärungen ihre Bedenken.

Das ist ungewöhnlich genug, verschärft Spannungen in der Koalition. In Regierungskreisen sehen sie aber auch Spannungen innerhalb der Grünen. Deren Außenministerin Annalena Baerbock versuche nach Meinung einiger SPD-Leute die reine Lehre zu vertreten, mache Politik und Aussagen, die daheim zwar Beifall bringen, aber international wenig bewirken, wo mehr Realpolitik gefragt sei, während Wirtschaftsminister Robert Habeck auch im Hafenstreit pragmatischer unterwegs sei.

Scholz wird in Athen auf den Cosco-Deal angesprochen, betont, es werde „in diesem Fall in keiner Weise“ Einfluss auf die kritische Infrastruktur geben. Grund und Boden des Hafens gehörten weiterhin der dortigen Hafengesellschaft, seien Staatseigentum und würden niemals privatisiert werden. Mitsotakis warnt ebenfalls vor zu vorschnellen Urteilen, sagt, der Hafen Piräus arbeite heute viel besser als in der Vergangenheit. „Wenn Sie mich fragen, ob ich darüber (über die chinesische Beteiligung) beunruhigt bin, dann: Nein, nicht besonders.“

Aber die Lage ist seit dem 24. Februar eine andere, vor allem in Deutschland, das Teile der Industrie verlieren könnte, weil man sich zu 55 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig gemacht hatte.

Angela Merkel, hier mit dem chinesischen Präsidenten Xi, spielte eine zentrale Rolle in der westlichen China- und Russland-Politik.
Angela Merkel, hier mit dem chinesischen Präsidenten Xi, spielte eine zentrale Rolle in der westlichen China- und Russland-Politik.

© Michael Kappeler/dpa

Im Kanzleramt wissen sie, dass die auf wirtschaftlichen Handel abzielende China-Politik Angela Merkels so nicht fortzusetzen ist, und Scholz hat sich nicht gescheut, in seiner Rede vor den Vereinten Nationen die Lage der Uiguren in Xinjiang anzusprechen und Staatschef Xi Jinping dazu aufzurufen, die Empfehlungen der damaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte umzusetzen.

Scholz Ist der erste westliche Spitzenpolitiker, der abgesehen von Olympia in Peking, Xi Jinping nach über zweieinhalb Jahren Pandemie in China besuchen wird.  Aber Scholz lässt auch seine Koalitionspartner über seine China-Strategie rätseln. In Athen betont er, man dürfe sich nicht wieder zu einseitig abhängig machen.

Zugleich prüft die Regierung nun auch die Genehmigung des Verkaufs der Chip-Fertigung des Dortmunder Unternehmens Elmos an ein Tochterunternehmen des chinesischen Konzerns Sai Microelectronics – gerade in diesem Bereich wird Chinas Dominanz immer größer (siehe Bericht in der Wirtschaft). „Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen“, heiß es dazu aus Regierungskreisen.

Der Stil des Kanzlers

Schon in der SPD gilt Scholz als einer, der eher einsam seine Entscheidungen trifft, so erfuhren auch die heutigen Bundesminister erst kurz vor der Vorstellung, was sie werden sollen. Und der etwas durchzieht, wenn er davon überzeugt ist. Eben führt, aber anders als Angela Merkel, die da als kommunikativer galt. Und der es selten schafft, mit Empathie persönliche Brücken zu bauen, die auch das Mittragen unliebsamer Entscheidungen oder das Akzeptieren jener leichter machen.

Nicht von ungefähr kam es, dass Scholz es nicht schaffte, die SPD-Mitglieder von seiner Wahl zum Vorsitzenden zu überzeugen. Drei Mal hat er bereits nun de facto das Mittel des mehr oder weniger einsamen Machtworts eingesetzt: erst beim 100-Milliarden-Topf für die Bundeswehr, dann beim Laufenlassen von drei Atomkraftwerken bis April 2023, nun beim Cosco-Deal.

Anfangs setzte er in der Koalition stark auf umfassende Einbindung lange Kompromisssuchen, das führte zu sehr viel Anerkennung in den Koalitionsverhandlungen. Aber Scholz, so sagen kritische Wegbegleiter in der SPD, neige auch immer wieder zu Überheblichkeit und verprelle damit Partner.

Wegen der jüngsten Alleingänge, auch ein Resultat zunehmend schwierigerer Entscheidungsfindungen in der Ampel, wächst der Argwohn gerade bei den Grünen. Mit ihren Argumenten kommen die Koalitionäre im Kanzleramt offenbar derzeit nur schwer durch, vor allem die Fraktionen fühlen sich zu wenig eingebunden.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann vergleicht den Cosco-Deal indirekt mit dem Festhalten an Nord Stream 2, auch hier fing es klein an, bis die Abhängigkeit sich bis hin zum Verkauf von Gasspeichern als fatal erwies. Scholz sei sehr schwer für Sachargumente empfänglich, beharre sehr stark auf seinen inhaltlichen Vorstellungen, wird in Koalitionskreisen betont. Streitfragen würden somit am Ende über Machtpolitik entschieden – das belastet die Ampel.

Machtdemonstration: Chinas frühere Staatschef Hu Jintao wird aus dem Saal geführt, Nachfolger Xi Jinping schaut stoisch nach vorn.
Machtdemonstration: Chinas frühere Staatschef Hu Jintao wird aus dem Saal geführt, Nachfolger Xi Jinping schaut stoisch nach vorn.

© Foto: AFP/Noel Celis

Ein früherer Bundesminister glaubt, dass Scholz in Sachen Cosco eher mit dem Denken eines Hamburger Lokalpolitikers agiere, weil ein gutes Geschäft und hohe Investitionen für den Hafen locken. Scholz scheue angesichts des Konflikts mit Russland weitere globale Spannungen, wird in der Ampel betont. Daher wolle er das Reich der Mitte wirtschaftlich einbinden. Für grundfalsch halten das Grüne und FDP. Wie Putin könne sich auch Xi radikalisieren, verwiesen wird auf sein öffentliches Entfernen von Vorgänger Hua Jintao beim Parteitag der Kommunistischen Partei.

Scholz steckt hier auch in einem Dilemma, wird in seinem Umfeld eingeräumt. China ist ein weltpolitischer Player, Xi Jinping ist zudem einer der wenigen, der vielleicht Wladimir Putin von der nuklearen Eskalation abhalten kann. Und China bleibt ein wichtiger Absatzmarkt und Wirtschaftspartner. Doch Scholz kann bisher nicht erklären, wie seine China-Strategie konkret aussehen soll, keine Rede, kein Gastbeitrag, keine klare Koalitionslinie, so ist Scholz auch hier in der Defensive, erklärt wenig – das fördert eine Kakophonie in der Koalition.

Irritationen in Europa

Der Termin in Athen ist im Vergleich zu dem tags zuvor in Paris der einfachere. Der lange kritisierte Ringtausch kommt in Gang, Deutschland hat die ersten sechs Marder-Panzer geliefert. Die Regierung in Athen hatte sich verpflichtet, 40 Schützenpanzer sowjetischer Bauart des Typs BMP-1 ins Kriegsgebiet zu schicken, die es einst aus DDR-Beständen erhalten hatte – und bekommt dafür 40 deutscher Marder-Panzer, die ersten sechs werden an der Grenze zur Türkei stationiert.

Zunächst hatte es vor allem in Osteuropa Irritationen über Scholz gegeben, wegen des Vorgehgens bei Waffenlieferungen an die Ukraine, die aber inzwischen in höchsten Tönen Lieferungen wie die der Panzerhaubitzen und der Gepard-Flugabwehrpanzer lobt.

Nun stottert der deutsch-französische Motor. Aber der Eindruck des etwas einsamen Kanzlers in Europa hat auch wieder etwas mit Kommunikation zu tun, der Elysée versteht es, geschickt seine Sichtweisen zu platzieren, während Scholz Kommunikationsapparat weniger offensiv agiert, viel reagiert und zu wenig durchdringt. Und Scholz hat sich vielleicht zu wenig um Macron gekümmert, Zeichen und Gesten gesetzt, so scheiterte auch eine gemeinsame Reise zu Xi Jinping nach China, bei einer Reise nach Kiew hatte das noch geklappt.

Aber bei den inhaltlichen Differenzen gibt es auch gute Gründe Teile des 100 Milliarden Euro Sondervermögens für die Bundeswehr in den USA statt in Frankreich auszugeben, wenn es dort die am schnellsten verfügbaren f-35-Kampfflugzeuge gibt. Oder eine europäische Deckelung der Gaseinkaufspreise könnte dazu führen, dass zu viel Gas in andere Regionen verkauft wird, gerade für Deutschland mit dem hohen Anteil ist das ein Problem.

Und wenn Frankreich den  200-Milliarden-Schirm gegen die hohen Energiepreise kritisiert, kontert Scholz, dass auch andere EU-Staaten große Programme aufgelegt haben. Mehrere Staats- und Regierungschefs fürchten jedoch, die deutschen Maßnahmen könnten ihre eigenen Energiekosten weiter in die Höhe treiben und fordern weiter einen europaweiten Gaspreisdeckel.

Macron stichelte zuletzt, Deutschland isoliere sich in Europa. Ein Affront für Scholz. Deutschland hat mit sehr viel Strom, auch aus Gaskraftwerken, in diesem Jahr Frankreich wegen der stillstehenden Atomkraftwerke ausgeholfen.

Wenn Frankreich und Deutschland sich nicht verstehen, kann die gesamte EU in Turbulenzen geraten.

Die spanische Zeitung „Vanguardia“

Immerhin könnte es nun im Streit um eine durch Frankreich führende Gas-Pipeline einen Kompromiss geben. Frankreich, Spanien und Portugal haben sich vor wenigen auf den Bau einer neuen Unterwasser-Pipeline zwischen Barcelona und Marseille geeinigt. Sie soll die bislang geplante Pipeline durch die Pyrenäen namens MidCat ersetzen – allerdings sollte über die dann auch Gas und später Wasserstoff nach Deutschland weitergeleitet werden, Macron stemmt sich bisher dagegen. Scholz übt demonstrativ eher den Schulterschluss mit einem Sozialdemokraten, Spaniens Premier Pedro Sánchez, den er auch zur Kabinettsklausur nach Meseberg lud und mit dem er jüngst gemeinsame Regierungskonsultationen in Spanien organisierte. Das fällt auf.

Die spanische Zeitung „Vanguardia“ beobachtet die Dissonanzen mit Sorge: „Wenn Frankreich und Deutschland sich nicht verstehen, kann die gesamte EU in Turbulenzen geraten. Das wäre gerade jetzt während der russischen Invasion in der Ukraine ungünstig.“ Mit Blick auf Scholz wird ein Richtungswechsel unterstellt. „Was wirklich beunruhigt, ist dass Deutschland nach Einschätzung verschiedener Quellen offenbar seinen Status als europäische Führungsmacht über den des Solidaritätsmotors des europäischen Aufbauwerks stellen will.“ Auch In Koalitionskreisen ist man besorgt, dass der Kanzler mit seinem Stil auch Gräben in Europa ziehe.

Clinch mit den Bundesländern

Kommunikativ eine große Herausforderung wird es, die nicht ganz einfach Regelungen der Gaspreisbremse den Bürgern zu erklären. Am 2. November kommt es zum Bund-Länder-Gipfel, auch Angela Merkel hatte ihre liebe Müh und Not mit den Ländern.

Aber der Druck für Klarheit und eine Lösung war selten größer. Geregelt werden muss zudem die Folgefinanzierung für die Unterbringung der Geflüchteten aus der Ukraine, es wird ein weiterer Zustrom in diesem Winter befürchtet. In einigen Ländern werden die Geflüchteten bereits wieder in Turnhallen untergebracht – trotzdem ziehen sich die Verhandlungen seit Wochen.

Er fühle sich wie auf dem „Fischmarkt“, beklagte Scholz in der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang September, als er sich einer Welle von Forderungen konfrontiert sah. Der Frust in vielen Staatskanzleien ist hoch, mancher sehnt sich schon Angela Merkel zurück: „Die Kommunikation mit dem Kanzleramt hat gelitten“, sagt ein Politiker, der im Bundesrat häufig mit Scholz zu tun hat. „Es gibt zentralistische Tendenzen in der Bundesregierung“. Entscheidungen würden von oben herab durchgedrückt. Lange könne das nicht mehr gutgehen.

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