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Frankreichs Staatschef bei seiner Ankunft beim EU-Gipfel in Brüssel.

© Foto: dpa/Geert Vanden Wijngaert

Streit über Energie- und Rüstungspolitik: Deshalb knirscht es zwischen Berlin und Paris

Eine gemeinsame Konsultation der Kabinette Deutschlands und Frankreichs wird vertagt. Beim EU-Gipfel in Brüssel verschärft Frankreichs Staatschef Macron den Ton weiter.

Hohe Inflation, wachsende Energiekosten und jetzt auch noch Irritationen im deutsch-französischen Verhältnis – die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine stellen die Europäische Union auf eine immer härtere Probe.

Während sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag in Brüssel zum Gipfel versammeln, drohen Differenzen zwischen Berlin und Paris den Kern der Gemeinschaft zu gefährden. Zwischen beiden Ländern hakt es in der Energie- und Verteidigungspolitik.

Wie tief die Meinungsverschiedenheiten in der Energiepolitik gehen, machte Frankreichs Staatschef bei seinem Eintreffen beim EU-Gipfel deutlich. „Es ist weder für Deutschland noch für Europa gut, wenn Deutschland sich isoliert“, sagte Macron. Er bezog sich dabei offenbar auf die Diskussion über einen EU-Preisdeckel beim Gasimport. Frankreich gehört zu einer Mehrheit von 15 EU-Ländern, die einen solchen Preisdeckel fordern.

Völlig isoliert ist Deutschland dabei aber keineswegs. Auch die Niederlande, Dänemark, Lettland, Denmark, Estland, Bulgarien und Ungarn stehen der Idee skeptisch gegenüber. Am Morgen hatte Scholz noch einmal im Bundestag erläutert, warum er von einem Maximalpreis beim Gasimport in die EU nicht viel hält.

Ein politisch gesetzter Preisdeckel berge das Risiko, „dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen - und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger“, sagte er. Deshalb müsse sich die EU mit anderen Gaskonsumenten, etwa mit Japan und Korea, eng abstimmen, „damit wir uns nicht gegenseitig Konkurrenz machen“.

Ministertreffen soll im Januar nachgeholt werden

Mit Blick auf die Irritationen im deutsch-französischen Verhältnis hatte in Berlin am Vortag des Gipfels Regierungssprecher Steffen Hebestreit versichert, dass in Brüssel ein Treffen zwischen Scholz und Macron fest vereinbart sei. Das dürfte allerdings nichts an grundlegenderen Differenzen ändern: Die für den kommenden Mittwoch in Fontainebleau in der Nähe von Paris geplanten deutsch-französischen Konsultationen zwischen den Ministerriegen aus beiden Ländern wurden verschoben. Das Treffen soll nun im Januar stattfinden.

Das deutsch-französische Ministerrat war offenbar geplatzt, weil beide Seiten keine vorzeigbaren gemeinsamen Projekte präsentieren konnten. Warum es zwischen Deutschland und Frankreich in der Energiepolitik gegenwärtig nicht rund läuft, erläuterte Sven Giegold (Grüne) am Mittwochabend in einem Webinar.

Wie der Wirtschafts-Staatssekretär schilderte, funktioniere die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Paris zwar insofern, als sich beide Länder in der Energiekrise mit Strom- und Gaslieferungen aushelfen. Das Festhalten der französischen Regierung an der Kernenergie führe allerdings dazu, dass es in Paris kein großes Interesse an einem „europäisch vernetzten Energiesystem“ gebe.

Eine solche europäische Vernetzung hatte Scholz zunächst mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sanchez ins Auge gefasst. Beide hatten sich zunächst für eine Wiederbelebung der MidCat-Gaspipeline über die Pyrenäen stark gemacht. Doch Macron lehnte die Fertigstellung über die Pyrenäen ab.

Statt dessen gab er nun einem neuen spanisch-portugiesisch-französischen Projekt seinen Segen, mit dem ein „Grüner Energie-Korridor“ geschaffen werden soll. Die neue Pipeline zwischen Barcelona und Marseille soll zunächst Gas und anschließend grünen Wasserstoff transportieren.

Frankreichs Kampfjet Rafale soll durch das europäische Luftkampfsystem FCAS ersetzt werden.

© Foto: AFP/THIBAUD MORITZ

In Paris wünscht man sich wiederum von der Bundesregierung nicht nur einen Kurswechsel bei der Diskussion um den europäischen Gaspreisdeckel, sondern auch eine andere rüstungspolitische Linie. Berlin will das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr eher zum Kauf von US-Tarnkappenjets vom Typ F-35 nutzen, anstatt gemeinsame europäische Rüstungsprojekte wie das geplante Luftkampfsystem FCAS voranzubringen.

FCAS ist ein deutsch-französisch-spanisches Projekt, das ab etwa 2040 in Deutschland den Eurofighter und in Frankreich den Kampfjet Rafale ersetzen soll. Allerdings kommen die Verhandlungen zwischen den beteiligten Unternehmen nicht voran.

Neben den inhaltlichen Gründen für die Verschiebung des Ministerrats berichtete das Nachrichtenportal „Politico“ auch über logistische Gründe. Demnach hätten mindestens fünf Kabinettsmitglieder, darunter Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), auf die Schulferien in der kommenden Woche und die seltene Gelegenheit hingewiesen, diese gemeinsam mit den Kindern zu verbringen. Nach den Worten von Regierungssprecher Hebestreit gebe es aber die Überlegung, dass Scholz ohne die Minister am kommenden Mittwoch Macron in Paris trifft.

Vorstellbar ist in Berlin hingegen ein gemeinsamer Gaseinkauf der Europäer. Auch ein solcher Schritt würde helfen, den hohen Gaspreis zu senken. Allerdings wird in Regierungskreisen klargestellt, dass sich nicht einzelne Staaten beim Gaseinkauf zusammentun würden, sondern Unternehmen. Es gelte, Firmenkartelle beim gemeinsamen Gaseinkauf zu verhindern, heißt es.

„Ein gemeinsamer europäischer Einkauf, der klar nicht mehr jeden Mondpreis für fossiles Gas bezahlt, ist möglich und sinnvoll“, sagte die Grünen-Energieexpertin Ingrid Nestle dem Tagesspiegel. Angesichts des Szenarios, dass ein gemeinsamer Einkauf zu vermehrten Lieferungen von Flüssiggas (LNG) aus den USA oder Norwegen etwa nach Asien führen könnten, sagte Nestle weiter: „Es ist sowieso ein Gebot der Menschlichkeit, wenn einige LNG-Schiffe auch nach Pakistan und Bangladesch fahren und dort großes Leid lindern.“

Die Europäer könnten die entsprechenden Mengen „gut einsparen“, zeigte sich die Grünen-Bundestagsageordnete überzeugt. „So oder so“ gelte es, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern abzubauen, so Nestle.

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