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Annalena Baerbock beim Grünen-Parteitag.

© AFP/Daniel Roland

Asylstreit beim Parteitag: Grüne ringen sich zu Rückendeckung für Baerbock durch

Im hessischen Bad Vilbel streiten die Grünen über ihre Zustimmung zu den EU-Asylverschärfungen. Am Ende folgen die Delegierten der Parteispitze.

Als Annalena Baerbock die Bühne betritt, fliegen keine Farbbeutel. Es gibt keine Pfiffe, keine Protestbanner, nur Stille. Gebannt lauschen die Delegierten der Grünen ihrer Außenministerin. „Auch mich hat es zerrissen“, sagt Baerbock über ihre Zustimmung zu den geplanten EU-Asylrechtsverschärfungen. „Meine Waage war 51 zu 49.“ Am Ende erhebt sich der Saal für stehenden Applaus.

Es ist der vielleicht bemerkenswerteste Moment beim kleinen Parteitag der Grünen im hessischen Bad Vilbel. Über Tage hatte es in der Partei rumort, ja in Teilen sogar rebelliert. Zu sehr hatte die Zustimmung der Grünen-Spitze zu strengeren Grenzverfahren, Inhaftierungen von Familien und der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten das Selbstverständnis der Partei in Frage gestellt.

Reihenweise waren Grüne in der Bundestagsfraktion, den Ländern und der Basis auf die Barrikade gegangen. Wie schon häufig in der Vergangenheit war ein Flügelstreit aufgebrochen. Selbst durch die Partei- und die Fraktionsspitze war der Riss bei der Bewertung des Kompromisses gegangen. Die Vorzeichen für den kleinen Parteitag standen auf Streit.

Den gibt es am Sonnabend nicht nur in der schicken neuen Stadthalle von Bad Vilbel, sondern auch davor. „Es ist eine historische Schande“, sagt Tareq Alaows in ein Mikrofon vor rund 100 Demonstranten. Vor den Augen von Grünen-Chef Omid Nouripour rechnet der 33-Jährige mit der Partei ab, in der er selbst Mitglied ist. „Es ist fünf vor zwölf für die Menschenrechte.“

Alaows ist 2015 selbst von Syrien über die Balkanroute nach Deutschland geflohen. Nun fürchtet er, dass anderen Geflüchteten das nicht mehr möglich sein könnte. „Es wird nicht mehr relevant sein, ob die Leute aus Syrien oder Afghanistan kommen, sondern über welches Land sie eingereist sind“, sagt Alaows.

Unter den Demonstranten sind viele Grünen-Mitglieder, die nun hadern. „Schäm euch“, skandieren sie mehrmals, auf Plakaten steht „keine neuen Morias“ und „Flucht ist kein Verbrechen“. „Ich wähle die Grünen nicht mehr“, sagt Georg Seppmann, der seit 2008 Mitglied ist. Nun überlegt er, auszutreten. Mit seiner Stimme unterstütze er die Klimaliste.

Eigentlich sollte der Parteitag eine Wahlkampfhilfe sein

Eigentlich waren die Grünen nach Bad Vilbel nahe Frankfurt gekommen, um den hessischen Grünen Rückenwind im Landtagswahlkampf zu verschaffen.

Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir will im Herbst zweiter Ministerpräsident der Grünen werden und tritt neben Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) ausgerechnet gegen SPD-Innenministerin Nancy Faeser an. Doch der Ärger um das Heizungsgesetz, die schwachen Umfragen im Bund und nun auch noch der Asylstreit sind dafür bislang keine Unterstützung.

Es kann auch Ausdruck von Verantwortung sein, Kompromisse zu machen.

Tarek Al-Wazir, grüner Wirtschaftsminister in Hessen.

In Bad Vilbel bemüht sich die Partei, ihm dennoch die große Bühne zu bereiten, mehrfach erhält Al-Wazir stehenden Applaus. Aus seiner Rede wird deutlich, dass er sich mehr Geschlossenheit und weniger Störgeräusche von seiner Partei wünscht. „Regieren heißt auch, schwierige Entscheidung zu treffen“, sagt Al-Wazir. Wer Dinge verändern wolle, brauche Mehrheiten. „Es kann auch Ausdruck von Verantwortung sein, Kompromisse zu machen.“

Viele Grüne haben selbst eine Migrationsgeschichte

Den Kompromiss sucht die Partei schließlich am Nachmittag - und ringt in der Debatte sichtlich mit sich. Es melden sich zahlreiche Grüne zu Wort, für die das Thema mit der eigenen Biographie verknüpft ist. Lamya Kaddor, innenpolitische Sprecherin der Fraktion mit syrischen Wurzeln, berichtet, dass ihr Cousin erwäge, sich über das Mittelmeer auf den Weg zu machen. Der Kompromiss ist für sie „ungenügend“.

Auch der Europapolitiker Erik Marquardt, der sich seit Jahren für sichere Fluchtrouten einsetzt, spricht von einer falschen Entscheidung. „An den Außengrenzen werden Menschen systematisch entrechtet“, sagt er.

Aminata Touré ist Sozialministerin in Schleswig-Holstein.
Aminata Touré ist Sozialministerin in Schleswig-Holstein.

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Aminata Touré, Sozialministerin in Schleswig-Holstein und Tochter zweier Geflüchteter aus Mali, spricht über die Folgen für Menschen mit schlechter Bleibeperspektive. „Das sind Menschen wie meine Familie vor 30 Jahren“, sagt sie mit gebrochener Stimme. „Unsere Geschichten sind aber nicht egal“, sagt Touré.

Doch auch Annalena Baerbock gelingt es, für ihre Position Emotionen in ihrer Rede aufzubauen. Sie habe sich bei den Verhandlungen häufig gefragt, was diese Asylrechtsverschärfung für ihre Kinder bedeuten würden, wenn diese auf der Flucht wären. Ihre Bilanz: „Diese Verordnung geht eingentlich gar nicht.“

Und doch hat sie zugestimmt. „Das ist mein Job“, sagt sie. Sie habe die anderen, noch viel restriktiveren Verordnungen gesehen, die auf dem Verhandlungstisch lagen. „Am Ende muss man abwägen. Meine Waage war 49 zu 51“, sagt Baerbock.

Wir haben im Status Quo eine kleine Verbesserung.

Außenministerin Annalena Baerbock.

Künftig würden nicht mehr nur 3000 Geflüchtete auf Deutschland und Frankreich verteilt, sondern 30.000 auf weite Teile Europas. „Wir haben im Status Quo eine kleine Verbesserung“, sagt Baerbock. Sie sei nicht nur Außen-, sondern auch Europaministerin. Eine Einigung stabilisere die EU. Für Baerbock unterm Strich genug für eine Einigung: „Ich will dafür werben, dass wir uns weiter etwas zumuten.“

Ihrem Kurs folgt die Partei nach Stunden der Debatte mehrheitlich. Ein modifizierter Antrag der Grünen-Spitze setzt sich am Ende klar gegen einen Antrag der Grünen Jugend durch. Dieser hatte gefordert, dass im noch ausstehenden Trilog-Verfahren auf EU-Ebene eine Zustimmung Deutschlands an zahlreiche Bedingungen geknüpft hatte.

Auf Verbesserungen setzen die Grünen nun auch weiter im Trilog, allerdings sollen nur noch Kinder von den Grenzverfahren ausgenommen werden. Eine schlussendliche Zustimmung halten sich die Grünen offen. „Unsere jeweiligen Positionierungen zu den Rechtsakten werden wir davon abhängig machen, ob unter dem Strich Verbesserungen in der europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen“, heißt es im Beschlusstext. Wie realistisch solche Veränderungen jedoch sind, wird sich noch zeigen müssen.

Auch bei der Bewertung des Beschlusses findet die Partei einen Formelkompromiss, der Baerbocks Entscheidung nur indirekt rügt: „Die erzielte Einigung kann zentrale Anforderungen nicht erfüllen, die wir an eine Asylpolitik der Humanität und Ordnung stellen“, heißt es. Ohne die Außenministerin wäre der Kompromiss noch schlechter ausgefallen. Nach dem Ärger der vergangenen Tage ist es für Baerbock eine Formulierung, mit der sie gut leben dürfte.

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