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Uneins: Die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour.

© picture alliance/dpa

Grüne gegen Grüne: Der Asylkompromiss wird zur Zerreißprobe für die Partei

Der EU-Asylkompromiss führt bei den Grünen zum Flügelstreit, alte Gräben brechen wieder auf. Selbst die Parteispitze ist sich uneins. Nun droht Ärger auf dem Parteitag.

Der ganze aufgestaute Ärger bei den Grünen entlädt sich am Donnerstagabend gegen halb zehn. Ein paar Minuten ist die Einigung der EU-Innenminister für eine Verschärfung des europäischen Asylrechts erst alt, da schaltet sich die Grünen-Fraktion zu einer Sondersitzung zusammen. Auch Außenministerin Annalena Baerbock ist aus Kolumbien zugeschaltet und sieht sich einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt.

Emotional, laut und wütend sei die Stimmung gewesen, heißt es von Teilnehmern. Vor allem Baerbock habe sich scharfe Kritik anhören müssen, weil sie als federführende Ministerin für die Grünen-Position Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kurz vor der finalen Einigung ihre Zustimmung dafür gegeben habe. „Das stand ihr nicht zu“, sagt ein Abgeordneter einen Tag später erbost. „Das ist unverzeihlich.“

Das stand ihr nicht zu. Das ist unverzeihlich.

Ein Grünen-Abgeordneter übt Kritik an Annalena Baerbock.

Tief sind die Gräben bei den Grünen am Tag nach dem Kompromiss von Luxemburg. Von „Schande“ und einem „finsteren Tag für die humanitäre Verantwortung in Europa“, sprechen Abgeordnete. Auch die Basis, die in den vergangenen Tagen Briefe gegen und für die Pläne geschrieben hatte, wirkt gespalten. Und sogar mitten durch die Partei- und Fraktionsspitze geht der Riss.

Deutschland hätte dem Vorschlag nicht zustimmen dürfen, schreibt Parteichefin Ricarda Lang noch am Donnerstagabend bei Twitter. Ihr Co-Parteichef Omid Nouripour twittert quasi zeitgleich: „In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen.“ Ähnlich formulieren es die beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge (dagegen) und Britta Haßelmann (dafür).

Vier zu zwei stimmt die Parteispitze für den Kompromiss

Die EU-Asylrechtsverschärfung ist das erste politische Thema seit Jahren, das die Grünen wieder entlang klassischer Flügelfragen auseinandertreibt. In der sogenannten Sechserrunde, die bei den Grünen maßgebliche Entscheidungen verabschieden, stimmen am Donnerstag die vier Realos Nouripour, Haßelmann, Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck für den EU-Kompromiss, Lang und Dröge vom linken Parteiflügel dagegen. Vier zu zwei. Ein Dissens der Parteispitze in aller Öffentlichkeit.

Es ist ein Flügelstreit, der entstehen konnte, weil die Parteiführung vorab kaum in die Partei hinein kommuniziert hatte. Stattdessen war über die Verhandlungen ein Mantel des Schweigens gehüllt worden, der für großen Frust an der Basis sorgte. Am Montag hatten mehr als 700 Grünen-Mitglieder ihren Ärger in einem Brief kund getan, von einigen Parteiaustritten ist bereits die Rede.

Der Kurs von Robert Habeck und Annalena Baerbock ist nicht mehr unumstritten in der Partei.

© imago images/photothek/Felix Zahn

Von der schnellen Einigung sind die Grünen aber schlicht überrascht worden. Man sei davon ausgegangen, dass die Entscheidung über die Reform verschoben würde, schreibt Baerbock in einem Brief an die Fraktion am Donnerstagabend.

Darin verteidigt sie ihre Entscheidung und verweist auf Verhandlungserfolge, etwa, dass künftig mindestens 30.000 Geflüchtete in der EU solidarisch verteilt würden. Auch die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten seien ausgenommen von Grenzverfahren. „Für viele Geflüchtete wird sich der Status quo verbessern“, schreibt Baerbock.

Doch in ihrer Partei widersprechen viele: „Aus humanitären und geostrategischen Gründen muss jetzt massiv gearbeitet werden, dass diese Asylrechtsverschärfung in dieser Form nicht kommt“, sagt der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter, dem Tagesspiegel. Die Grünen müssten daran nun arbeiten.

Für viele Geflüchtete wird sich der Status Quo verbessern.

Außenministerin Annalena Baerbock verteidigt den Kompromiss

Konkret will das Terry Reintke versuchen, Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, wo der Asylkompromiss noch beschlossen werden muss: „Das Europäische Parlament wird sich für ein funktionierendes Asylsystem einsetzen, das im Einklang mit der Menschenwürde und den Menschenrechten steht, praktikable Lösungen bietet und eine faire Aufteilung der Verantwortung unter den Mitgliedstaaten gewährleistet“, sagt Reintke.

Im Bundestag wird über das Vorhaben dagegen nicht mehr abgestimmt. In der Grünen-Fraktion, in der der linke Flügel eine Mehrheit hat, rumort es daher gewaltig. „Das ist ein grüner Hartz-IV-Moment. Über Jahre werden wir keine Glaubwürdigkeit mehr in der Asylpolitik haben“, fasst es ein Abgeordneter zusammen.

Konsequenzen müsse der Vorgang haben, heißt es am Freitag aus dem linken Flügel. Bereits am kommenden Wochenende könnte es auf einem kleinen Parteitag zum Aufstand kommen, eine Missbilligung scheint möglich.

Doch auch die Konstellation in der Sechserrunde, in der die Realos die Mehrheit haben, wird zunehmend kritisch beäugt. Im Herbst muss sich die Fraktionsspitze zur Wiederwahl stellen und auch die Amtszeit der beiden Parteichefs Nouripour und Lang endet. In Karlsruhe könnten sich beide um eine Wiederwahl bewerben – ausgerechnet auf einem Europaparteitag der Grünen.

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