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In afrikanischen Staaten kamen Impfstoffe viel später an als in reichen Ländern des Westens.

© REUTERS/Mike Hutchings

Pandemievertrag für globale Gerechtigkeit: Werden Menschenleben endlich wichtiger als Profite?

Die Weltgemeinschaft verhandelt über die gerechtere Verteilung von Medikamenten, Impfstoffen und Patenten. Eine Expertin von Ärzte ohne Grenzen erklärt, warum die EU mehr tun muss.

Von Melissa Scharwey

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie wissen wir: Der Zugang zu Tests, Medikamenten und Impfstoffen ist global sehr ungleich gestaltet. Unsere Teams weltweit haben das hautnah mitbekomme: In Indien oder Malawi starben Menschen, weil es nicht genug Sauerstoff gab. In Südafrika mussten Patient*innen ohne Schutzkleidung versorgt werden, weil Material fehlte.

Als die ersten Medikamente zugelassen wurden, kam Hoffnung auf. Doch diese waren so teuer, dass nur die Wenigsten sie sich leisten konnten.

Jetzt ist der Moment für politische Entscheidungstragende zu handeln.

Melissa Scharwey, Expertin für den Zugang zu Arzneimitteln bei Ärzte ohne Grenzen

Ähnlich lief es mit dem Impfstoff. Während die meisten Menschen wie zum Beispiel in Deutschland schon die dritte Impfung erhalten hatten, war in anderen Ländern das Gesundheitspersonal nicht einmal einmal geimpft.  

Wurde aus den Fehlern der Corona-Zeit gelernt?

Nun will die Weltgemeinschaft einen Vertrag aushandeln, damit dies künftig besser läuft - einen Pandemievertrag. Vor Kurzem kamen die Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für eine weitere Verhandlungsrunde in Genf zusammen.

Das ist jetzt die Chance, dass künftig Menschenleben über Profite gestellt werden.  Denn bei den Verhandlungen geht es auch darum, wie bei der nächsten Pandemie Medikamente, Impfstoffe oder auch Sauerstoff gerecht produziert und verteilt werden sollen.

Werden beim nächsten Mal das Wissen und die Technologie geteilt, die zum Beispiel für die Produktion von Tests, Impfstoffen und Medikamenten benötigt wird? Oder wird wieder zugelassen, dass Pharmafirmen an ihren Patentrechten festhalten und etwa Impfstoffe nur selbst produzieren und verkaufen können und dürfen.

In einem ersten Vertragsentwurf für den Pandemievertrag waren Solidarität, Transparenz, Menschenrechte und Bedarfsgerechtigkeit als Grundprinzipien formuliert.

Doch mit jeder Verhandlungsrunde werden diese Grundsätze weiter verwässert. Die Interessen der Industrie gewinnen wieder die Oberhand.  Auch die jüngsten Gespräche haben keinen Durchbruch gebracht.

Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) verhandelt die Europäischen Kommission in der WHO und bekleckert sich bisher nicht mit Ruhm. Unter anderem will die Europäische Kommission, dass Technologietransfer – eine der Grundvoraussetzungen für eine gerechte Verteilung von medizinischen Gütern im Fall einer Pandemie – auf Freiwilligkeit beruht.  

Aber Freiwilligkeit reicht nicht aus. Das hat sich während der Covid-19 Pandemie leider gezeigt. Außerdem sollten staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung an Bedingungen für gerechten Zugang geknüpft werden.

Ende 2021 plante der Westen die dritte Impfung, während in Afrika weiter Impfdosen fehlten.
Ende 2021 plante der Westen die dritte Impfung, während in Afrika weiter Impfdosen fehlten.

© dpa

Impfstoffe, die mit öffentlichen Geldern erforscht und entwickelt werden, müssen zu bezahlbaren Preisen und unter transparenten Bedingungen der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.

13,4
Milliarden Impfdosen wurden bis heute gegen das Coronavirus verabreicht, westliche Länder waren bei der Verteilung bevorteilt.

Auch das ist während Covid-19 nicht geschehen, die volle Entscheidungsmacht über Vertragsbedingungen, Preise oder die Verteilung lag bei den Pharmafirmen. Transparenz gab es keine.  

Während die Europäische Kommission industrienahe Positionen in die Verhandlungen einbringt, spricht das Europäische Parlament fortschrittliche Empfehlungen für die Verhandlungen aus – allerdings sind diese leider auch nur: Empfehlungen. Die Macht liegt bei der Kommission, und zweifelsohne auch bei der Bundesregierung.

Zentral ist das Aussetzen von Patenten im Pandemiefall

Denn Deutschland hat in der EU eine große Entscheidungsmacht und daher Verantwortung und eine Bringschuld. Sie sollte sich bei der EU unter anderem dafür einsetzen, dass faire Bedingungen an die Vergabe von öffentlichen Geldern für Forschung und Entwicklung geknüpft werden.

Fast zwei Jahre nachdem der erste Antrag zur Aussetzung der Patente für Covid-19-Impfstoffe eingegangen war, verkündete WTO-Chefin Okonjo-Iweala einen entsprechenden Beschluss.
Fast zwei Jahre nachdem der erste Antrag zur Aussetzung der Patente für Covid-19-Impfstoffe eingegangen war, verkündete WTO-Chefin Okonjo-Iweala einen entsprechenden Beschluss.

© dpa

So kann ein gerechter Zugang zu den Ergebnissen dieser Forschung sichergestellt werden. Es müssen verbindliche Regeln für das Teilen von Daten und Technologien geschaffen werden. Im Fall einer Pandemie müssen geistige Eigentumsrechte, wie Patente, beispielsweise auf Impfstoffe temporär ausgesetzt werden.

Die Kombination aus Technologietransfer und Aussetzung geistiger Eigentumsrechte kann es auch Herstellern in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen ermöglichen, in die Produktion einzusteigen.

So können in einer globalen Gesundheitskrise die lebensrettenden Produkte schneller und breiter produziert werden – und ein gerechterer Zugang für alle ermöglicht werden.

Jetzt ist der Moment für politische Entscheidungstragende zu handeln. Bisher wird in den Verhandlungen eher zurückgerudert. Dabei braucht es klare Konsequenzen aus den Erfahrungen der Covid-19 Pandemie. Und große, mutige Schritte nach vorne.

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