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Palästinensische Kinder, die bei israelischen Angriffen verwundet wurden, werden in das Schifa-Krankenhaus gebracht.

© dpa/AP/Ali Mahmoud

„Lage ist katastrophal“: Krankenhäuser in Gaza drohen sich in Leichenhallen zu verwandeln

Israels Bodenoffensive gegen die Hamas hat noch gar nicht begonnen. Doch schon jetzt zeichnen Ärzte und Helfer ein dramatisches Bild aus dem Gazastreifen. Die größte Klinik ist bereits voll.

Nach den Raketenangriffen und Gräueltaten durch die militante palästinensische Organisation Hamas reagiert Israel wie angekündigt mit großer Härte. Die Schläge kämen aus der Luft, vom Meer und vom Land, berichtete das UN-Nothilfebüro (OCHA) am Donnerstag. Im dicht besiedelten Gazastreifen, in dem rund 2,3 Millionen Menschen leben, hat sich die humanitäre Lage bereits enorm verschärft – und die Bodenoffensive hat noch gar nicht begonnen.

Das größte Krankenhaus in dem Küstengebiet kann nach palästinensischen Angaben keine Patienten mehr aufnehmen. Das Schifa-Krankenhaus in Gaza sei voll, teilte das Gesundheitsministerium am Donnerstag mit, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet. Die Klinik verfügt über rund 500 Betten.

Bei den israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen sind den Angaben zufolge bisher 1354 Palästinenser getötet und 6049 Menschen verletzt worden. Das israelische Militär wirft der Hamas vor, Menschen als „Schutzschild“ zu missbrauchen und sich inmitten der Zivilbevölkerung zu verstecken oder Waffen zu lagern.

Soweit wir wissen, gibt es noch Benzin für Generatoren wie in Krankenhäusern – aber wahrscheinlich nur noch für einige Stunden.

Fabrizio Carboni, Direktor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) für die Region Naher Osten

Am Mittwoch hatte das Ministerium bereits erklärt, acht Krankenhäuser „reichen nicht aus, um die Bürger zu versorgen“. Es warnte vor einer „katastrophalen Situation“. Durch die israelischen Bombardierungen sei das Krankenhaus Beit Hanun im Norden Gazas nicht mehr funktionsfähig. Im Schifa-Krankenhaus wurde demnach die Neugeborenen-Station beschädigt. Es fehle an medizinischem Material und Medikamenten.

In der Schifa-Klinik sagte ein Arzt, der sich als Abdallah vorstellte, der Nachrichtenagentur AFP, ein Kleinkind müsse beispielsweise eigentlich dringend wegen einer Kopfverletzung operiert werden. Es müsse aber warten, bis ein Operationssaal frei werde. „Wir arbeiten unter extremen Umständen. Wir müssen die Stromversorgung sicherstellen und dafür sorgen, dass wir genug Material haben, bevor wir operieren können.“

Es warteten „sehr viele“ Menschen in der Notaufnahme, doch einige stürben, bevor sie an die Reihe kämen, sagt Abdallah. Und sein Kollege, der Notarzt Mohammed Ghonei, sagte: „Wir haben sehr viele Verletzte behandelt, vor allem Frauen und Kinder.“

Die Situation wird durch die israelische Blockade des Gazastreifens für Helfer enorm erschwert. „Soweit wir wissen, gibt es noch Benzin für Generatoren wie in Krankenhäusern – aber wahrscheinlich nur noch für einige Stunden“, sagte der Direktor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) für die Region Naher Osten, Fabrizio Carboni, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

Die Stromversorgung im Gazastreifen war am Mittwoch zusammengebrochen, nachdem das einzige Kraftwerk seinen Betrieb einstellen musste.

Die Sperranlage um den Gazastreifen hat drei Übergänge: Erez im Norden, Kerem Schalom im Süden und Rafah in Richtung Ägypten.

© Grafik: Tsp/Bartel / Quelle: UN Ocha

Carboni rief die Kriegsparteien zur Schonung der Zivilisten auf. Das menschliche Leiden der Zivilbevölkerung sei abscheulich. Ohne Strom drohten sich die Krankenhäuser im Gazastreifen in Leichenhallen zu verwandeln. Neugeborene in Brutkästen und ältere Patienten, die Sauerstoff benötigten, seien gefährdet. Die Nierendialyse falle aus, Röntgenaufnahmen könnten nicht erstellt werden.

Ärzte in Gaza sprechen von extrem vielen Verwundeten

Auch die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) beschreibt die Situation als dramatisch. „Die Lage in Gaza ist katastrophal, die Krankenhäuser sind überfordert. Die Zahl der Verwundeten ist extrem hoch – es gibt einen ständigen Zustrom in alle Krankenhäuser des Gazastreifens. Die medizinischen Teams sind erschöpft und arbeiten rund um die Uhr, um die Verwundeten zu behandeln“, sagte der Chef der MSF-Mission im Nahen Osten, Léo Cans, einer Mitteilung zufolge.

Die Bombardierungen seien sehr intensiv, so Cans. Ganze Gebäude würden zerstört. Per SMS würden die Menschen in der Nacht aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Die Menschen müssten dann ihre Häuser verlassen, ohne etwas mitnehmen zu können. Aber viele wüssten gar nicht wohin. „Wo sind sie sicher?“

Schätzungen zufolge belaufe sich die Zahl der Vertriebenen bereits auf etwa 200.000. „Sie brauchen alles: Wasser, einen Platz zum Duschen, Nahrung, eine Matratze zum Schlafen – kurzum, es sind vielfältige, aber grundlegende Bedürfnisse“, sagte Cans.

Palästinenser füllen Behälter mit Trinkwasser aus einem Wasserverteilungsfahrzeug auf.

© dpa/Mohammed Talatene

Die Menschen im Gazastreifen hätten schon viele Kriege erlebt. Aber die aktuelle Situation mache ihnen große Angst. „Sie sagen, dass es dieses Mal anders ist: Sie sehen keinen Ausweg und fragen sich, wie das alles enden wird. Sie befinden sich in einer schrecklichen seelischen Notlage“, so Cans.

Die flüchtenden Menschen finden kaum sichere Zufluchtsorte. Israel hat seine Übergänge in den Gazastreifen geschlossen, auch Ägypten hat seinen Grenzübergang gesperrt.

Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) geht von mindestens vertriebenen 340.000 Palästinensern aus. „Die UNRWA-Notunterkünfte sind überfüllt und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Non-Food-Artikeln und Trinkwasser ist begrenzt. In UNRWA-Notunterkünften und im gesamten Gazastreifen droht aufgrund beschädigter Infrastruktur eine Wasserkrise“, hieß es im aktuellen Lagebericht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Aufgrund der Blockade des Gazastreifens durch die israelischen Behörden könnten die Wasservorräte nicht wieder aufgefüllt werden, heißt es darin, wie die Agentur dpa berichtete.

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