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Nachbau als Modell. Raffaels Palazzo Branconio in Rom, kurz vor 1520 fertiggestellt und bereits 1660 abgerissen.

© Bernhard Schulz

Aus dem Geist der Antike: Wie Raffael die Architektur revolutionierte

Den Maler Raffael kennen viele. Aber er schuf auch als Architekt herausragende Werke. Nun zeigt eine Ausstellung in Vicenza seine Pläne.

Millionen besichtigen alljährlich die Vatikanischen Museen und werden auf dem Weg zur Sixtinischen Kapelle durch die „Stanzen“ geschleust, eine Folge von drei annähernd quadratischen Räumen, deren Wände ringsum mit Fresken bedeckt sind. Sie stammen von der Hand Raffaels, des Künstlers aus Urbino, der in Rom zum „göttlichen“ Raffael wurde, wo er 1520 im Alter von gerade einmal 37 Jahren verstarb.

Alle kennen den Maler Raffael, aber die wenigsten wissen, dass er unweit der vatikanischen Stanzen einen Stadtpalast erbaut hatte. Von ihm gibt es keinerlei Spuren mehr, und wo er stand, verläuft heute die in der Mussolini-Zeit durch die enge Bebauung geschlagene Straße hin zum Petersdom.

Raffael als Architekt ist ein Thema für Kunsthistoriker. Es ist ein „Was wäre wenn“-Thema: Was wäre, wenn Raffael weitergelebt hätte und seine Planungen ausführen können? Denn immerhin war er zum Baumeister des Petersdoms aufgestiegen, in einem Augenblick, da völlige Unklarheit über die Weiterführung des eben erst begonnenen Baus bestand, und nebenbei entwarf er für den Papst einen Sommerpalast am Rande Roms, der sich an Ausmaß mit antiken Vorbildern der römischen Kaiserzeit messen konnte.

Zum 500. Todestag des Künstlers fand in Rom die denkbar größte Ausstellung zu Leben und Werk statt. Darin war dem Architekten ein knappes Kapitel gewidmet. Nun hat sich das Palladio Museum im beschaulichen Vicenza des Architekten Raffael angenommen und zeigt in einer unter anderem von Arnold Nesselrath von der Berliner Humboldt-Universität mitkonzipierten Ausstellung anhand der wenigen überlieferten Zeichnungen, aber auch einigen neu gefertigten, vorzüglichen Modellen, was dieser uomo universale geplant hat und nur teilweise realisiere konnte.

Für Giovanbattista Branconio dell’Aquila, einen einflussreichen Vertrauten der beiden Renaissance-Päpste Julius II. und Leo X., entwirft Raffael einen Stadtpalast, der in neuartiger Form die Fassade zur Darstellung sowohl der Bedeutung seines Eigentümers als auch – und mehr noch – der seines Schutzherren, des Papstes, nutzt. Der Palast fiel bereits 1660 einer Platzerweiterung vor den im Bau befindlichen Kolonnaden des Petersplatzes zum Opfer. In Vicenza aber ist er im Modell mit seiner farbigen, ungemein festlichen Fassade zu bewundern.

Nur ein Schatten der ursprünglichen Pläne ist die Villa Madama auf dem Monte Mario, die heute in Staatsbesitz und nicht zu besichtigen ist. Der Medici-Papst Leo X. wollte ein repräsentatives Anwesen, und Raffael lieferte ab 1518 Pläne für einen Gebäudekomplex, in dessen Stallungen allein 400 Pferde Platz finden sollten.

Nur Teile des Bauwerks wurden ausgeführt. Für sich selbst plante Raffael einen Palazzo in der Altstadt, das Grundstück hatte er bereits erworben und Pläne für einen seinem Rang angemessenen Hausstand, im Seitenflügel aber für seine kopfstarke und ungemein produktive Werkstatt gezeichnet.

Dieser Palazzo der Villa Giulia blieb aufgrund Raffaels plötzlichem Tod zu Karfreitag 1520 ungebaut, aber in seiner ungemein einfallsreichen Ausnutzung des schwierigen, dreieckigen Grundstücks ein Vorbild für spätere Generationen.

Neben Modellen zeigt die Vicentiner Ausstellung viel dokumentarisches Material, darunter Zeichnungen zu Details aus dem Inneren des Pantheons – desjenigen antiken Bauwerks, in dem Raffael selbst begraben wurde. In seinem berühmten Brief an Leo X. hatte Raffael erstmals eine archäologische Vermessung des antiken Rom vorgeschlagen und wurde so zum Begründer der wissenschaftlichen Denkmalpflege.

Welche Architektur Raffael aber im Sinn hatte, wird sichtbar in seinen Wandbildern im Vatikan, vor allem aber in den Entwürfen, also den Kartons für die Wandteppiche zum Leben des Apostel Paulus. Die in Brüssel gewebten Teppiche befinden sich im Vatikan, die Kartons in London. Architektur und Malerei sind bei ihm nicht zu trennen, in Vicenza aber ist Gelegenheit, die Entstehung seiner Baukunst aus dem Vorbild der Antike unmittelbar nachzuvollziehen.

Wie der Münchner Kunsthistoriker Ulrich Pfisterer am Ende seiner vorzüglichen Monographie von 2019 schreibt: „Raffaels Maßstab war die antike Kunst, sein Projekt der Rekonstruktion des antiken Rom offenbar das Wichtigste seines Lebens.“ Dieser Bezug zur Antike macht den Kern dessen aus, was wir die Renaissance nennen.

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