zum Hauptinhalt
Ohrläppchen, links angewachsen, rechts frei hängend.

© Montage: Tagesspiegel; Fotos: Imago Images

Freihängend oder angewachsen?: Der Mythos ums Ohrläppchen

Hängend oder mit der Wange verbunden? Die Form des Lobulus auriculae sei von einem einzigen Gen abhängig, hieß es lange. Aber Ohren auf: Das ist eine Mär.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Mädchen oder Junge? Diese Überraschung wollten wir uns für die Geburt des ersten Kindes aufsparen. Eines wusste der Erbonkel jedoch schon vorher: Ob männlich oder weiblich, der Nachwuchs würde angewachsene Ohrläppchen haben. Denn, so steht es in vielen Biologie-Lehrbüchern: Haben beide Elternteile mit der Wange verbundene Lobulus auriculae, dann können sie das gegensätzliche Merkmal, frei hängende Ohrläppchen, nicht vererben.

Lange galt die Form des Ohrläppchens deshalb als eines der wenigen Beispiele für menschliche Merkmale, die von nur einem Gen bestimmt und daher nach den klassischen Regeln Gregor Mendels vererbt werden: Ohrläppchen als Pendant zu Mendels Erbsen. Allein: Es stimmt nicht und stimmte nie.

Denn zum einen gibt es nicht nur frei hängende und angewachsene Ohrläppchen, sondern auch diverse Zwischenformen. Zum zweiten gab es schon in den 1960er Jahren Studien, die zeigten, dass Eltern mit angewachsenen Ohrläppchen gar nicht so selten auch Nachwuchs mit frei hängenden haben. Misstrauen gegenüber der Mutter bezüglich der Vaterschaft wäre aber völlig unangebracht, denn 2017 zeigte eine großangelegte Erbgut-Untersuchung an fast 75.000 Probanden aus aller Welt, dass weit mehr als nur ein Gen die Ohrläppchenform bestimmt: Ein Forschungsteam um Seth Weinberg von der Universität Pittsburgh fand mindestens 49 Gene, die Einfluss darauf nehmen, ob das Läppchen am Ohr nun ein hängendes, angewachsenes oder irgendetwas dazwischen ist.

Das ergibt schon deshalb Sinn, weil das Formen der Ohrmuscheln in der Embryonalentwicklung des Menschen ein komplexer Vorgang ist, der unmöglich von nur einem Gen kontrolliert werden kann.

Was den Nachwuchs des Erbonkels betrifft: Als die Tochter dann endlich da und die Freude groß war, waren die (angewachsenen) Ohrläppchen wirklich das Allerletzte, was bestaunt wurde.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false