zum Hauptinhalt
Das KZ Sachsenhausen.

© Johannes Eisele/AFP

Update

3518 Ermordete im KZ Sachsenhausen: Mutmaßlicher ehemaliger KZ-Wachmann will sich zu Prozessbeginn nicht äußern

Am Freitag will der Angeklagte über seine persönlichen Verhältnisse sprechen. Zuvor sprach ein Zeitzeuge.

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat am Donnerstag der Prozess gegen einen mutmaßlichen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen begonnen. Der 100 Jahre alte ehemalige SS-Wachmann soll der Anklage zufolge in den Jahren 1942 bis 1945 Beihilfe zum Mord an Tausenden Lagerinsassen geleistet haben. Angeklagt sind in dem Prozess vor dem Schwurgericht des Landgerichts Neuruppin 3518 Fälle. Die Zahl ist eine Mindestangabe der ermittelten Opfer. Der Prozess begann am Donnerstag mit kleiner Verspätung.

Zum Auftakt ist zunächst nur die Verlesung der Anklage geplant. Möglicherweise könnte es aber weitere Anträge der Nebenkläger geben, darunter sind auch Überlebende des KZ. Geplant sind insgesamt 22 Verhandlungstage, die sich bis in den Januar 2022 hineinziehen. Der Prozess war aus organisatorischen Gründen nach Brandenburg/Havel verlegt worden. Er findet nun in einer Sporthalle der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel außerhalb des Gefängnisgeländes statt.

Der Holocaust-Überlebende und Zeitzeuge Leon Schwarzbaum hofft beim Prozess auf Gerechtigkeit. "Es ist der letzte Prozess für meine Freunde, Bekannte und meine Lieben, die ermordet worden sind, bei dem der letzte Schuldige noch verurteilt wird, hoffentlich", sagte der 100-Jährige zum Prozessbeginn.

Schwarzbaum wurde 1921 in Hamburg geboren und überlebte die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Sachsenhausen. Er berichtet seit Jahrzehnten über seine Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozialismus.

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Angeklagte wollte sich zu Prozessbeginn zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern. Dies erklärte sein Verteidiger Stefan Waterkamp. Sein Mandant wolle sich aber am Freitag zu seinen persönlichen Verhältnissen äußern, soweit dies nicht die Vorwürfe betreffe.

Zuvor hatte Staatsanwalt Cyrill Klement bei der Verlesung der Anklage ausführlich die systematischen Tötungen von Tausenden Lagerinsassen während der Jahre 1941 bis 1945 beschrieben. Dazu gehörten Massen-Erschießungen in speziellen Anlagen, Vernichtungsaktionen in Gaskammern und das Sterben durch Entkräftung und Krankheiten. "Der Angeklagte unterstützte dies wissentlich und willentlich zumindest durch gewissenhafte Ausübung des Wachdienstes, die sich nahtlos in das Tötungssystem einfügte."

Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees enttäuscht

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, äußerte sich nach dem Ende des ersten Verhandlungstages enttäuscht über das Schweigen des Angeklagten gezeigt. "Der Angeklagte hat während der Anklageverlesung keinerlei Emotionen gezeigt", sagte Heubner am Donnerstag in Brandenburg/Havel. "Und nun hoffen wir, wenn Angehörige hier aussagen über die Ermordung ihrer Väter in Sachsenhausen - dass diese Emotion vielleicht den Hintergrund des Angeklagten erreicht und dass er Bereitschaft zeigt, um Worte zu finden, eine menschliche Brücke herzustellen zwischen seiner Geschichte und dem Leiden der Anderen."

Es gebe nur ganz wenige Ausnahmen von SS-Leuten, die gesprochen haben, berichtete Heubner. Die übergroße Mehrheit habe ihr Leben lang geschwiegen und sich in der Normalität ihres Lebens eingerichtet. "Für die Überlebenden ist das eine weitere Zurückweisung, das ist wie im Lager: Man war Ungeziefer, man war irgendwo da unten, man wurde einfach angebrüllt", erklärte Heubner. Dies sei für die Überlebenden und Angehörigen, die als Zeugen zum Prozess angereist seien, bitter. "Da sitzt ein alter Mann, der doch recht kräftig ist und sagt: 'Ich habe mich entschieden zu schweigen'".

Daher sei ein Urteil in dem Prozess für die Angehörigen ungemein wichtig, betonte Heubner. "Sie wollen nicht unbedingt, dass der Angeklagte hinterher im Gefängnis sitzt oder irgendwie leidet , aber dass er vor einem deutschen Gericht gestanden hat und ein Urteil ergangen ist, das auch ein Urteil im Namen der vielen Ermordeten ist, die alle hier mit sitzen - das ist ihnen eminent wichtig." (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false