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Michael Gerlinger, Schauspieler, Autor

© Andreas Klaer

Vielseitigkeit als Lebenskonzept : Von Alzheimer bis zu Fontane und Rio Reiser

Der Schauspieler Michael Gerlinger beherrscht viele unterschiedliche Genres, von der Musik bis zur Literatur. Was so vielseitig klingt, gehört für den Wahl-Potsdamer zusammen.

Von Alicia Rust

Seit 15 Jahren lebt Michael Gerlinger mit seiner Familie in Potsdam, seit zehn Jahren trägt er aus Fontanes Werken in seinen literarisch inszenierten Lesungen vor. Dabei begleitet ihn die Figur des märkischen Dichters seit seiner Jugend.

Im Fach Deutsch sei er schriftlich kein so guter Schüler gewesen, sagt Gerlinger. Da habe ihm der Deutschlehrer eine Chance gegeben, die Note zu verbessern: durch das Vortragen eines Gedichts vor der Klasse. „Ich habe Die Brücke am Tay von Fontane gewählt“, sagt der Schauspieler. Noch heute ist ihm der Inhalt der Ballade präsent. Der Sinn hinter dem tragischen Unglück in Schottland: Mensch kontra Natur. „Ab da war für mich der Grundstein zum Theater gelegt“, sagt der 56-Jährige.

Michael Gerlinger liest, spielt, singt, spricht - und arbeitet derzeit an einem Theaterstück zum Thema Alzheimer.

© Andreas Klaer

Schauspieler, Sänger, Vorleser, Sprecher, Trainer und Masseur ist auf seiner Homepage zu lesen. Musiker nicht zu vergessen: Perkussionist. Im Alter von neun Jahren spielte er bereits Marschtrommel im Spielmannszug der freiwilligen Feuerwehr Konstanz. Später kamen andere Instrumente und Interessen hinzu.

Gegen das Vergessen

Zurzeit arbeitet er gemeinsam mit Regisseur Michael Neuwirth an einem Theaterstück zum Thema Alzheimer. Noch befindet es sich im Entstehungsprozess. „Herr Alzheimer und ich“, so der Arbeitstitel. Ein Dialog zwischen Gerlingers Mutter und ihm, vorgetragen in Form eines Monologes. Ein anspruchsvolles Thema, voller Emotionen. Wenn sich noch Sponsoren finden, könnte es im Frühjahr 2024 Premiere feiern. Wie ist er zum Thema gekommen? „Genauso, wie meine Mutter zur Krankheit gekommen ist“, sagt er. 2017 hat es angefangen. Ein schleichender Prozess.

Alle in meiner Familie haben meine Leidenschaft verstanden und mich unterstützt.

Michael Gerlinger, Schauspieler

Die Mutter und die Tante haben ihn von früh an in seinem Berufswunsch unterstützt. Die Tante hatte ein Kulturboot. Literatur über den Bodensee hieß das Projekt. Als Kind traf Gerlinger auf Geburtstagen Menschen wie Martin Walser, mit denen seine Tante eng befreundet war. Das habe ihn inspiriert.

„Mit 14 bekam ich ein Theaterabo und habe an der Schule Theater gespielt.“ Die Eltern waren keine Intellektuellen, aber durchaus Kulturmenschen. Der Vater war Schreiner, die Mutter, heute 86 Jahre alt, Krankenschwester. „Alle haben meine Leidenschaft verstanden und mich unterstützt“, sagt Gerlinger. Immerhin gibt es in der Stadt seiner Geburt, Konstanz, das älteste Stadttheater in ganz Deutschland.

Vielseitigkeit als Konzept

Zu Fontane ist er durch die Beschäftigung mit der Geschichte seiner neuen Wahlheimat Potsdam gekommen. Und mit der Historie der Umgebung. Der märkische Dichter lag auf der Hand. Gerlinger hat an etlichen Bühnen gespielt. Am Thalia Theater in Hamburg, am Kampnagel, am Staatstheater Meinigen, im Poetenpack Potsdam. Seine Engagements führten ihn auch ins Ausland, nach Korea, Japan, Kolumbien, Belgien und in die Schweiz. Er hat Dutzende von Rollen verkörpert, die beiden liebsten: den Marquis Posa in Schillers „Don Carlos“ und den Biedermann. „Geben sie mir Gedankenfreiheit!“, sagt der Mime und lacht.

Wenn man sich beim vielseitigen Talent erkundigt, was er am liebsten mache, antwortet er: „Es ist die Mischung aus allem. Ich bin Künstler. Punkt!“ Für ihn sei nicht entscheidend, ob er im Theater oder im Film spiele, ob er als Rio Reiser Interpret mit einem Orchester vor einem Publikum stehe, oder bei einer inszenierten Lesung aus Paul Celans Werken oder Fontane vortrage. Die Fontane-Lounge ist seit 2014 ein fester Bestandteil der Potsdamer Kultur. Ihm gehe es darum, jeder Kunstform mit der angemessenen Konsequenz zu begegnen.

Wer Gerlinger im Filmen sieht, erlebt einen hingegen einen Charakterwandel. Im echten Leben freundlich und humorvoll, wirkt er in „Omina“ kalt und kontrolliert. Der Film war Gewinner beim Independent Film Festival London 2022 in der Sparte Thriller/Horror. Sein Minenspiel wirkt minimalistisch, reduziert, fast alles geschieht mit den Augen. Gerlinger mutiert zum Bösewicht. „Meine Kinder fragen mich auch immer, warum spielst du den Bösen?“, sagt er. Auf der Bühne gebe er eher den seltsamen Zeitgenossen ab, was ihm persönlich näher liege. Das sei halt die Schauspielerei: den jeweiligen Charakter so zu verkörpern, dass er vollkommen glaubhaft herüberkomme.

Vor allem die Arbeit mit Kindern liegt mir sehr am Herzen. Weil sie noch unverfälscht und intuitiv mit der Sprache umgehen.

Michael Gerlinger, Schauspieler

Und die Sache mit der Literatur? „Ich lese leidenschaftlich gern vor“, sagt Gerlinger. Und der Erfolg bestätigt, dass es auch eine Menge Leute geben muss, die gern von ihm vorgelesen bekommen. Vor allem an derart schönen Orten in Potsdam, wie vor der Windmühle im Schlosspark Sanssouci oder im Apfelgarten des Museums Alexandrowka. Seit Jahren gibt es eine gewachsene Zusammenarbeit mit beiden Einrichtungen. Daneben auch mit dem Kunsthaus Sanstitre, der Waschbar Potsdam, Potskids und dem Poetenpack Potsdam.

Wichtig sei ihm auch die Zusammenarbeit mit dem Bürgerhaus Bornim, wo er die künstlerische Leitung des KinderMusikTheaters „MuTheBor“ innehat, sowie mit dem Treffpunkt Freizeit am Heiligensee. „Vor allem die Arbeit mit Kindern liegt mir am Herzen“, sagt Gerlinger. „Weil sie noch unverfälscht und intuitiv mit Sprache umgehen können“, das sei eine große Freude.

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