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„St Javelin“ heißt die Foto-Ausstellung von Julia Krahn, mit der sich die Stiftung Garnisonkirche bis Ostern schmückt.

© Ottmar Winter/PNN

„Die Frauen wollen nicht vergessen werden“: Fotografin Julia Krahn über ihr Ukraine-Projekt

Die Fotos der ukrainischen Frauen an der Garnisonkirche sind weithin sichtbar. Was war der Impuls hinter dem Projekt? Die Fotografin gibt Auskunft.

Frau Krahn, derzeit sind zwei 19 Meter große Frauenporträts am Turm der Garnisonkirche zu sehen: Fotos aus Ihrer Serie „St. Javelin“. Die Javelin ist eine Panzerabwehrrakete. Was ist das für ein Projekt?
Zu Beginn des Ukraine-Krieges habe ich in der Zeitung die Zeichnung einer Madonna mit der „Javelin“
 im Arm gesehen. Ich arbeite seit über 20 Jahren am Thema der Mutter und der Madonna und war geschockt. Ich glaube, dass jeder darin etwas Paradoxes sieht. Gleichzeitig habe ich mich in die Menschen in der Ukraine hineinversetzt. Ich wollte mit ukrainischen Frauen darüber sprechen. Ich habe sie gefragt: Was können wir dem entgegenstellen? Denn eine Waffe kann niemals ein Weg zum Frieden sein, keine Mutter wünscht sich Krieg.

Was war Ihr Ansatz?
„Don’t think globally, act locally!” Wenn man vor großen Dramen wie dem in der Ukraine steht, hat man ja oft das Gefühl der Impotenz. Ich kann den Krieg nicht beenden. Aber ich kann am Frieden arbeiten. So kann das Gefühl der Impotenz und des Horrors zu einer positiven Erfahrung werden, auf der man aufbauen kann. Konkret war es so, dass mir jede Frau ihre Geschichte erzählte. Dadurch habe ich Symbole gefunden, die zu ihr passen. 

Die Künstlerin Julia Krahn lebt seit 2001 in Mailand.

© Ottmar Winter/PNN

Zum Beispiel?
Eine Bäckerin trägt ein Brot, das sie gemacht hat. Ein Mädchen, das einen Drachen in der Hand hält, bastelt selbst den ganzen Tag Drachen, seitdem der Krieg begonnen hat. Oft hat das eine zweite Ebene. Eine der Frauen ist an das Motiv der Strahlenkranzmadonna angelehnt, die normalerweise auf einer Mondsichel steht. Auf dem Foto ist das eine Sichel, das sowjetische Symbol.

Die Frauen sind in den Nationalfarben abgebildet, auch Sie selbst haben sich in blau und gelb fotografiert. Warum sagen Sie dennoch: Es ist kein Projekt für die Ukraine?
Nicht nur für die Ukraine. Das Projekt hat keinen direkt politischen Hintergrund. Diese Frauen sind blau, weil man sehen muss: Ein Mensch, der sich vom einen Tag auf den anderen in einer solchen Situation befindet, ist kein Mensch mehr wie ich und du. Der Mensch wird zu seinem Land. Es ist nicht mehr wichtig, was man anzieht oder wo man ausgeht. Nur der Frieden ist wichtig. Diese Frauen werden für mich zu Skulpturen, zu Avataren ihrer selbst. Alles, was sie sagen, ist geprägt von dem, was in ihrem Land passiert. Ich war auch „blau“, weil ich mich monatelang nur mit diesen Frauen befasst habe. Ich habe mir ihren Schmerz und ihre Geschichte angezogen. Sonst hätten sich die Frauen mir gegenüber auch nie öffnen können.

Ich kann den Krieg nicht beenden. Aber ich kann am Frieden arbeiten. So kann das Gefühl der Impotenz und des Horrors zu einer positiven Erfahrung werden, auf der man aufbauen kann.

Julia Krahn über ihr Projekt „St. Javelin“

Die Annäherung an die Frauen war nicht einfach, warum?
Es hat sehr lange gedauert, bis ich das erste Bild machen konnte. Teile der Gemeinschaft vor Ort wollten das Projekt blockieren. Jemand habe meine Fotos gesehen und sagte: Da sehe ich nur viel Haut und Stoff, was will die mit unseren Frauen machen? Man sagte mir: Diese Frauen haben ein Trauma hinter sich und sollen nicht darüber sprechen. Dabei ist es meiner Erfahrung nach etwas Heilendes, über den eigenen Schmerz zu sprechen. Dazu kommt jedoch: Fast keine von diesen Frauen spricht Italienisch, Englisch oder Deutsch. Es hat Wochen gedauert, bis eine sagte: Ich möchte von uns erzählen.

Banner mit Porträts ukrainischer Flüchtlingsfrauen am Turm der Garnisonkirche.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Warum haben die Frauen dann doch mitgemacht?
Weil sie nicht vergessen werden möchten. Das ist der Punkt, wo ich die Brücke zur Stiftung Garnisonkirche sehe. Auch ich möchte die Vergangenheit nicht vergessen und mich der Gegenwart stellen.

Die Garnisonkirche ist in Potsdam sehr umstritten. Fürchten Sie nicht, vereinnahmt zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Durch die Arbeit der Stiftung gibt es etwas, was mich mit dem Ort verbindet. Sonst wäre es nur ein wunderschönes Gerüst. Die geschichtliche Dimension ist genau das, was mich hier interessiert. Ich bin davon überzeugt, dass ein solcher Ort der Erinnerung wichtig ist. Das hilft doch auch, um zur Vergangenheit klar Position zu beziehen.

Sollte man Ihre Arbeit also als Werbung für die Stiftung Garnisonkirche wahrnehmen, fühlen Sie sich nicht missverstanden?
Was heißt Werbung? Wir machen ein gemeinsames Projekt, eine Kooperation. Ich würde eher sagen, die Stiftung macht für mich Werbung.

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