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„Die Zeit ist aus den Fugen“ in der Regie von Tobias Rott mit Kristin Muthwill (vorn) als Regisseurin, die 1939 in Polen eine Nazi-Persiflage probt.

© Thomas M. Jauk

Hitler ist die beste Rolle: Lubitsch-Adaption ohne Abgrund

„Die Zeit ist aus den Fugen“ heißt der Filmklassiker „Sein oder Nichtsein“ am Hans Otto Theater. Kostümtreu, komisch, aber auch: erstaunlich unbedarft.

Darf man über Hitler lachen? Klar darf man. Vielleicht muss man das sogar. Charlie Chaplin hat es in „Der große Diktator“ 1940 vorgemacht. Ein Jahr Jahr später drehte Ernst Lubitsch im US-amerikanischen Exil „Sein oder Nichtsein“: eine Parodie auf die Nazis, die im Theatermilieu spielt. Im polnischen Posen, kurz vor dem Einmarsch der Deutschen. Man probt dort gerade: eine Nazi-Parodie. Hitler ist die beste Rolle.

Theater wird in dem Stoff von der Wirklichkeit überrollt, um dann wieder vom Theater übertrumpft zu werden. Es gibt mehrere Bühnenfassungen, die von Jürgen Hofmann heißt „Die Zeit ist aus den Fugen“ und hatte am Freitag (20.1.) im Hans Otto Theater Premiere.

Dass der Doppeltransfer auf die Bühne und ins Heute funktioniere kann, hatte Milan Peschel 2011 im Maxim Gorki Theater gezeigt: Da jagte er sein Team derart durch Slapstick und Wiederholungschleifen-Wortwitz, dass einem Hören und Sehen vergingen. Und ließ dann unverhofft den Abgrund erahnen, über dem die polnischen Spieler:innen im Stück sich bewegen. Sie spielen um ihr Leben.

Kostümtreue und Komik

Die Potsdamer Inszenierung von Tobias Rott kennt Kostümtreue und Situationskomik; Abgründe kennt sie nicht. Was nicht heißen soll, dass nicht auch hier die Spieler:innen alles gäben. René Schwittay gibt einen erstklassig dumpfen Gestapo-Chef, Jon-Kaare Koppe eine prima Hitler-Persiflage. Kristin Muthwill ist das vergrübelt-verzagte Abziehbild einer Regisseurin. Und Arne Lenk der eitle Theaterstar Josef Tura, ein Hamlet in enger Strumpfhose, mit schwarzer Pagenkopfperücke und formidablen Texthängern.

Für Lacher sorgen auch die schnittigen Dialoge mit Gattin Maria (flamboyant: Nadine Nollau), ebenfalls Schauspielerin. Sie, im Zank: „Wenn ich ein Kind kriege, bist du noch die Mutter“. Er: „Ich bin schon froh, wenn ich der Vater bin.“ Bestes Komödien-Pingpong. Wenn die Bühne sich von einer Szene in die nächste dreht, spielt Chopin. Als Professor Siletzky, ein deutscher Spion (Guido Lambrecht) auftaucht, weht kurz etwas von dem Abgrund herein, der hier Not täte: auserlesene Freundlichkeit, gepaart mit Schläue und Grausamkeit.

Auf den Versuch der Theaterleute, Siletzky das Theater als Gestapo-Hauptquartier zu verkaufen, fällt er nicht herein. Er muss weg, sonst droht Verrat. Auftritt Tura: als Ersatz-Siletzky. Er wirft sich in die Rolle wie zuvor in „Hamlet“. Beantwortet die Hamletsche Bühnen-Frage (Dulden oder Widerstand?) im Leben. Zugunsten des Letzteren.

Natürlich ist all das, fast ein Jahr nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine, durchaus aktuell. Umso erstaunlicher eine Inszenierung, über die es sich so unbedarft lachen lässt.

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