zum Hauptinhalt
Anna Haponiuk (40) mit Ihren Töchtern Daria (14) und Nika (1) feiern Weihnachten in Potsdam

© Andreas Klaer,PNN,Tsp / Andreas Klaer

Ukrainische Familie in Potsdam: Weihnachten fernab der Heimat – aber nicht allein

Viele Menschen aus der Ukraine können Weihnachten nicht zu Hause feiern. Familie Haponiuk verbringt das Fest mit einem Babelsberger Ehepaar.

Der Weihnachtsbaum steht bei Familie Haponiuk in Potsdam schon ein paar Tage. Auch der Wohnzimmertisch ist mit einem Gesteck und Kerzen dekoriert. Wie viele andere Familien aus der Ukraine können sie Weihnachten nicht so feiern, wie sie es gewohnt sind. Denn sie mussten in diesem Jahr vor dem russischen Einmarsch in ihr Land fliehen. Allein sind sie trotzdem nicht: Ein Potsdamer Paar hat sie eingeladen.

Die Familie stammt aus der Stadt Luzk in der Region Wolhynien im Nordwesten der Ukraine. Dort hatten sie eine Wohnung. Mutter Anna hat die Personalabteilung eines großen Einzelhandelsmarktes geleitet. Die inzwischen 14-jährige Tochter Dascha ging in die Schule. Ehemann Andrii arbeitete die Woche über in Kyjiw im Management einer Supermarktkette und pendelte die 400 Kilometer an den Wochenenden. Der inzwischen dreieinhalbjährige Luka und Baby Nika, 14 Monate alt, machen die Familie komplett.

Vergangenes Weihnachten war noch vieles anders. „Wir saßen mit der Familie in großer Runde um den Tisch“, erinnert sich Anna Haponiuk. „Wir haben bei meinen Eltern gefeiert. Sie wohnen nur zehn Minuten von unserer Wohnung entfernt.“ Das ist nun fast ein Jahr her. Gefeiert habe man damals im Januar, wie es in der orthodoxen Kirche üblich ist.

Zum ukrainischen Weihnachtsfestessen gehören zwölf Speisen, bis auf den Fisch alle fleischlos, so ist es Tradition. Los geht es um 18 Uhr, wenn der erste Stern am Himmel zu sehen ist. Dann gibt es ein Tischgebet. Die Geschenke liegen erst am nächsten Morgen unter dem Weihnachtsbaum oder unter dem Kissen, je nach Größe. „Wir haben darüber gesprochen, wie das Jahr gelaufen ist, und was im neuen Jahr besser werden wird“, erzählt sie.

Mehrere Raketen schlugen ein

Doch nichts davon ist so gekommen. Tochter Dascha wurde am frühen Morgen des 24. Februar aus dem Schlaf gerissen. „Ich dachte, draußen ist irgendwo Feuerwerk und habe versucht, wieder zu schlafen“, sagt sie. Mutter Anna schaute auf ihr stummgeschaltetes Smartphone und fand zwölf Anrufe von Ehemann Andrii vor. Als sie ihn zurückrief, habe er gesagt: „Anna, der Krieg hat angefangen.“ Sie solle mit den Kindern zu den Großeltern, denn die wohnen in einem Haus aus den 1950er-Jahren, das einen Luftschutzkeller besitzt. In der Stadt waren an jenem Morgen mehrere russische Raketen eingeschlagen. „Manche Sirenen heulten, andere nicht“, erinnert sich Anna.

 Ich dachte, draußen ist irgendwo Feuerwerk und habe versucht, wieder zu schlafen.

Dascha Haponiuk über den Ausbruch des Krieges

Am 27. Februar, nachdem Andrii von Kyjiw nach Luzk gekommen war, brach die Familie zur ungefähr 100 Kilometer entfernten polnischen Grenze auf. „Wir hatten kein eigenes Auto, deshalb setzte uns ein Fahrer dort ab.“ In verschiedenen Autos, unter anderem auf der Ladefläche eines Kleintransporters ohne Sitze und dank der Hilfe von fremden Leuten, schafften sie es über die Grenze.

Auch Andrii konnte ausreisen, denn als Vater von drei minderjährigen Kindern galt das Ausreiseverbot für wehrfähige Männer nach dem Kriegsrecht nicht für ihn. In Warschau holte sie schließlich ein Verwandter Andriis ab, der seit vielen Jahren in Potsdam lebt. „Wir haben sehr viel Glück gehabt“, sagt Anna.

Über den Verwandten hat die Familie auch die Schmittmanns kennengelernt. Das Ehepaar lebt in Babelsberg in einem Haus und hatte noch Zimmer frei. „Wir haben da eine Einliegerwohnung“, erzählt Michael Schmittmann. Die habe man gern zur Verfügung gestellt und sich auf Anhieb sehr gut verstanden. Auch die Nachbarn haben der Familie geholfen. „Wir haben in unserem Leben viel Gastfreundschaft erfahren. Davon wollten wir etwas zurückgeben“, sagt Schmittmann.

Eine glückliche Fügung, wie Anna Haponiuk sagt. „Für mich sind sie wie Eltern, nur in Deutschland.“ Man konnte sich auf Englisch verständigen. Die Zeit mit den vielen neuen Eindrücken in der ungewohnten Umgebung sei sehr intensiv gewesen. Das Paar half durch den deutschen Bürokratiedschungel und bei der Wohnungssuche. „Im Mai hat mein Mann in einer Firma für Lüftungsanlagen angefangen zu arbeiten, Dascha begann die Schule zu besuchen und wir sind in eine eigene Wohnung gezogen.“

Kontakt zu den Gastgebern habe die Familie noch regelmäßig. „Nun haben sie uns zu Weihnachten zu sich eingeladen.“ Am Heiligabend soll in Babelsberg bei Lindelies und Michael Schmittmann gefeiert werden. „Wahrscheinlich gibt es Plätzchen und Kuchen“, so Schmittmann. Es gebe ja immer etwas zu besprechen. „Vielleicht spielen wir auch ,Mensch ärgere dich nicht’ oder ich spiele auf meiner Gitarre.“

Wie es im neuen Jahr weitergeht, ist für die Familie unklar. Natürlich vermisse man die Heimat, so Anna Haponiuk. Aber wie lange der Krieg dauere, wisse wohl nur Putin. „Wir sind so froh, dass wir hier in Sicherheit sind“, sagt sie mit Baby Nika auf dem Arm.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false