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Weidenhof-Grundschule am Schlaatz: Nur etwa die Hälfte der Kinder nimmt an der Essensversorgung teil.

© Andreas Klaer/PNN

Hungrige Kinder am Schlaatz : Soziale Träger schlagen Alarm

Immer mehr Familien können sich das Schulessen nicht mehr leisten. Ausgerechnet am Schlaatz ist es am teuersten. Soziale Träger fordern ein kostenloses Angebot. So reagiert die Stadt Potsdam.

Soziale Träger haben sich wegen der dramatischen Situation vieler von Armut betroffener Familien in Potsdam mit einem offenen Brief an Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und die Stadtverordneten gewandt. In der reichen Landeshauptstadt, die sich mit dem Attribut „familienfreundliche Kommune“ schmücke, gebe es hungrige Kinder und Jugendliche sowie Familien in Armutslagen, heißt es darin. Besonders davon betroffen sei der Schlaatz.

Die Unterzeichnenden fordern dringend zum Handeln auf und verlangen unter anderem ein kostenloses Mittagessen an den Schulen. Der offene Brief wird unterstützt von der Stiftung SPI, die Trägerin der Schulsozialarbeit ist, vom Verein für Schulsozialarbeit „Paragraf 13“, vom Kinderklub „Unser Haus“, vom Bezirksverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) sowie vom Awo-Büro „Kinder(ar)mut“, der Awo-Kitakiezsozialarbeit in der Kita Kinderland im Schlaatz und vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) mit dem EJF-Verbund „Eva Laube“ und dem EJF-Familienzentrum Bisamkiez.

Nur jeder zehnte Gesamtschüler nimmt an der Essensversorgung teil

„Deutlich sichtbar wird die zunehmende Ernährungsarmut von Kindern und Jugendlichen am Schlaatz. Hier zeigt sie sich massiv“, heißt es im Brief. Das schließe aber nicht aus, dass das Thema auch in anderen Stadtteilen akut sei und die Brisanz in der gesamten Stadt wachse. Beispielhaft werden die Weidenhof-Grundschule und die Gesamtschule Am Schilfhof genannt. Von insgesamt 422 Grundschulkindern nehme nur die Hälfte an der täglichen Mittagsversorgung teil. Besonders bei den älteren Kindern, die nicht in den Hort gehen, sei die Teilnahme gering. Von den 713 Gesamtschülern nutze nur etwa jeder zehnte Jugendliche das Mittagsangebot.

Die sozialen Träger führen diese Werte auf die hohen Essenspreise zurück. Grundschüler zahlten pro Portion 5,51 Euro. In der Gesamtschule kostet ein Mittagessen 6,23 Euro. Der Kreiselternrat hatte die Preiserhöhung für das Schulessen im vergangenen Herbst beklagt. Ausgerechnet am Schlaatz seien die Essenspreise besonders hoch.

Die Situation ist nicht nur dramatisch, sondern auch gefährlich.

Offener Brief an den Oberbürgermeister und die Stadtverordneten.

„Welche Familien können sich diese Preise noch leisten?“, wird im Brief gefragt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die beiden Schulen Am Schlaatz die höchsten Mittagessenspreise in Potsdam haben. Außerdem seien die baulichen Gegebenheiten der beiden Schulmensen nicht darauf ausgerichtet, dass alle Kinder der Schule gut essen können. Doch die baulichen Situationen und Mängel dürften kein Hindernisgrund sein, um die Essensversorgung für alle Kinder und Jugendlichen der Schulen zu gewährleisten. „Die Situation ist nicht nur dramatisch, sondern auch gefährlich“, warnen die Verfasser des offenen Briefs. Immer mehr Lehrer und Schulsozialarbeiter würden von hungrigen Kindern berichten. Deren Anzahl habe sich in den vergangenen Monaten noch einmal auffallend erhöht. Das Problem sei während der Corona-Pandemie deutlich wahrnehmbar geworden.

„Hungrig bis in den Nachmittag“: Besonders am Schlaatz bekommen Kinder und Jugendliche oft nicht genug zu essen.
„Hungrig bis in den Nachmittag“: Besonders am Schlaatz bekommen Kinder und Jugendliche oft nicht genug zu essen.

© Andreas Klaer/PNN

Die Sozialarbeiter:innen in den Jugendclubs würden das Problem bestätigen, heißt es. Dort tauchten vermehrt Kinder und Jugendliche auf, die bis in die Nachmittagsstunden hinein nichts gegessen hätten. Die Clubs selbst hätten keine Budgets für Essen. Hinzu komme, dass die pädagogischen Sachkosten in den Budgets der Freizeiteinrichtungen seit mehr als zehn Jahren durch die Stadt trotz der Preissteigerungen nicht erhöht worden seien. Die Clubs seien aber gezwungen, die Sachmittel auch für Essen zu verwenden, weil zuerst der Hunger gestillt werden müsse. Im Brief zudem gefragt, was mit „all den hungrigen Kindern und Jugendlichen passiert, die bei keinem Kinder- oder Jugendclub angedockt sind“.

Stadt verweist auf das Bildungs- und Teilhabepaket

Die Unterzeichnenden des offenen Briefs beklagen, dass alle Anläufe für ein kostenloses Mittagessen in Schulen bisher gescheitert seien. Die Stadtverwaltung verweist in einer ersten Reaktion auf den offenen Brief auf das Bildungs- und Teilhabepaket, mit dem Eltern, die soziale Leistungen beziehen, kostenloses Schulessen für Kinder erhalten können. Die Stadt bezahle zudem für weitere Kinder und Jugendliche der Klassen 1 bis 10 die Kosten für ein Schulessen – für jene nämlich, die keine Sozialleistungen erhalten, aber sich ein Schulessen nachweisbar nicht leisten können. Entweder komplett oder bis zu einem Eigenanteil von einem Euro pro Essen, sagte Stadtsprecher Kai Fortelka auf PNN-Anfrage.

Die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Mittagsversorgung lasse nicht zwingend den Rückschluss zu, dass die Kinder hungern. „Gerade in der Gesamtschule sind Jugendliche aus dem gesamten Stadtgebiet, die vermutlich zum Teil auch andere Angebote im Umfeld der Schule zum Essen wahrnehmen“, sagte Fortelka. Auch in anderen Schulen nehme die Teilnahme an der Essenversorgung tendenziell ab, je älter die Kinder und Jugendlichen werden. „Ein Hungern dieser Kinder ist mit einer solchen Entwicklung aber nicht unbedingt verbunden“, so der Stadtsprecher. Laut Berechnungen der Verwaltung vom vergangenen Jahr würde ein komplett kostenloses Mittagessen die Stadt jährlich 14,3 Millionen Euro kosten.

Im offenen Brief wird dagegen ein niedrigschwelliges Angebot gefordert. Die Antragstellung des Bildungs- und Teilhabepakets sei für viele Familien zu kompliziert. Selbst in den Beratungsstellen falle die Beantragung des kostenfreien Schulessens zunehmend schwerer. Außerdem wird auf eine lange Bearbeitungszeit hingewiesen. Familien würden bis zu sechs Monate bis zur Bewilligung warten. Die nötige Vorauszahlung für das Schulessen könnten sich diese Familien nicht leisten. Hinzu komme eine lange Wartezeit bis zur Rückerstattung, heißt es im Brief.

Stadtverwaltung will Strategie gegen Armut entwickeln

Die Probleme würden durch die momentanen Preissteigerungen verstärkt. Selbst Doppelverdiener-Haushalte würden „ihre vier Kinder vom Mittagessen abmelden“, heißt es im Brief. Die sozialen Träger bezeichnen das Schulessen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Teil der Bildung. Hungrige Kinder könnten sich nicht auf den Unterricht konzentrieren. Mit einer kostenlosen Verpflegung in Kitas und Schulen müssten Kinder und Jugendliche trotz enormer Preissteigerungen nicht hungern.

Die Verwaltung werde sich des Themas annehmen und mit den Unterzeichnenden ins Gespräch kommen, sicherte Kai Fortelka zu. „Es darf nicht sein, dass Kinder kein Mittagessen erhalten, weil es sich die Eltern unter Umständen nicht leisten können.“ Die Stadtverwaltung entwickle derzeit eine Strategie zur Armutsprävention, in der es insbesondere auch um Kinderarmut gehe, so Fortelka.

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