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In der scheinbaren Ruhe am Campus in Golm sorgt eine Gruppe Jugendlicher für Randale und Zerstörung.

© Andreas Klaer/PNN

Hilferuf aus Golm: Jugendliche randalieren und greifen an

Aufgebrochene Autos, zerstörte Fenster, Hakenkreuze und Angriffe mit Feuerwerkskörpern: Der Jugendklub in Golm ruft mit einem Brandbrief um Hilfe.

Der Jugendfreizeitladen „Chance“ in Golm hat mit einem Brandbrief einen Hilferuf an Stadtverwaltung und Kommunalpolitik abgesetzt. Kathleen Knier und Birgit Uhde vom Leitungsteam fordern Unterstützung durch mobile Jugendarbeit. Sie berichten von andauernder Gewalt und Zerstörung, die von einer großen Gruppe Jugendlicher ausgehe. Allein für die ersten Tage des neuen Jahres listen sie zahlreiche schwere Straftaten auf, die von den 14- bis 17-Jährigen in Golm begangen worden sein sollen: Einbrüche, Diebstähle, Hakenkreuzschmierereien, aufgebrochene Fahrzeuge, eingeschlagene Scheiben, Beschädigungen an Fahrzeugen des Winterdienstes und ein Angriff auf die technische Leitzentrale der Universität mit Böllern und Raketen am 1. Januar, an dem bis zu 40 Jugendliche beteiligt gewesen sein sollen.

Ziele weiterer Angriffe seien Gebäude der Universität, des Studentenwerks und des Science Centers. Berichtet wird von Vandalismus in Außenanlagen und von zerstörten Möbeln in Innenräumen. So seien Jugendliche in Labore eingedrungen und hätten Vorlesungen gestört. Am Lesecafé seien am 9. Januar Scheiben zu Bruch gegangen. Außerdem seien Studierende auf dem Campus und im Bus von Jugendlichen bedrängt worden. Zwischen Bahnhof und Campus soll es auch zu einem körperlichen Angriff auf eine Person gekommen sein.

Die Polizei ermittelt gegen Jugendliche

Zur mutwilligen Zerstörung kommen Partys mit Vermüllung, Feuer und lauter rechtsradikaler „Indexmusik“. Im Brandbrief wird aufgelistet, was zu Bruch ging und entwendet wurde. Schäden gab es demnach auch am Fraunhofer-Institut, am Bahnhof Golm und an der Grundschule in Eiche. Dort seien Sofas aufs Dach geschleppt und heruntergeworfen worden. Automaten und Baustelleneinrichtungen seien beschädigt, Pflastersteine und Laternen aus Verankerungen herausgerissen worden. Seit anderthalb Jahren stehe der Jugendfreizeitladen im Austausch mit der Polizei. Es sei auch zu Kontrollfahrten der Polizei auf dem Campus gekommen, sagt Kathleen Knier.

Die Polizei spricht von einem „zunehmenden Anzeigen- und Einsatzgeschehen“ seit Oktober 2022. Es seien wiederholt Jugendliche durch Zeugen als Tatverdächtige benannt worden. Die Ermittlungen dazu dauerten an, sagt Daniel Keip, Sprecher der Polizeidirektion West. Zu Festnahmen sei es bisher nicht gekommen. Zur Herkunft der Jugendlichen mache die Polizei wegen der laufenden Ermittlungen keine Angaben.

Die Gruppe tritt gewaltbereit, laut, ungehemmt und respektlos gegenüber fremdem Eigentum auf.

Aus dem Brandbrief des Jugendfreizeitladens „Chance“ in Golm.

Weil es wiederholt zu Sachbeschädigungen am Campus kam, habe die Potsdamer Polizei vor Ort ein Sicherheitsgespräch mit der Universität geführt, sagte Keip. Die Polizei habe ihre Präsenz erhöht und eine „regelmäßige Bestreifung des Campus sichergestellt“. Uni-Sprecherin Silke Engel bestätigt den Austausch mit der Polizei. Es seien mehrere Anzeigen wegen der Vorfälle erstattet worden. Der Wachschutz sei mit einer „erweiterten Bestreifung“ beauftragt worden. Die Polizei empfehle eine Videoüberwachung. Diese solle aber erst eingesetzt werden, wenn „mildere Mittel keine Wirkung zeigen“, so Silke Engel. Universitäts-Präsident Oliver Günther tausche sich zu der Problematik auch mit Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) aus.

Dem Studentenwerk Potsdam sei durch Vandalismus ein Sachschaden im fünfstelligen Bereich entstanden, sagt dessen Sprecherin Josephine Kujau. Insbesondere Außenmöbel der Mensa seien wiederholt zerstört worden. Schmierereien an der Mensa und den Wohnheimen seien an der Tagesordnung. Nach der Silvesternacht hätten Studierende von einer bedrohlichen Situation berichtet. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) bestätigt die Vorfälle ebenfalls. Es komme vermehrt zu Einbrüchen, bei denen dann in Gebäuden randaliert wird, sagt AStA-Referent Nikolaus Hoffmann.

Bewilligte Streetworker-Stelle gibt es nicht

„Die Gruppen von der Straße können wir nicht mehr erreichen“, heißt es im Brandbrief. Es werde eine offene Sozialarbeit an den Wochenenden benötigt. Bei den Jugendlichen herrsche „viel Potenzial zur Umlenkung der Kräfte“. Deshalb werde dringend zur mobilen Jugendarbeit geraten. Über den Bedarf sei der Jugendhilfeausschuss im vergangenen Frühjahr informiert worden, sagt Kathleen Knier, die auch parteilose Ortsvorsteherin von Golm ist. Im Jugendhilfeausschuss am 29. September 2022 sei dann ein Beschluss zur Schaffung von zwei halben Stellen gefasst worden. Doch dazu kam es nicht.

Die Verwaltung habe schon während der Ausschusssitzung erklärt, „dass durch die Herausforderungen der Energiekrise und der sich verstärkenden Inflation im Haushaltsansatz sehr wahrscheinlich keine neuen Positionen aufgenommen werden können“, sagt Stadtsprecher Markus Klier. 

Die Ortsteile Golm und Eiche seien in den vergangenen Jahren überproportional gewachsen, heißt es im Brandbrief. Wie überall suchten Jugendliche nach pädagogigfreien Räumen. Das offene Angebot des Jugendfreizeitladens am Kuhfortdamm könne den Bedarf nicht mehr bewältigen. „Die Gruppe tritt gewaltbereit, laut, ungehemmt und respektlos gegenüber fremdem Eigentum auf.“ Es handle sich um bis zu 60 Jugendliche, die auch aus Bornim, Töplitz, Grube und Leest kommen. Kathleen Knier sagt, dass Jugendliche überall in der Stadt Freiräume suchten. Der Campus in Golm sei so ein Freiraum: gut erreichbar aus der Innenstadt und per Bus aus den Ortsteilen.

Das Problem habe sich mit der Corona-Pandemie entwickelt, erklärt Kathleen Knier. Damals blieb der Jugendfreizeitladen geschlossen, Angebote für junge Menschen gab es nicht. Inzwischen hätten viele Familien angesichts steigender Preise Probleme. Die Kinder und Jugendlichen würden darunter leiden, versuchten aus der Enge ihres Zuhauses auszubrechen. Es seien unterschwellige Probleme, die zu einer Gewaltspirale führten, so Kathleen Knier. Auch in dieser Woche sei es wieder zu Vandalismus gekommen. Die Sozialpädagogin spricht von einem „Hilferuf der Jugendlichen“, der zum Handeln zwinge. Die Not sei groß. „Wir können es nicht mehr aushalten.“

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