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Andreas Bergmann fand das Adventsessen in der Suppenküche „ganz ausgezeichnet.“

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Adventsessen in der Suppenküche Potsdam: Gänsekeule gegen die Einsamkeit

Zum vierten Mal waren die Gäste der Suppenküche Potsdam zum Adventsessen eingeladen. Doch während die Nachfrage in der Einrichtung immer größer wird, gibt es immer weniger Spenden.

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Es duftet festlich in der Suppenküche Potsdam, die ersten Gäste warten schon um zehn Uhr am ersten Dezembertag auf das, was einige von ihnen als ihr Highlight im Jahr bezeichnen: Das Adventsessen, organisiert vom Lions-Club Potsdam-Sanssouci, dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und der Stadt Potsdam. Andere haben sich einen Kaffee geholt, genießen es, einfach nicht alleine zu sein, und warten bis zur Mittagszeit, bevor sie bei der Ausgabe ihren Teller holen.

Dort erwartet sie eine Gänsekeule mit Rotkraut, Klößen und Sauce. 50 Portionen finanziert der Lions-Club seit 2020 jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit. „Es ist so bemessen, dass immer etwas übrig bleibt“, sagt Berthold Gauß vom Club. So würden auch jene, die etwa wegen Krankheit an dem Tag nicht kommen können, nicht zu kurz kommen. Das Menü selbst sei schon Tradition und werde nicht geändert. „Die Leute freuen sich darauf und sagen schon beim Verabschieden: ,Bis nächstes Jahr!’“

Die ersten zwei Jahre Gänseessen im Freien

Die ersten beiden Male fand das Essen wegen Corona im Freien statt, erst voriges Jahr zog es in die Räume der Suppenküche um, was auch Ruhe gebracht habe, sagt Fabian Lamster vom DRK. Ein Senior habe als Rückmeldung gegeben, das Adventsessen sei für ihn ein vorgezogener Heiliger Abend. „Wir freuen uns, wenn wir anderen eine Freude machen.“

Was soll ich denn den ganzen Tag alleine zu Hause machen?

Cornelia, 61, Gast beim Adventsessen in der Suppenküche Potsdam

Wer hierher kommt, hat einen Grund. Cornelia (61) ist nicht nur eine Adventsessen-Teilnehmerin der ersten Stunde, sondern sie kommt auch sonst fast jeden Tag in die Suppenküche. „Was soll ich denn den ganzen Tag alleine zu Hause machen?“, fragt sie. Ihre erwachsene Tochter hat mittlerweile ihre eigene Wohnung, der Mann ist vor drei Jahren verstorben. Außerdem sei das Essen genau in ihrer Preisklasse: Frühstück gibt es in der Suppenküche gratis, das Mittagessen kostet zwei Euro – da gibt es dann etwa Spinat mit Ei, Gulasch, gefüllte Paprikaschoten, Buletten oder Senfeier. Obdachlose dürfen sich über eine Gratis-Suppe am Tag freuen, für alle anderen gibt es am Samstag zu Mittag Suppe.

Gänsekeule mit Rotkohl und Klößen gab es jetzt schon zum vierten Mal beim Adventsesssen in der Suppenküche Potsdam.
Gänsekeule mit Rotkohl und Klößen gab es jetzt schon zum vierten Mal beim Adventsesssen in der Suppenküche Potsdam.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Obdachlos ist Cornelia nicht, auf die kostenlose Suppe muss sie also verzichten, aber zu Hause wartet eben nur ihre Katze auf sie, und das ist ihr einfach zu wenig Ansprache. Beim Adventsessen, das immer gut schmeckt, wie Cornelia bestätigt, sei die Atmosphäre dagegen immer gut. Es sei ein Highlight in der Vorweihnachtszeit. Und das Essen – so etwas Gutes gebe es bei ihr nicht. Am ersten Feiertag mache sie Kasseler, gemeinsam mit der Tochter, am zweiten isst sie dann wieder in der Suppenküche.

Als Dachdecker 45 Meter abgestürzt

Auch Andreas Bergmann (65) hat einen Verlust hinter sich, er hat seine Frau verloren. Darüber wird er aber nicht sprechen, fügt er gleich an. Auf keinen Fall. Zum Essen kommt er aber trotzdem erst einmal nicht, weil er aus seinem Leben erzählt: Bei seinen Großeltern in Seeburg bei Falkensee sei er aufgewachsen, in Groß Glienicke zur Schule gegangen. Die Liebe hat ihn nach Potsdam gebracht. Als Dachdecker und -klempner sei er dann abgestürzt – im wörtlichen Sinne: 45 Meter in die Tiefe. Sein Rücken, seine Knie, alles kaputt, sagt er.

Beruflich ging es als Traktorist in der Landwirtschaft weiter, bevor er wegen eines schweren Herzleidens eineinhalb Jahre im Krankenhaus verbrachte. Auch Diabetes steht auf seiner Krankheitsliste, wie bei einigen anderen der älteren Besucher hier. Jetzt lebt der 65-Jährige bei der AWO. „Angeln und Kochen – das ist das Schönste für mich“, sagt er. Seinen Weihnachtskarpfen könne er sich also selbst fischen und dann gleich für sich und einen guten Kumpel auf den Kochplatten in der Unterkunft zubereiten. Und dann kommt er doch noch dazu, seine Gänsekeule zu essen. „Ganz ausgezeichnet“, urteilt er.

Angelika Budnick war zum zweiten Mal beim Adventsessen in der Potsdamer Suppenküche.
Angelika Budnick war zum zweiten Mal beim Adventsessen in der Potsdamer Suppenküche.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Eine Wiederholungstäterin ist Angelika Budnick (66): Sie war vor zwei Jahren schon hier und wollte die Gänsekeule auch in diesem Jahr genießen. „Leider konnte ich nicht alles aufessen, weil ich Magenschmerzen habe“, sagt sie. Auch sie gehört zu den Menschen hier, die eine Lebensgeschichte zu erzählen haben: Nach der Geburt wurde sie direkt ins Heim abgegeben, insgesamt habe sie in acht Heimen in ganz Deutschland gelebt. Freundschaften habe sie gleich gar nicht geschlossen, weil die ohnehin nicht gehalten hätten, sagt sie. Später arbeitete sie als Telefonistin und Sachbearbeiterin, seit 21 Jahren ist sie in Frührente. Das Geld reiche aber nicht und sei zu knapp, sagt die Bornstedterin, die sich ehrenamtlich bei der Tierrettung engagiert.

Verdoppelung der Gäste, Verringerung der Spenden

50 bis 60 Menschen kommen am Tag in die Suppenküche in der Friedrich-Ebert-Straße 79/81, sagt Leiterin Jaqueline Fremde. Auch 70 seien es schon mal gewesen. Das sind deutlich mehr als vor Corona, etwa doppelt so viele. Es kämen alle, von Alt bis Jung, Rentner, Arbeitslose, Obdachlose, Potsdamer und Ausländer, Männer und Frauen. Neben der wirtschaftlichen Situation sei oft die Einsamkeit ein wichtiger Grund: „Viele Stammgäste kommen, weil sie auch mal ein Wort loswerden wollen“, so Fremde.

Die Verdoppelung der Gäste bei gleichzeitiger Verteuerung der Lebensmittel und der Energiepreise, „das passt schlecht zusammen“, sagt Dirk Brigmann, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Volkssolidarität, dem Betreiber der Suppenküche.

„Auch die Lebensmittelspenden von den Märkten gibt es nicht mehr in dem Umfang wie früher“, sagt er. Warum, wisse er nicht, vielleicht würde jetzt mehr an die Tafeln statt an die Suppenküche gehen, mutmaßt er. „Das heißt, wir müssen mehr dazukaufen, das geht zulasten des Trägers.“ Beziffern konnte er den Mehraufwand aber aktuell nicht.

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