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Teilnehmer am Protestcamp bauen ihre Zelte auf, während über ihnen ein Flugzeug fliegt.

© dpa/Paul Zinken

Systemkampf in Schönefeld: Aktivisten protestieren gegen Ausreisezentrum am Flughafen Berlin-Brandenburg

Unweit des BER in Schönefeld haben Aktivisten ein Protestcamp gegen das geplante Ein- und Ausreisezentrum am Flughafen eröffnet. Ihnen geht es um weit mehr, als nur den Bau zu verhindern.

Seit zehn Jahren wartet Seydou Zongo. Auf Klarheit. Auf eine Perspektive. Darauf, dass das Leben in Freiheit und Sicherheit endlich beginnen möge. Ganz so, wie er es sich erträumt hat, als er 2013 aus Burkina Faso nach Deutschland kam, weil er in dem Land in Westafrika als politischer Aktivist verfolgt worden sei.

Doch seither habe er vor allem Enttäuschungen und Diskriminierung erlebt. Sein Asylantrag in Deutschland sei abgelehnt worden, sagt er dem Tagesspiegel. Die Behörden würden ihm lediglich eine Duldung nach der nächsten gewähren. Seit einem Jahr und acht Monaten macht er nun eine Ausbildung im Gastronomiebereich – unbezahlt. Unterstützung vom Staat erhalte er nicht. Er wohne in einer WG in Berlin. Leisten könne er sich das nur, weil Freund:innen ihn finanzierten. Er hofft, mit abgeschlossener Ausbildung und Arbeitsvertrag schließlich doch noch die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Klar ist für ihn: „Was ich durchleiden musste, das soll möglichst eines Tages niemand mehr durchleiden müssen.“ Deshalb ist er am Donnerstag nach Schönefeld unweit des Flughafens BER gekommen. Dort hat die Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“ ein Protestcamp eröffnet gegen das vom Bund und der Brandenburger Kenia-Koalition geplante Ein- und Ausreisezentrum am Flughafen.

Forderung nach Bewegungsfreiheit für alle

Es geht der Initiative, hinter der Dutzende Organisationen stehen, allerdings nicht nur darum, das Zentrum zu verhindern. Vielmehr kämpfen die Menschenrechtsaktivisten für ein Ende des Abschiebesystems und absolute Bewegungsfreiheit für alle Menschen.

Mitglieder der Initiative „Abschiebezentrum BER verhindern“ äußern sich bei einem Pressegespräch in einem Zirkuszelt gegenüber Journalisten.

© dpa/Paul Zinken

Bei einer Pressekonferenz am Donnerstagvormittag beklagten betroffene Aktivist:innen, diskriminiert und kriminalisiert zu werden. Vielen werde der Zugang zu Arbeit und Bildung verwehrt, von ihrer Familie blieben sie isoliert. Obendrein verursache die gängige Abschiebepraxis Druck und Leid für Betroffene, hieß es. Die Angst und die von vielen empfundene Ausweglosigkeit hätten schon Menschen in den Tod getrieben. An diesem System müsse sich grundlegend etwas ändern, erklärten sie.

Das Protestcamp in Schönefeld war erst Anfang der Woche vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erlaubt worden. Zuvor hatte die Polizei Beschwerde dagegen eingelegt und diese damit begründet, Bedenken wegen möglicher Beeinträchtigungen des Geländes und der Natur zu haben. Auch die Nähe zum Flughafen BER stieß der Versammlungsbehörde auf.

Kritik an Blockade der Polizei

„Der Staat ist seiner Pflicht nicht nachgekommen, uns auf öffentlichem Land Platz für eine Versammlung zur Verfügung zu stellen“, beklagt Zoey Blaum* gegenüber dem Tagesspiegel. Die 28-Jährige, die ihren richtigen Namen aus Angst vor Repressionen nicht nennen wollte, gehört zum Organisationsteam. Tausende Euro habe es gekostet, das Camp zu organisieren, nur um dann erst kurz vorher eine Erlaubnis dafür zu erhalten.

„Wir können doch nicht als Bewegung jedes Mal solche Kosten und Mühen auf uns nehmen, um unser Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen zu können“, sagt Blaum*. Bereits im Vorfeld der Eröffnung warfen die Organisatoren der Polizei vor, das Camp aus politischen Motiven zu blockieren.

64
Plätze sind in dem Zentrum vorgesehen für Menschen, die ausreisen sollen.

Fraglich scheint indes, ob es der Initiative gelingen kann, das Ein- und Ausreisezentrum zu verhindern. Seit Monaten beklagen Brandenburger Kommunen, die Kapazitäten zur Unterbringung von Geflüchteten seien erschöpft. Es fehle an Geld, Kita-, Schulplätzen und weiterer Infrastruktur.

Das Zentrum soll dem Innenministerium zufolge angesichts weiter steigender Flüchtlingszahlen einen geordneten Ablauf der Ein- und Ausreiseverfahren ermöglichen. Geplant ist demnach ein Ausreisegewahrsam mit etwa 64 Plätzen für Menschen, die abgeschoben werden sollen. 54 Plätze in einem Transitgebäude sind zudem für Migrant:innen vorgesehen, die im Flughafenasylverfahren sind und gar nicht erst einreisen dürfen. Die Aktivisten kritisierten, das Konzept ziele einzig auf eine schnelle Abschiebung von Migranten.

Linke reicht Klage ein

Die Landtagsfraktion der Linken in Brandenburg teilte am Donnerstag mit, wegen der spärlichen Informationspolitik des Innenministeriums Klage beim Landesverfassungsgericht eingereicht zu haben. Trotz heftiger Kritik aus der Zivilgesellschaft und der Opposition werde an dem Bau festgehalten, sagte eine Sprecherin der Fraktion.

„Mehrfach habe ich versucht, Genaues über die Kosten und Verträge herauszufinden - vergeblich“, erklärte die Sprecherin für Migrationspolitik, Andrea Johlige. Nun klage man auf Akteneinsicht. Auch weil Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“ und der Plattform „FragDenStaat“ zufolge ein Investor bauen soll, der wegen Korruption vorbestraft sei. Bund und Land sollen demnach später das entsprechende Gelände von ihm mieten. 

Blick auf das Protestcamp. Bis zum 6. Juni werden sich Menschenrechtsaktivisten in der Nähe des Kiekebusch Sees mit dem Thema Abschiebung befassen.

© dpa/Paul Zinken

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag, Jan Redmann, erklärte hingegen: „Das Protestcamp ist ein falsches Signal und basiert auf einem fragwürdigen Rechtsverständnis.“ Abschiebungen – insbesondere von Straftätern – seien Teil eines verantwortungsvollen Asylrechts, „das vor allem die Schwächsten im Blick hat und verfügbare Kapazitäten auf deren Unterstützung ausrichtet“. Dafür müssten im Gegenzug diejenigen das Land verlassen, die nachweislich keinen Anspruch auf Asyl und Hilfe hätten.

Den Vorwurf, ihre Ziele seien unrealistisch, will Zoey Blaum* jedoch nicht gelten lassen. „Für reale Antworten muss ja erst mal der nötige Raum da sein. Ich finde es erbärmlich, zu sagen, das sei realpolitisch nicht umsetzbar, weil man es sich nicht vorstellen kann.“

Demonstration am Montag

Das Protestcamp soll nun bis kommenden Dienstag bestehen bleiben. Man rechne mit 400 bis 500 Teilnehmenden, sagt Castroya Nara vom Presseteam, der über die Organisation No Border Assembly am Camp beteiligt ist. Geplant seien am Montag eine Demonstration und allerhand Workshops, bei denen Menschen von ihrer Flucht und ihren Erfahrungen mit den deutschen Behörden berichten.

Castroya Nara kam als 10-Jähriger nach Deutschland. Er ist an der Organisation des Protestcamps beteiligt.

© Christoph Zempel/TSP

Es soll darum gehen, sich zu vernetzen, zu bilden und Strategien zu entwickeln. Abends würden Filme geschaut. Alles sei für Teilnehmende kostenlos, selbst das Essen und die Getränke. Man hoffe jedoch auf Spenden, um die Kosten decken zu können. Das bereits benötigte Geld sei ebenfalls durch Spenden zusammengekommen.

„Es kann nicht sein, dass der Gesundheitsminister nach Mexiko fliegt, um Arbeitskräfte anzuwerben, obwohl es hier so viele Menschen gibt, die arbeiten wollen, aber nicht dürfen.

Castroya Nara, Mitorganisator des Protestcamps

Der 30-Jährige Castroya Nara, der mit seiner Familie im Alter von zehn Jahren aus Eritrea nach Deutschland gekommen ist, hat einen festen Aufenthaltstitel und einen deutschen Pass. Er wünscht sich, dass Menschen auf der Flucht nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. „Wir wollen als Schwarze wie Weiße behandelt werden“, sagt er, auch mit Blick auf Geflüchtete aus der Ukraine. Und: „Es kann nicht sein, dass der Gesundheitsminister nach Mexiko fliegt, um Arbeitskräfte anzuwerben, obwohl es hier so viele Menschen gibt, die arbeiten wollen, aber nicht dürfen.“

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