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Roland Weber, Opferbeauftragter des Berliner Senats, vertritt als Anwalt auch Opfer sexualisierter Gewalt in Brandenburg.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

„Es tut mir in der Seele weh“: Brandenburg hinkt beim Opferschutz hinterher

Der Berliner Opfer-Beauftragte Roland Weber kritisiert den Umgang der Brandenburger Justiz mit Vergewaltigungsopfern. Schützende Videovernehmungen würden kaum genutzt.

Von Sandra Dassler

Herr Weber, Sie haben kürzlich kritisiert, dass die Justizbehörden in Brandenburg die Möglichkeiten des Opferschutzes bei Vergewaltigungsfällen nur unzureichend nutzen würden. Warum?
Ich vertrete als Anwalt oft junge Frauen, Jugendliche und sogar Kinder, die Opfer von Vergewaltigungen oder sexuellem Missbrauch wurden. Sie sind meist schwer traumatisiert. Und da fällt mir immer wieder auf, dass in Brandenburg vor allem die Möglichkeit der polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Videovernehmung nicht oder kaum genutzt wird. Dabei hat der Gesetzgeber dies aus gutem Grund im Jahr 2019 beschlossen.

Es geht dabei vor allem darum, dem Opfer vor Gericht die nochmalige Aussage zu dem vielleicht gerade einigermaßen verarbeiteten Geschehen zu ersparen, oder?
Genau, weil damit oft eine Retraumatisierung verbunden ist. Hinzu kommt noch die für viele Opfer als außerordentlich belastend empfundene Situation im Gerichtssaal. Da sind fremde Menschen anwesend, die Angeklagten und ihre Anwälte, die nur auf eine Schwäche oder einen vermeintlichen Widerspruch in der Aussage zu lauern scheinen.

Und mit der ermittlungsrichterlichen Videovernehmung kann man den Opfern das ersparen?
Ja. In Berlin gibt es zum Beispiel zwei Richterinnen, die Hunderte solcher Videovernehmungen im Jahr durchführen. Die Mädchen oder jungen Frauen sind allein oder mit einer psychosozialen Prozessbegleiterin in einem ganz normal eingerichteten Raum. Sie sprechen dort ausschließlich mit der Ermittlungsrichterin. Und empfinden das weniger als Vernehmung, sondern eher als eine Art Zwiegespräch, auch wenn sie natürlich wissen, dass es aufgezeichnet wird.

Aber wie wird gewährleistet, dass die Verteidiger des Beschuldigten, analog der Aussage im Gerichtssaal, ihre Fragen stellen können?
Das geht bei der Videovernehmung auch. Sie sitzen mit dem Tatverdächtigen in einem Nebenraum und können die Aussage des Opfers genau verfolgen. Haben sie Fragen schicken sie diese über einen Laptop an die Richterin. Oder diese unterbricht nach einer Weile die Vernehmung, geht in den Nebenraum und sammelt dort sozusagen die Fragen ein.

Und das reicht in der Hauptverhandlung aus?
In den allermeisten Fällen, ja. Denn nur wenn der Verteidigung noch ganz dringende Fragen einfallen, können sie den Antrag stellen, das Opfer doch noch einmal im Gerichtssaal zu hören. Aber das müssen wirklich gute Gründe sein.

Und das funktioniert nur in Berlin und nicht in Brandenburg?
In Berlin war ich jedenfalls in den letzten Jahren mit keinem minderjährigen Opfer mehr vor Gericht. Das ist für die Kinder und Mädchen eine große Entlastung. Und es tut mir in der Seele weh, dass ihre Leidensgefährtinnen in Brandenburg diese Möglichkeit nicht haben. Bislang wurde jeder diesbezügliche Antrag, den ich bei Verfahren dort gestellt habe, komplett abgelehnt.

Aber warum?
Ich bekomme dann meist zu hören, dass man „technisch für so etwas einfach nicht ausgestattet“ sei, dass man „so etwas noch nie gemacht“ habe und „gar nicht wisse, wie es geht“. Vielleicht ist es in einem Flächenland schwieriger, Videovernehmungen zu organisieren, aber mangelnde technische Ausrüstung oder mangelnde Schulung sollten nicht als Ausrede dafür gelten, dass Brandenburg beim Opferschutz anderen Bundesländern, vor allem aber Berlin, total hinterherhinkt.

Gilt das auch noch für andere Bereiche als die ermittlungsrichterliche Videovernehmung?
Leider ja. Ich höre immer wieder von Betroffenen oder ihren Eltern, dass die polizeilichen Vernehmungen in Brandenburg oft von Männern durchgeführt werden, die noch dazu nur selten wirklich auf Sexualdelikte spezialisiert sind. In Berlin ist es selbstverständlich, dass bei solchen Fällen auf Wunsch Frauen und generell gut geschultes Personal zum Einsatz kommen.

Ich höre immer wieder, dass die polizeilichen Vernehmungen in Brandenburg oft von Männern durchgeführt werden, die noch dazu nur selten wirklich auf Sexualdelikte spezialisiert sind.

Roland Weber, Rechtsanwalt und Opferbeauftragter in Berlin

Der RBB hat unlängst über den Fall eines jungen Mädchens berichtet, das Ähnliches erlebt hat – übrigens auch bei der ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Verletzungen.
Ja, ich kenne den Fall. Das Mädchen war noch nie bei einem Frauenarzt gewesen und sollte dann unmittelbar nach der Tat von einem Mann untersucht werden. Nur weil ihre Mutter dabei war und insistiert hat, wurde schließlich eine Ärztin gerufen.

Wäre das nicht ein Fall für Sie als Opfer-Beauftragten?
Ja, wenn es in Berlin passiert wäre. Brandenburg hat leider als einziges Bundesland keinen Opfer-Beauftragten – warum auch immer. Das konnte mir noch keiner erklären.

Was würden Sie Vergewaltigungs-Opfern generell raten?
Grundsätzlich sollten sie sich zuerst an die entsprechenden Opferhilfe-Einrichtungen wenden. Die gibt es auch in Brandenburg und sie haben sowohl die Erfahrung als auch die Netzwerke und  kennen gute Anwälte. Und sie wissen, dass Opfer von Sexualdelikten sich oft alleingelassen fühlen und können auch entsprechende psychosoziale Hilfe vermitteln.

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