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Landeschef Péter Vida.

© ZB/Soeren Stache

„Ernsthaft mitverhandeln“ und acht Prozent: Freie Wähler wollen in Brandenburg mitregieren

Zwischen der Brandenburger CDU und den Grünen kriselt es. Das könnte BVB/Freie Wähler nutzen – Landeschef Péter Vida über die Ziele bei der Landtagswahl 2024.

| Update:

Herr Vida, seit drei Jahren sitzen BVB/Freie Wähler mit fünf Abgeordneten im Brandenburger Landtag. Was haben Sie in dieser Zeit geschafft?
Wir haben es geschafft, dass unsere Themen in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden. Und wir haben es geschafft, dass viele unserer Anträge zumindest in einen Ausschuss überwiesen wurden und dann zum Beispiel in einen gemeinsamen Antrag mit der Landesregierung einflossen oder von der Koalition in ihre Anträge übernommen wurden.

Was meinen Sie da konkret?
Ich denke an verschiedene Anträge zum Thema Wasserversorgung, die wir gestellt haben. Hier sind viele unserer Ideen in einen Antrag der Landesregierung eingeflossen, etwa die bessere Abstimmung mit Berlin. Ich denke an den Antrag zur Ausstattung der Schulen mit Menstruationshygieneartikeln, der in den Ausschuss überwiesen werde. Ich denke daran, dass wir beantragt haben, dass der Karneval in Brandenburg Kulturgut werden soll – dazu gab es immerhin eine Anhörung im Landtag.

Dann haben wir zum Beispiel auch die Vertretung der kleinen Gemeinden in den Regionalversammlungen durchsetzen können, was in den ländlichen Regionen ein wichtiges Thema ist – denn die Versammlungen entscheiden über die Ausweisung von Windkraftgebieten. Und zuletzt wurde ein Antrag überwiesen, der eine bessere Finanzierung der Ausbildung von Rettungsschwimmern erreichen will.

Worauf führen Sie zurück, dass Ihre Anträge im Unterschied zu Anträgen anderer Oppositionsfraktionen wenigstens ab und an erfolgreich sind?
Unsere Anträge drehen sich um Sachthemen. Wir wollen sachliche Lösungen für sachliche Fragen, die im Alltag der Bürger eine Rolle spielen. Uns geht es nicht um politische Großkampfthemen oder Ideologien: Wir wollen für konkrete Dinge, die wir als Landtag im Land ändern können, machbare Vorschläge unterbreiten. Und das führt gelegentlich dazu, dass selbst die Regierungsfraktionen einräumen müssen, dass wir in ein paar Punkten richtig liegen und dann darauf eingehen.

Was ist Ihr Ziel für die nächste Wahl 2024?
Unser Ziel ist es, acht Prozent der Wählerstimmen zu erreichen. Ich weiß, dass das ambitioniert ist. Ich weiß aber auch, dass es machbar ist: Die Umfragen sehen uns im Moment zwischen fünf und acht Prozent. Diese acht Prozent sollten uns dann dazu befähigen, Koalitionsgespräche über eine mögliche Regierungsbeteiligung zu führen. Darüber wollen wir nach der nächsten Wahl ernsthaft mitverhandeln.

Was wäre denn in einer Regierung mit BVB/Freie Wähler anders, als in der heutigen Kenia-Koalition?
Wir können garantieren, dass von uns keine ideologischen Debatten ausgehen werden: Gucken Sie sich doch nur mal die Schaukämpfe an, die es ständig zwischen CDU und Grünen gibt, ganz egal, ob es um Energie, Verkehr oder Flüchtlingspolitik geht. So etwas wird es mit uns nicht geben.

Und dann würde eine solche Regierung einen stärkeren Fokus auf Brandenburg haben: Da wir keine Bundespartei haben, auf die wir Rücksicht nehmen müssen, können wir uns stärker um die Anliegen aus der Region kümmern. Wir werden noch einmal die Erschließungsbeiträge thematisieren, wir werden die medizinische Versorgung im ländlichen Raum zum Thema machen, und wir werden die Digitalisierung noch einmal aufrufen: Die CDU ist ja kläglich daran gescheitert, das Thema überhaupt nur ansatzweise voranzubringen.

Wir müssen wahrnehmen, dass die Probleme, die die AfD benennt, häufig in der Situationsbeschreibung einen zutreffenden Kern haben. 

Péter Vida

Wer werden Ihre Hauptgegner im Wahlkampf sein?
Die Polarisierung in unserer Gesellschaft ist ja in den letzten Jahren deutlich vorangeschritten. Auf der einen Seite steht da die AfD, auf der anderen Seite die Grünen. Und ich glaube, beide Pole brauchen eine Kraft aus der politischen Mitte, die ihnen etwas entgegensetzt, und so wie BVB/Freie Wähler nach Lösungen für die Bürger sucht.

Was heißt das für den Umgang mit der AfD?
Wir müssen wahrnehmen, dass die Probleme, die die AfD benennt, häufig in der Situationsbeschreibung einen zutreffenden Kern haben. Die Probleme müssen wir ernst nehmen. Für die Probleme müssen wir Lösungen finden, die pragmatisch sind, die man umsetzen kann und praktizieren kann.

Wie wäre das zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik?
Für BVB/Freie Wähler sind Nächstenliebe und Humanismus hier die Grundlage: Wir haben uns immer gegen die Grenzkontrollen, wie sie von CDU und AfD gefordert werden, ausgesprochen: Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden im Verhältnis zu unserem wichtigsten Partner Polen wäre immens. Gleichzeitig sehen wir, dass die Zahl der Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive massiv gestiegen ist. Hier muss gelten: Wer als Asylbewerber abgelehnt wurde, muss dann auch abgeschoben werden.

Was wir aber keinesfalls brauchen, sind Debatten über eine Aushöhlung des geltenden Asylrechts, wie sie jetzt von der CDU geführt werden. Wir brauchen vielmehr eine bessere Integrationspolitik: Wer unsere Sprache lernt, soll dabei unterstützt werden. Ausländische Berufsabschlüsse müssen viel schneller anerkannt werden. Wir müssen die Verweildauer in Übergangswohnheimen verkürzen, weil Integration in Massenunterkünften nun einmal nicht funktioniert.

Bei mir im Landkreis Barnim kenne ich so viele Familien, die sich hervorragend integriert haben und die in der regionalen Wirtschaft zu wirklichen Leistungsträgern geworden sind – davon brauchen wir noch viel mehr. Wir halten es deswegen für falsch, wie sich die CDU in der Flüchtlingspolitik immer mehr der AfD annähert – wir sind aber auch keine Linken, die hier träumend durch die Welt laufen, und sagen: Alles ist okay, was hier gerade läuft. Da beziehen wir als BVB/Freie Wähler eine Position der Mitte, in der wir uns sowohl von den Rechten als auch von den Linken unterscheiden.

Im Landtag gibt es manche, die Ihnen Populismus vorwerfen. Wie gehen Sie damit um?
Es hilft nicht, wenn Menschen, die Missstände benennen, immer mit so einem Pauschalurteil belegt werden. Das führt ganz schnell dazu, dass die Bürger echten Populismus auch nicht mehr erkennen. Wenn quasi jeder, der Regierungskritik äußert, erst erstmal dieses Zauberwort umgehängt bekommt, führt das zu einer Entfremdung von der Politik.

Wer ist denn aus Ihrer Sicht ein Populist?
Ein Populist ist jemand, der bei der Problembeschreibung Halt macht. Wenn aber jemand das Problem benennt, aber auch Lösungen bietet, Kompromisse eingehen kann und entsprechend tiefgründig mitdiskutiert, dann macht er sachorientierte Politik und hat dieses Schmähwort nicht verdient.

Sie haben ein Video veröffentlicht, in dem Sie in eine ungeschälte Orange beißen. Machen Sie das eigentlich immer so?
Nein, mir ist durchaus bewusst, wie man solche Früchte konsumiert. Das war nur der öffentlichen populistischen Erregung Rechnung tragend. Ein kleiner Gag.

Also doch Populismus?
Nein, da ging es um Werbung. Und dass Sie danach fragen, zeigt ja, dass der Werbegag auch funktioniert hat.

Brandenburg war in den letzten Jahren von Krisen geprägt, und oft hatten Woidke und sein Kabinett keine Lösungen parat.

Péter Vida

Lassen Sie uns etwas über Dietmar Woidke reden. Brandenburgs Ministerpräsident ist heute fast zehn Jahre im Amt. Wie nehmen Sie ihn wahr?
Wir sehen, dass Dietmar Woidke als Person eine hohe Glaubwürdigkeit hat. In der Bevölkerung wird ihm ein hoher Respekt entgegengebracht. Er verkörpert die Rolle des Landesvaters, und das macht er gut – er strahlt zum Beispiel eine Gelassenheit aus, die Menschen wie ich selbst zuweilen wohl noch lernen müssen. Aber er hat nicht in jeder Situation die richtigen Antworten.

Brandenburg war in den letzten Jahren von Krisen geprägt, und oft hatten Woidke und sein Kabinett keine Lösungen parat. Das hat auch zum Erstarken der politischen Ränder geführt. Ich würde mir wünschen, dass Woidke in bestimmte Debatten stärker eingreift, Orientierung gibt, und generell präsenter ist. Für die Situation, in der sich das Land gerade befindet, ist Dietmar Woidke unangemessen zurückhaltend.

Wäre Jan Redmann (CDU) ein besserer Ministerpräsident?
Ich glaube, wer Ministerpräsident wird, hängt am Ende vom Wahlergebnis und dem Willen der Wähler ab. Und dann kann man dazu eine Aussage treffen. Vorher verbietet es sich aus meiner Sicht, eine Person unangemessen hochzuheben oder vorzeitig fallenzulassen.

Es ist noch ein Jahr bis zur Landtagswahl. Was sind die drei wichtigsten Themen für BVB/Freie Wähler auf dem Schlussspurt?
Wir wollen beim Thema ÖPNV massiv nachsteuern. Das ist aus meiner Sicht das Paradethema für die Frage gleichwertiger Lebensverhältnisse im Land. Wir wollen noch einmal sehr deutlich über Taktverdichtungen, Zubringerverkehre und Netzerweiterungen reden. Und natürlich auch über das teilweise katastrophale Baustellenmanagement.

Dann wird es, wie gesagt, um die medizinische Versorgung im ländlichen Raum gehen. Wir wollen über die Ausgaben für die MVZ sprechen, über eine Erweiterung des Schwester-Agnes-Modells und eine Erleichterung für Ukrainerinnen und Ukrainer, hier derartigen Tätigkeiten nachzugehen. Und dann braucht es aus Brandenburg noch mal ein klares Stoppzeichen für die Energiepolitik der Bundesregierung – das verfehlte Gebäudeenergiegesetz und die hohen Strompreise im Land. Das sind drei wichtige Punkte, die bis zu den Wahlen noch einer vertiefenden Beschäftigung bedürfen.

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