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Immer dem Schild nach.

© Michael Kappeler/dpa

Update

Klinsmann, Kramp-Karrenbauer, Kardinal Marx: Warum viele Mächtige ihr Amt hinwerfen

In Politik, Sport und Kultur häufen sich die schnellen Rücktritte. Vertrauen verfällt in immer kürzerer Zeit. Ein Kommentar.

Und wer schmeißt heute hin? Ein bislang seltenes Phänomen greift in Politik und Gesellschaft um sich: der Rücktritt. Das eigentlich letzte Mittel, Machtprozesse zu entscheiden, wird zum erstgewählten. Annegret Kramp-Karrenbauer überlässt den mächtigen und scheinmächtigen Männern der CDU die Partei, nachdem sie sich als Chefin in nur 14 Monaten in eine politische Ohnmächtigkeit hineinmanövriert hat.

Jürgen Klinsmann schmeißt bei Hertha BSC den Fußball und seine großspurigen Visionen in die Ecke und flüchtet nach elf Wochen Big City Chaos Club zurück in die USA.

Auch Kardinal Reinhard Marx will sein Amt als Herr der deutschen Katholiken lieber abgeben, bevor seine innerkirchlichen Reformen des synodalen Weges auf Erden umgesetzt sind. Und Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich von Gnaden der AfD – nun ja, der hatte sein Amt zum Glück nie richtig angetreten.

Der Umgang mit den Mächtigen hat sich geändert

Trotz der auch zufälligen Häufung innerhalb weniger Tage stellt sich die Frage, warum Rücktritte so attraktiv geworden sind für Menschen, die sich zum Teil jahrzehntelang an die Spitze gearbeitet haben. Die Antwort ist für Deutschland nicht gerade schmeichelhaft. Denn so wie der Umgang der Mächtigen mit ihrer Macht hat sich auch unser Umgang mit ihnen geändert. Nicht zum Guten. Rücktritten geht oft fehlender Rückhalt voraus; in kaum einer Rücktrittserklärung fehlt diese Klage. In einer daueraufgeregten und auch durch die sozialen Medien stark personalisierten Welt verfällt das Vertrauen in Führungsfiguren in immer kürzerer Zeit.

Die Öffentlichkeit kennt kein Erbarmen

Eine Motivation für Kramp-Karrenbauers Rückzug von der CDU-Spitze (neben dem Agieren von Angela Merkel als Überparteivorsitzende) war, dass sie sich nicht derart zerreiben lassen wollte wie einst SPD-Chefin Andrea Nahles. „Ich hoffe sehr, dass es Euch gelingt, Vertrauen und gegenseitigen Respekt wieder zu stärken und so Personen zu finden, die ihr aus ganzer Kraft unterstützen könnt“, rief Nahles ihrer Partei hinterher. Und zog sich aus der Öffentlichkeit, die zu selten ein Erbarmen hat, zurück.
Hinzu kommt eine Reformskepsis deutscher Institutionen nicht nur in der Politik. Diese Erfahrung machte etwa das Intendanten-Duo Sasha Waltz und Johannes Öhman: Sie wollten das Berliner Staatsballet von oben (und wohl auch etwas von oben herab) modernisieren, warfen aber bei erstbester Gelegenheit ihre gemeinsame Führung auf den Tanzboden.

Auch Schriftsteller Florian Illies hatte sich die Leitung des Rowohlt Verlages wohl einfacher vorgestellt und wechselte schnell zurück auf die ihm vertraute Seite. Doch gegen Beharrungskräfte hilft nur eigene Beharrlichkeit. Angela Merkel macht das vor, reizt es aus – so sehr, dass sie zur Beharrungskraft ihrer eigenen Macht wird.

Zähigkeit ist auch vonnöten

Jürgen Klinsmann hatte im Kleinen alle Chancen, das große Ganze zu ändern. Von jetzt auf gleich konnte er – gestützt durch das schnelle Geld des windigen Investors Lars Windhorst – die Umwandlung von Hertha in einen Fußballverein mit Anspruch anschieben und dafür Millionen aus dem Transferfenster werfen. In seinen eigenen Ambitionen fühlte er sich aber von Manager Michael Preetz ausgebremst (was dazu führen könnte, dass er nun als Aufsichtsratsmitglied auf Preetz’ Rückzug drängt).

Die Zähigkeit allerdings, die den Spielern im Abstiegskampf abverlangt wird, hat er selbst als Trainer vermissen lassen (was ihn nun als Aufsichtsratsmitglied schwächt). Rücktritte können durchaus Entscheidungsmacht verleihen – aber nur, wenn sie gut geplant sind. Klinsmann, der kulturelle Unterschiede bei der Führungskultur in Deutschland und in anderen Ländern und Ligen sieht, scheint das inzwischen sogar einzusehen, wie sich am Mittwochabend bei seinem eilig einberufenen Facebook-Chat mit den Hertha-Fans zeigte. Nun ist es allerdings zu spät, abgegebene Macht zurückzugewinnen.

Neues muss auch wachsen

Alles auf einmal anders machen: Das sollte man nicht ganz allein wollen. Veränderung benötigt eine mittelfristige Strategie und eine klare Kommunikation (auch eigener Fehler). Und Verbündete, die man durch Vertrauen gewinnt. Sonst ist man als Reformer schnell allein im Leitungsbüro. Und beklagt fehlenden Rückhalt. Gesellschaft lebt von Wandel. Deshalb sollte die Öffentlichkeit länger bereit sein, Neues wachsen zu lassen. Sonst werden Mächtige immer schneller ohnmächtig. Und keiner will mehr Macht, um etwas draus zu machen.

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