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Wladimir Putin, Präsident von Russland, am Sarg des dem ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow im Zentralklinikum in Moskau.

© dpa

Exklusiv

Ringen um Gorbatschow-Abschied: Statt Reise nach Moskau nur eine Gedenkminute im Bundestag

Putin und sein Krieg verkomplizieren den Abschied von Gorbatschow. Statt einer Teilnahme am Begräbnis in Moskau soll es ein kurzes Gedenken im Bundestag geben.

Es soll ein würdiges Andenken an den Mann geben, der die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte, aber wie? Wegen des von Wladimir Putin angezettelten Krieges in der Ukraine und angesichts der der Tatsache, dass Russland dem verstorbenen Michail Gorbatschow kein Staatsbegräbnis ausrichtet, ist keine Reise von Kanzler Olaf Scholz (SPD) oder anderer führender Vertreter der Bundesrepublik zur Trauerfeier am Samstag nach Moskau geplant.

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Nach Tagesspiegel-Informationen wurde zunächst eine größere Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag diskutiert, allerdings ist der Terminplan für die erste Sitzungswoche nach der Sommerpause bereits eng getaktet.
Eine Variante war demnach der Mittwochmorgen, allerdings würde das bedeuten, dass direkt danach die Generalaussprache über den Etat von Bundeskanzler Scholz für 2023 stattfinden würde – traditionell eine Abrechnung der Opposition mit der Regierungspolitik. Wäre das angemessen?

Stattdessen soll es nach intensiven Debatten nun lediglich ein kurzes Gedenken geben. „Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird das herausragende Lebenswerk des früheren sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow vor Beginn der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch, 7. September, würdigen“, teilte ein Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage mit. „Es wird eine Gedenkminute zu Ehren des Verstorbenen geben.“

Das Reichstagsgebäude wird zudem ganztägig halbmast beflaggt. Der Friedensnobelpreisträger von 1990 und Präsident der Sowjetunion war am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben.

Mehrere Abgeordnete machen sich dagegen für eine Gedenkstunde im Bundestag stark. „Ich unterstütze es, dass sein Verdienst für Frieden und die Wiedervereinigung im Deutschen Bundestag gewürdigt wird“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) dem „Spiegel“.

„Es sollte einen deutschen Trauerakt für Michail Gorbatschow geben“, sagte auch CSU-Chef Markus Söder dem „Münchner Merkur“. „Deutschland hat ihm viel zu verdanken, er ist einer der Väter der Wiedervereinigung und hat Millionen Menschen ihre Freiheit geschenkt. Das muss Deutschland würdigen.“

Der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte dem „Spiegel“, ihm schwebe eine Gedenkveranstaltung vor, „auf der man den Unterschied zwischen Putin und Gorbatschow deutlich macht, damit die scharfe Kritik an Putin nicht zu einer Ablehnung von Gesamtrussland führt“.

Nicht alle halten Gorbatschow-Gedenken im Bundestag für sinnvoll

Etwas anderer Meinung mit Blick auf eine Gedenkveranstaltung ist der menschenrechtspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Michael Brand (CDU). „Das größte Verdienst von Gorbatschow ist, dass er im Angesicht des Machtverlustes sich gegen Gewalt entschieden hat“, sagte Brand dem Tagesspiegel. „Wenn wir ausländische Persönlichkeiten ehren wollten, dann wären das eher die, die von Anfang an für die Freiheit waren wie Papst Johannes Paul II., die amerikanischen Präsidenten Reagan und Bush und andere wichtige Vorreiter wie Václav Havel – der in der Diktatur friedlich für die Freiheit gekämpft hatte und dafür zu Gefängnis verurteilt wurden.“

Mitte Februar kam es zum bisher letzten Treffen in Mosklauf zwischen Putin und Kanzler Olaf Scholz - dieser plant bisher nicht, zum Gorbatschow-Begräbnis nach Moskau zu reisen.

© dpa/Sputnik/Russian President Press Office/Mikhail Klimentyev

Aufbahrung im Säulensaal

In Regierungskreisen hieß es, in Moskau könnte die Deutsche Botschaft die Bundesrepublik vertreten und Gorbatschow die letzte Ehre erweisen. Vor dem Begräbnis soll Gorbatschow im Säulensaal des Gewerkschaftshauses im Zentrum Moskaus aufgebahrt werden, dort finden traditionell Trauerfeiern für ranghohe russische Politiker statt. Anschließend soll der ehemalige Generalsekretär auf dem Nowodewitschi-Friedhof beigesetzt werden – neben seiner Frau Raissa, die schon 1999 gestorben ist.

Wegebereiter der Einheit: Michail Gorbatschow und Helmut Kohl.

© imago/Mauersberger

Merz zieht mit Vorstoß Kritik auf sich

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte der deutschen Staatsspitze empfohlen, im Falle eines Staatsbegräbnisses für Gorbatschow nach Russland zu reisen. „Ich würde es jedenfalls den Staats- und Regierungschefs auf der europäischen Seite empfehlen, eine Einladung anzunehmen, wenn sie denn ausgesprochen wird“, sagte Merz dem Fernsehsender Bild TV. Merz bezeichnete Gorbatschow als „Glücksfall für die Bundesrepublik Deutschland“.

Wenngleich ohnehin kein Staatsbegräbnis für den wegen seiner Entspannungspolitik und dem Ende der Sowjetunion in Russland umstrittenen Gorbatschow geplant ist, kam scharfe Kritik an Merz’ Forderungen auch aus den eigenen Reihen. So betonte der konservative Publizist Andreas Püttmann: „Unfassbar instinktlos dieser Merz. Bei allem Respekt für Gorbatschow: Wir leben in der grausamen Gegenwart eines faschistisch-totalitären Russlands im Krieg.“

Allgemein wurde gewarnt, dass Putin ausländische Gäste instrumentalisieren – oder sie gar nicht einreisen lassen könnte.

Ein Bild aus dem Jahr 2004: Gorbatschow und der russische Präsident Putin.

© Carsten Rehder/dpa

Putins kühler Abschied - keine Zeit für Teilnahme an Begräbnis

Putin selbst schuf derweil ein historisches Bilddokument. Äußerst kühl blickt er am Donnerstag auf den ohne Ehrenwache in einem offenen Sarg aufgebahrten Gorbatschow im Moskauer Zentralkrankenhaus. Dort ist Gorbatschow gestorben. Der Mann, der einen großen Krieg in Europa angezettelt hat, am Sarg des Mannes, der den Kalten Krieg beendet hatte.

Das russische Staatsfernsehen zeigte Bilder, wie Putin rote Rosen niederlegt und für einige Zeit am Sarg verharrt. Dann verbeugt er sich, legt seine Hand auf den Sarg und macht ein Kreuzzeichen. An der Begräbnisfeier am Samstag wird Putin nicht teilnehmen. Es gebe Terminschwierigkeiten, der Präsident sei in Kaliningrad, teilte Regierungssprecher Dmitri Peskow mit. Er erklärte, Putin habe ja Gorbatschow nun bereits die Ehre erwiesen.

„Elemente“ eines Staatsbegräbnisses

Zudem erklärte Peskow, die Beerdigung werde „Elemente“ eines Staatsbegräbnisses enthalten. Dazu gehöre eine Ehrengarde. Außerdem werde der Staat bei der Organisation helfen. In Russland machen nationalistische Kreise und große Teile der Bevölkerung Gorbatschow verantwortlich für den Zerfall der Sowjetunion, in dem Putin eine geopolitische Katastrophe sieht. Sein Krieg gegen die Ukraine ist der Versuch, das imperiale Russland wiederzuerrichten – und die Geschichte zu revidieren.

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