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SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Kanzler Olaf Scholz (rechts) wollen die SPD auf Reformkurs halten.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Scholz beim SPD-Parteikonvent dabei: Generalsekretär Kühnert will keinen Kanzlerwahlverein

Das „sozialdemokratische Jahrzehnt“ zeichnet sich bisher nicht ab, nun will die SPD den Kurs für die Zukunft festlegen. Dabei blickt die Partei angespannt einem Urteil aus Karlsruhe entgegen.

| Update:

Kevin Kühnert hat die Entwicklung der Union unter Angela Merkel genau analysiert. Mit der SPD dürfe das nicht passieren, bei der Union sei kaum noch diskutiert worden und meist seien nur noch Grußworte gesprochen worden, findet der Generalsekretär. Daher wolle er keine „Quatschbudenveranstaltung“.

Erstmals seit der Corona-Pandemie trifft sich die SPD an diesem Wochenende wieder in Präsenz in größerer Zahl zum Debattenkonvent – der Generalsekretär und die Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil wollen die Kanzler-Partei so aufstellen, dass neben all den Krisen auch die Zukunft nicht vergessen wird. Aber der Grat ist schmal.

Kühnert will einerseits keinen Dauerstreit wie zur Regierungszeit Gerhard Schröders, dessen Kanzlerschaft am Ende auch am linken Flügel und den Verwerfungen durch die Hartz-IV-Reformen scheiterte. Aber er will auch keine „Papageien, die dem Bundeskanzler nachplappern sollen“, betont er im Willy-Brandt-Haus. Die SPD dürfe kein zahmer Kanzlerwahlverein werden. Er wünsche sich, dass die Mitglieder parallel zu den Zwängen des Regierungshandelns und mitunter schmerzhafter Koalitionsdisziplin Konzepte und neue Ideen entwickeln.

Es ist nicht so, dass wir an der Wirklichkeit vorbeifliegen.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert

Unter der Vorsitzenden Andrea Nahles war 2018 die Idee des Debattencamps entwickelt worden, dort wurde vor allem ein Konzept entwickelt, um das bisherige Hartz-IV-System zu reformieren. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, versprach Nahles. Kühnert sieht die SPD vier Jahre später hier fast am Ziel, allerdings könnte sich wegen des Widerstands der Union die für Januar geplante Einführung des neuen Bürgergeldes mit höheren Sozialhilfesätzen, weniger Sanktionen und höheren Schonvermögen verzögern.

Bisher hält, als Lehre aus der Vergangenheit, die Geschlossenheit der Partei, auch wenn es Grummeln über die Kommunikation des Regierungshandelns gibt, der nächste Lackmustest wird sein, die milliardenschweren Entlastungen durch die Gas- und Strompreisbremse zu vermitteln.

Vor allem Klingbeil hat zuletzt für die Partei wichtige Akzente gesetzt, mit programmatischen Reden zu den Fehlern der Russlandpolitik und der schweren Aufgabe, Sicherheit gegen ein feindseliges Russland zu organisieren und eine stärkere Führungsrolle Deutschlands in Europa. Zudem trifft er sich auch regelmäßig mit wichtigen Unternehmenschefs.

Die damalige Parteichefin Andrea Nahles rief beim Debattencamp 2018 die Partei auf, Hartz IV hinter sich zu lassen.
Die damalige Parteichefin Andrea Nahles rief beim Debattencamp 2018 die Partei auf, Hartz IV hinter sich zu lassen.

© Foto: dpa/Christoph Soeder

„Es ist nicht so, dass wir an der Wirklichkeit vorbeifliegen“, betont Kühnert. Die Mitglieder des Vorstands sollen demnächst auch jenseits von Wahlkampfzeiten ausschwärmen, um an Türen von Bürgern zu klingeln und deren Nöte persönlich zu erfahren.

Auch in der SPD weiß man, Demokratie ist anstrengender geworden. Scholz würde die SPD zudem gerne öffnen für einen Neuanlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA und Ländern des globalen Südens, um die politische und wirtschaftliche Rolle Deutschlands und der EU in einer zunehmend fragilen Weltordnung zu stärken. Doch gerade der linke Flügel sieht das bisher skeptisch.

Scholz stellt sich Fragen – auch von Nicht-Mitgliedern

Am Samstag und Sonntag wird es insgesamt 40 Veranstaltungen mit 107 Rednern auf vier Bühnen geben, der Höhepunkt soll ein Townhall-Meeting mit Scholz sein, der nach der Rückkehr aus China das Wochenende ebenfalls im Vollgutlager, einem Industriekomplex auf dem Gelände der früheren Kindl-Brauerei in Berlin-Neukölln, verbringen wird. Er soll keine klassische Rede halten, sondern Rede und Antwort stehen.

Freitag Peking, Samstag Neukölln: Mit Spannung wird erwartet, was Kanzler Olaf Scholz (links) den Delegierten beim kleinen SPD-Parteitag aus China zu berichten hat.
Freitag Peking, Samstag Neukölln: Mit Spannung wird erwartet, was Kanzler Olaf Scholz (links) den Delegierten beim kleinen SPD-Parteitag aus China zu berichten hat.

© AFP/Kay Nietfeld/Pool

Um die Partei stärker nach außen zu öffnen, werden auch Nicht-Mitglieder dabei sein, die ausgelost wurden, 680 Teilnehmer sind insgesamt dabei. Zu den externen Rednern und Diskutanten gehören unter anderem der Digitalexperte Sascha Lobo, eine Forscherin zu Verschwörungsmythen, der Ökonom Jens Südekum, die Transformationsforscherin Maja Göpel und Jagmeet Singh, der Vorsitzende der New Democratic Party aus Kanada.

Statt Debattencamp heißt das Ganze nun Debattenkonvent. Am Sonntag schließt sich ein kleiner Parteitag, der Parteikonvent an, im Fokus steht im Leitantrag des Vorstands das Ringen um eine „gerechte Transformation“, eine Politik die die Herausforderungen des Klimawandels, der Zeitenwende durch Russlands Krieg in der Ukraine, des demografischen Wandels und der Digitalisierung aufgreifen soll. Hier können in die Beschlüsse noch Ergebnisse des vorgeschalteten Debattenforums vom Samstag einfließen.

Ist das sozialdemokratische Jahrzehnt schon wieder vorbei?

159 Seiten umfasst das Antragsbuch, zentrale Themen sind der Umbau der Industriepolitik, der Umgang mit den hohen Energiepreisen und die Lehren aus der Energieabhängigkeit von Russland. Einige Anträge sind heikel für die Koalition, vor allem für die FDP: „Die Irrfahrt vor dem Crash beenden – Schuldenbremse aus dem Grundgesetz streichen!“, verlangen die Jusos. Zudem wird eine Bundesratsinitiative zur Vermögensteuer gefordert.

400.000
Mitglieder hat die SPD derzeit.

Bisher hat es Scholz im Zusammenspiel mit Esken, Klingbeil und Kühnert geschafft, den Laden zusammenzuhalten, trotz schwieriger Entscheidungen wie die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr. Klingbeil hatte nach dem Sieg bei der Bundestagswahl ein „sozialdemokratisches Jahrzehnt“ ausgerufen, doch inzwischen liegt die Union in Umfragen wieder weit vorn.

„Die Hoffnung auf ein „Jahrzehnt der Sozialdemokratie“ hat sich wie so viele Vorstellungen der Partei über die gesellschaftliche Realität als Illusion erwiesen“, urteilte vor einigen Wochen der Meinungsforscher Manfred Güllner vom Institut Forsa. Doch zuletzt konnte die SPD wieder leicht zulegen, Scholz versuchte es mit mehr Führungsstärke, etwa bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten bis April 2023.

Aber neben dem Tagesgeschäft bereiten der SPD mit ihren rund 400.000 Mitgliedern die Kosten und die Zukunft der Parteienfinanzierung derzeit Sorgen. Durch Inflation und die Energiepreise steigen die Ausgaben für solche Veranstaltungen rasant, weit mehr als eine halbe Million Euro soll der kleine Parteitag kosten. Ein regulärer Bundesparteitag dürfte künftig mehr als zwei Millionen kosten.

Und SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan wartet fast täglich auf ein Urteil aus Karlsruhe, das wie ein Damoklesschwert über der Partei schwebt. Schon vor mehr als einem Jahr war die Anhörung beim Bundesverfassungsgericht. Mit Verweis auf die Kosten der Digitalisierung, für Datensicherheit und soziale Netzwerke hatten Union und SPD 2018 eine Erhöhung der absoluten Obergrenze bei der Parteienfinanzierung um jährlich rund 25 Millionen Euro gerechtfertigt. Da viele Mitglieder über 60 Jahre alt und nicht per Mail erreichbar sind, braucht man weiter teure Doppelstrukturen.

Dass es in Karlsruhe so lange dauert, werten einige Sozialdemokraten als Zeichen, dass die Verfassungsrichter die Erhöhung kippen könnten.

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