zum Hauptinhalt
FDP-Chef Christian Lindner

© dpa/Hannes P Albert

Update

FDP verabschiedet Forderungspaket: Lindner schwört Deutschland auf „Wirtschaftswende“ ein

Der Bundesfinanzminister fordert auf dem FDP-Parteitag mehr Anstrengungen für das Wirtschaftswachstum. Das sei auch nötig, um Kremlchef Putin die Stirn zu bieten.

Die FDP will den wirtschaftspolitischen Kurs der Ampel-Koalition grundlegend verändern, um das Wirtschaftswachstum in Deutschland anzutreiben. Der Bundesparteitag der Liberalen verabschiedete am Samstagabend in Berlin eine Leitantrag des Vorstands mit dem Titel „Eine Wirtschaftswende für Deutschland - Priorität für Wachstum, Sicherheit, Innovationen und Aufstiegschancen“. Für den Antrag sprach sich eine „überwältigende Mehrheit“ der insgesamt 662 Delegierten aus, wie das Tagungspräsidium erklärte. Einen Bruch der Ampel-Koalition strebt die FDP damit nach Aussagen der Parteispitze aber nicht an.

Der Beschluss baut auf einem Zwölf-Punkte-Plan des FDP-Präsidiums auf, der Anfang der Woche Kritik der Koalitionspartner SPD und Grünen ausgelöst hatte. Darin vorgesehen sind unter anderem eine Reform des Bürgergelds mit Sanktionen für Arbeitsverweigerer, ein Ende der abschlagsfreien Rente mit 63, die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Steuerbefreiung von Überstunden.

FDP-Chef Christian Lindner hatte seine Partei und das Land zuvor auf eine „Wirtschaftswende“ eingeschworen. Deutschland durchlebe im internationalen Vergleich eine Wachstumsschwäche, was Folgen auch für Sicherheit und sozialen Zusammenhalt habe, sagte Lindner am Samstag auf dem FDP-Bundesparteitag.

„Wir haben die Köpfe, wir haben das Know-how, wir haben das Kapital, aber unser Land steht sich zu oft selbst im Weg“, rief Lindner den Delegierten zu. Aber eine „Wirtschaftswende“ hin zu wieder mehr Wachstum sei kein Selbstzweck, betonte der Bundesfinanzminister.

„Wir brauchen die Wirtschaftswende, weil am Ende wirtschaftliche Stärke auch ein Faktor der Geopolitik ist“, sagte Lindner mit Blick auf den Angriffskrieg von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine. „Putins Ziel ist es, Macht über uns auszuüben, und das darf ihm niemals gelingen.“ Aber um die erforderlichen Mittel dagegen in der Hand zu haben, brauche es wirtschaftliches Wachstum. Gleiches gelte für den sozialen Zusammenhalt.

Wer sich in einer stagnierenden Gesellschaft verbessern wolle, müsse einem anderen etwas wegnehmen. Daher gelte auch: „Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann.“

Die Ukraine ist unsere erste Verteidigungslinie gegen Putin.

Christian Lindner, FDP-Chef

Lindner sagte der Ukraine weitere deutsche Hilfe bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu. Er machte deutlich, dass dies auch im eigenen deutschen Interesse liege. „Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere first line of defence (erste Verteidigungslinie) gegen Putin ist“, sagte Lindner.

Der Kremlchef habe die Ukraine angegriffen – „er meint aber uns alle und unsere Lebensweise“. Putin wolle nicht nur die Ukraine von der Landkarte entfernen, er wolle auch Europa und die Nato spalten und erreichen, dass sich die USA aus Europa zurückziehen, warnte Lindner. „Putins Ziel ist nicht die Ukraine. Putins Ziel ist es, Macht über uns ausüben zu können. Und das darf ihm niemals gelingen.

Nötig sei, die eigene Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung zu verbessern, sagte der Bundesfinanzminister. Das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr werde in einigen Jahren verbraucht sein, dann werde man die Streitkräfte aus den regulären Mitteln ertüchtigen müssen. Dies werde nicht mit immer neuen Schulden gehen.

„Die Aufgabe, die vor uns steht, Frieden und Freiheit in Deutschland, Europa und der Welt zu verteidigen, diese Aufgabe ist nicht limitiert auf wenige Quartale oder Jahre. Potenziell ist es eine Aufgabe für Jahrzehnte und Generationen“, sagte Lindner. „Und deshalb kann das nicht auf Pump erfolgen. Wir brauchen dazu unsere Wirtschaftskraft.“

Lindner stellt Kindergrundsicherung infrage

Lindner stellte zudem zum wiederholten Male die Einführung der Kindergrundsicherung infrage. Die Pläne von Bundesfamilienministerin Lia Paus (Grüne) hätten „den Status der Absurdität erreicht“, sagte Lindner. Der FDP-Chef unterbreitete vor den Delegierten einen Gegenvorschlag: „Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen in mehr qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand mehr gegen seinen Willen in Teilzeit verbleiben muss?“, sagte Lindner.

Der FDP-Chef verwies darauf, dass die Pläne der Ministerin die Schaffung von bis zu 5000 neuen Beamtenstellen erfordern könne und zudem bis zu 70.000 Menschen zum Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt bewegen könnte, weil sie keinen Anreiz mehr zum Arbeiten hätten. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Kindergrundsicherung auch ohne diese Effekte umgesetzt werden könnte, „dann sind wir Freie Demokraten offen“, sagte Lindner. Ansonsten brauche es ein anderes Modell.

Ausdrücklich widersprach Lindner der Einschätzung von Ministerin Paus, wonach der Staat bei der Auszahlung der Hilfen an Familien mit Kindern in einer Bringschuld sei. „Das teile ich schon weltanschaulich nicht“, sagte Lindner. „Es gibt eine Verantwortung der Bürger.“ In ihrem Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien die Einführung der Kindergrundsicherung vereinbart. Vor allem die Grünen fordern diese Sozialreform.

Lindner fordert Abschaffung des Soli

Lindner forderte von der Bundesregierung auch eine komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Die Abgabe sei „für Mittelstand, Handwerk und Industrie eine Sondersteuer für wirtschaftlichen Erfolg geworden“, sagte Lindner auf dem FDP-Bundesparteitag. Er verwies darauf, dass vor dem Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Klage aus der FDP-Bundestagsfraktion anhängig sei.

Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass diese Klage erfolgreich sein könnte, sagte der Bundesfinanzminister. Daher wäre es klug von der Bundesregierung, die Abgabe selbst schrittweise komplett abzuschaffen anstatt sich vom Karlsruher Gericht letztlich dazu zwingen zu lassen. 

Kubicki knüpft Fortbestand der Koalition an Bedingungen

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sagte anschließend an Lindner in seiner Rede, dass der Fortbestand der Ampel-Koalition an die Kompromissbereitschaft von Grünen und SPD zu Wirtschaftsreformen geknüpft sei. „Ich kann nur davor warnen, den Grünen in der öffentlichen Debatte zu trauen“, sagte Kubicki. Wenn nicht miteinander über eine Stärkung der Wirtschaft gesprochen werde, „wird es auch keine Zukunft dieser Koalition geben“.

Die FDP habe ein Forderungspapier zu einer Wirtschaftswende vorgelegt, das von den Grünen „abgeheftet“ und von der SPD ignoriert werde. Bleibe es dabei, „dann haben wir ein fundamentales Problem in der Koalition“, sagte Kubicki. Der FDP-Politiker forderte die Koalitionspartner auf: „Nehmen Sie die Gespräche mit uns auf.“ Die FDP sei dazu bereit.

Esken beschwört Zusammenhalt der Ampel

Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken hatte zuvor die Gemeinsamkeiten des Koalitionsprojekts beschworen und die Freidemokraten davor gewarnt, Zweifel am Zusammenhalt zu nähren.

„Angesichts der gegenwärtigen internationalen Krisen widerspräche es staatspolitischer Verantwortung, die deutsche Position zu schwächen, indem man die Koalition infrage stellt“, sagte Esken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie fügte hinzu: „Wir haben noch einiges gemeinsam vor. Und man darf bei allen Differenzen nicht vergessen: Vieles wird ohne jeden Streit beschlossen und umgesetzt.“

Wir haben diese Koalition mit viel Mut geschlossen – und auch aus staatspolitischer Verantwortung.

Saskia Esken, Co-Vorsitzende der SPD

Die SPD-Chefin verwies auf die Gründungsidee des Ampelbündnisses: „Wir haben diese Koalition mit viel Mut geschlossen – und auch aus staatspolitischer Verantwortung. Die Idee war, dass sehr unterschiedliche Partner das Land genau dadurch voranbringen können, dass sie ihre unterschiedlichen Ideen zusammenfügen.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die FDP schwächelt derzeit in Umfragen wie dem aktuellen Politbarometer von ZDF und Tagesspiegel. In einem Leitantrag für den Parteitag wird die Forderung nach einer „Wirtschaftswende“ in Deutschland und Priorität für Wachstum bekräftigt. „Unser Land ist derzeit nicht wettbewerbsfähig“, heißt es darin. „Die Wirtschaft stagniert wie in keinem anderen Industrieland. Ausufernde Bürokratie, hohe Energiepreise, ein hohes Steuer- und Abgabenniveau sowie akuter Fachkräftemangel bremsen die deutsche Wirtschaft erheblich aus.“

Gleichzeitig belaste „ein übergroßer Sozialhaushalt die finanziellen Möglichkeiten von Staat und Gesellschaft“. Mit Vorschlägen zur Wirtschaftsbelebung durch Steuerentlastungen und Verschärfungen bei Sozialleistungen hatte die FDP bereits vor dem Delegiertentreffen vor allem die SPD gegen sich aufgebracht – und Spekulationen angeheizt, ob die Koalition wegen sehr unterschiedlichen Positionen von SPD, Grünen und FDP durchhält.

Auf dem Parteitag will der Vizevorsitzende Johannes Vogel einen weiteren Schwelbrand der Koalition anheizen: mit der Forderung nach Überarbeitung des Rentenpakets, mit dem die Regierung eine Aktienrente einführen und das Rentenniveau stabil halten will. Der Koalitionsvertrag sehe vor, dass die sogenannte Haltelinie für das Rentenniveau „generationengerecht abgesichert sein muss“, erklärte er. „Ich beantrage daher auf dem Parteitag, dass wir Korrekturen einfordern.“

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Lindner hatten das sogenannte Rentenpaket II Anfang März vorgestellt. Vogel möchte den geplanten Aufbau eines Kapitalstocks auf dem Aktienmarkt in Richtung einer echten Aktienrente nach schwedischem Vorbild forcieren. Er stellte zudem die so­genannte Rente mit 63 infrage. Seinen Vorstoß hatte er bereits Ende März vorgebracht und bei der SPD Kritik geerntet.

Auf dem Portal „web.de“ rechtfertigte Vogel die teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionspartnern. Künftig müssten häufiger Parteien mit sehr unterschiedlichen Positionen koalieren, sagte er.

Unter solchen Bedingungen sei es unrealistisch, dass „allein hinter den Kulissen debattiert“ werde. „Wir haben es hier mit einer Veränderung unserer politischen Kultur zu tun.“ (lem, dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false