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Wolfgang Kubicki (FDP) ist stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei.

© dpa/Axel Heimken

Update Exklusiv

„Ernst der Lage nicht verstanden“: Kubicki warnt SPD vor Verweigerungshaltung und mahnt Scholz zu Reformen

Die FDP will die „Wirtschaftswende“ auch mit Sozialkürzungen erreichen. Die Koalitionspartner halten das für Unsinn. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende mahnt, es könne kein „Weiter so“ geben.

Der Streit um die richtige Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Regierungskoalition spitzt sich zu. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki hat den Koalitionspartner SPD davor gewarnt, sich den Forderungen der FDP für eine Wirtschaftswende komplett zu verweigern.

Dem Tagesspiegel sagte Kubicki: „Ich warne die Sozialdemokraten, einem Ende der Koalition das Wort zu reden. Wir erwarten, dass die Koalitionspartner mit uns in eine ernsthafte Debatte über die Zukunft unseres Landes eintreten.“

Wer glaube, Deutschland könne mit einem „Weiter so“ die gravierende ökonomische Schwäche überwinden, habe „den Ernst der Lage nicht verstanden“, fügte der FDP-Vize hinzu. „Wir müssen den Schalter jetzt umlegen, damit Deutschland nicht noch weiter abrutscht und weithin lebenswert bleibt.“

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Der frühere sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder habe mit der Agenda 2010 bewiesen, dass Deutschland neue Stärke aufbauen könne. „Ich hoffe, Olaf Scholz nimmt sich diesen Mut zur Veränderung zum Vorbild.“

Kühnert: Konzept von Lindner ist „Beschimpfung von Arbeitnehmern“

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte am Sonntag neue Vorschläge der FDP für Sozialkürzungen scharf zurückgewiesen, auch die Grünen reagierten ablehnend.

Kühnert sagte dem Tagesspiegel: „Nun ist die Katze also aus dem Sack: Das Wirtschaftswende-Konzept von Christian Lindner besteht vor allem aus der Beschimpfung von Arbeitnehmern.“ Die Vorschläge offenbarten einen „zynischen Blick auf unsere Mitmenschen“, sagte Kühnert.

Zuvor war ein Beschlusspapier des Präsidiums der FDP öffentlich geworden, das den Titel „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ trägt. Es liegt dem Tagesspiegel vor. Darin enthalten sind neben Bürokratieabbau und Steuerentlastungen für Reiche und Unternehmen auch härtere Sanktionen für Verweigerer beim Bürgergeld, ein Ende der Rente mit 63 Jahren und ein dreijähriger Stopp neuer Sozialleistungen. Auf dem FDP-Parteitag am nächsten Wochenende soll es verabschiedet werden.

SPD-Generalsekretär Kühnert wendet sich insbesondere gegen die Pläne zum Sozialabbau. „Die SPD lässt nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird. Grundlage der Ampel-Koalition ist und bleibt der Koalitionsvertrag.“ Beim Bürgergeld seien der Politik durch das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen gesetzt worden.

Bürgergeldkürzungen laut SPD verantwortungslos

Kühnert nannte den Kürzungsvorschlag der FDP „verantwortungslos“. Er sagte: „Es befriedet unsere Gesellschaft nicht, wenn Parteien mit untauglichen Vorschlägen gegen Gesetze polemisieren, die sie selbst beschlossen haben.“ Kühnert garantierte auch ein Fortbestehen der Rente mit 63 und nannte sie „eine Frage des Respekts“.

Kühnerts Parteigenosse Helge Lindh (SPD) äußerte sich ebenfalls irritiert über die Pläne der Liberalen. „Wenn die FDP das ernst meinen würde - also jetzt umzusetzen gedenkt - dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition“, sagte der SPD-Sozialexperte der „Bild“-Zeitung.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wies die FDP-Forderungen beim Bürgergeld als „Unsinn“ zurück. Der Abbau von Arbeitnehmerrechten oder das Kürzen von Renten sei „keine gute Idee“ und habe „mit Wirtschaftskompetenz wenig zu tun“, sagte Heil am Montag in Berlin. Er halte die Vorschläge „eher für Parteitagsfolklore der FDP, denn das wird ja nicht Wirklichkeit werden in der Regierungskoalition“.

Hubertus Heil (SPD) nennt die FDP-Vorschläge „Parteitagsfolklore“.

© dpa/Britta Pedersen

Heil wies auf die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten gegen Bürgergeldbeziehende bei Pflichtverletzungen hin. „Aber die Zahlen zeigen auch, dass die Fixierung auf die Sanktionsdebatte vollkommen irregeleitet ist. Wir reden über einen Bruchteil von Menschen, bei denen Sanktionen notwendig sind.“ Die Debatte sei nicht zielführend. „Sondern zielführend ist es, Menschen in Arbeit zu bringen.“

SPD-Chef Lars Klingbeil der „Bild“-Zeitung vom Montag: „Es ist richtig, dass wir etwas tun müssen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze hier im Land zu sichern und neue zu schaffen.“ Weiter sagte er: „Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig.“

Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, kritisiert die Vorschläge der FDP.

© dpa/Sina Schuldt

Ähnlich skeptisch reagierten die Grünen. Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte dem Tagesspiegel: „Verschärfte Sanktionen sind eine Scheindebatte. Nicht mal ein Prozent der Erwerbslosen lehnt Arbeitsangebote ab. Wir sollten uns also um die 99 Prozent kümmern, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt brauchen.“ Dafür bräuchten vor allem die Jobcenter ausreichend finanzielle Mittel.

Linken-Chefin Janine Wissler sprach von einem „Dokument der sozialen Grausamkeit“. Sie fügte hinzu: „Man nimmt den Ärmsten weg, was man kann, während die Reichsten weiter unbehelligt bleiben oder gar noch Steuergeschenke hinterhergeworfen bekommen.“ Die Empörung der SPD sei „in großen Teilen auch Heuchelei“, so Wissler.

Bürgergeld führt zu weniger Sanktionen durch Jobcenter

Erst zu Beginn des Jahres hatte die Bundesregierung Verschärfungen beim Bürgergeld beschlossen. Seit März können die Jobcenter Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn diese sich als „Totalverweigerer“ herausstellen.

Seit der Einführung des Bürgergeldes sind die durch die Jobcenter erteilten Sanktionen für Verweigerer stark gesunken. Sie lag im Jahr 2023 bei 226.000 und betraf damit 2,6 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. 2019 hatte die Zahl noch bei mehr als 800.000 gelegen. Die Bundesagentur für Arbeit nennt schwächere Sanktionsmöglichkeiten als Mitgrund.

Die für Wirtschaft zuständige Vize-Fraktionschefin der SPD, Verena Hubertz, stellte am Sonntag insbesondere die Finanzierbarkeit der FDP-Vorschläge infrage. „Ich sehe nicht, wie die wirtschaftspolitischen Vorschläge in Anbetracht der aktuellen Haushaltslage finanziert werden können“, sagte Hubertz dem Tagesspiegel.

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Allein die von der FDP geplante Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Spitzenverdiener soll rund zwölf Milliarden Euro kosten. Die Haushaltslücke für 2025 soll bereits jetzt mehr als 20 Milliarden Euro betragen.

Hubertz sagte: „Insbesondere die Abschaffung des Solis für Spitzenverdiener werden wir nicht mittragen können, denn wir müssen die Wohlhabenden in diesem Land nicht entlasten, sondern Wege finden, wie wir die arbeitende Mitte unterstützen.“ In den kommenden Wochen ist heftiger Streit um Haushalt und Wirtschaftspolitik vorprogrammiert.

Strack-Zimmermann verteidigt Pläne

FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann verteidigte am Montag auf NDR Info das Reformpapier. Es sei ein richtiger Schritt, zur richtigen Zeit, sagte sie. „Wenn wir das nicht machen, werden wir auch nicht die Mittel haben, die wiederum für Sicherheit von großer Relevanz sind“, sagte sie.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann verteidigt die Pläne ihrer Partei, will aber auf SPD und Grüne zugehen.

© IMAGO/Peter Henrich

Für die Menschen, die Hilfe benötigten, werde es keine Abstriche geben. Aber das Lohnabstandsgebot müsse gewährleistet sein. Eine wirtschaftliche Wende sei nötig, und dafür diene das Konzept als Signal, weil man die Herausforderungen sonst nicht stemmen könne. Strack-Zimmermann kündigte zugleich an, auf die Koalitionspartner SPD und Grüne zuzugehen.

Industrie fordert Entscheidungen statt Streit

In der Industrie finden die umstrittenen FDP-Vorschläge inhaltlich zwar Anklang, die Unternehmen wünschen sich jedoch vor allem klare Entscheidungen statt Streit in der Ampel-Koalition. „Also das Positive daran ist, dass die richtigen Dinge diskutiert werden“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, am Montag dem Sender ntv.

Aber die Bundesregierung müsse sich vor allem „mal einigen und dann Gesetze verabschieden, die den Unternehmen wirklich helfen. Die intellektuelle Diskussion hilft uns nicht weiter“.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete das FDP-Papier gegenüber der „Bild“ als „Scheidungsurkunde für die Ampel“. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte, das Papier enthalte einige Punkte, die man unter einer schwarz-gelben Koalition „schnell umsetzen könnte“.

„Die FDP muss sich ehrlich machen. Entweder sie steigt aus der Ampel aus oder sie setzt einige notwendige Maßnahmen durch“, sagte Linnemann der „Bild“. (Mit Agenturen)

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