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Alice Weidel und Tino Chrupalla haben versucht, die ganz großen Streitigkeiten auf dem AfD-Parteitag hinter den Kulissen zu lösen.

© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Doch keine EU-Auflösung: Die AfD entschärft ihre Forderung – aber nur auf dem Papier

Die AfD fordert in ihrem Programm für die Europawahl nun doch keine EU-Auflösung oder den Austritt Deutschlands. Weniger radikal ist sie deshalb aber nicht – im Gegenteil.

Am Sonntagmorgen tritt Alice Weidel ans Rednerpult. Noch am Vorabend, sagt die AfD-Chefin, habe es zwei Entwürfe gegeben für die Präambel, das „Herzstück“, des Europawahlprogramms der AfD. Doch in der Nacht habe man sich auf einen Entwurf geeinigt. Die AfD-Chefin wirkt erleichtert. Der Parteitag in Magdeburg wäre sonst aus dem Ruder gelaufen.

Anders als noch im Bundestagswahlprogramm 2021 fordert die extrem rechte Partei nun nicht mehr explizit den „Dexit“, also den Austritt Deutschlands aus der EU. Die Forderung hatte Wähler wie europäische Partner der AfD gleichermaßen irritiert. Jetzt heißt es in der Präambel: „Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt.“ Man strebe einen „Bund europäischer Nationen“ an.

Auch das kommt einer Auflösung der EU gleich, die nun aber eben nicht mehr explizit im Wahlprogramm steht. AfD-Chefin Alice Weidel spricht lieber von einem Kompetenzrückbau und einer Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Nationalstaaten. Sinnvoll ist aus AfD-Sicht die europäische Zusammenarbeit, wenn es darum geht, Migration zu bekämpfen. Spitzenkandidat Maximilian Krah erklärt scheinbar konziliant, man wolle die EU verändern.

Bewerber fordern den „Dexit“

Doch wie die AfD über die EU denkt, wurde in den Bewerbungsreden der Kandidaten für die Europawahlliste der AfD an den vergangenen beiden Wochenenden deutlich. Christine Anderson, gewählt auf Listenplatz 4, fordert den sofortigen „Dexit“.

Der Bayer Petr Bystron sagt: „Aus Brüssel kommt das Gift“. Er raunt von „Globalisten“, die die Menschen enteignen und versklaven wollten. Der Bewerber Thomas Röckemann erklärt, er wolle in Brüssel „dem Drachen den Kopf abschlagen. Ich sage dabei nur Ursula von der Leyen.“ Und Björn Höcke, der nicht antritt, sagte: „Die EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“

Insgesamt 35 Kandidaten wählte die AfD an den beiden Wochenenden in einem zum Teil chaotischen Verfahren. Ursprünglich sollten es nur 30 werden, aber da einige in der AfD von Wahlergebnissen von um die 30 Prozent träumen, wollte man noch einen Puffer schaffen. Insgesamt entsendet Deutschland 96 Parlamentarier ins EU-Parlament, das die AfD laut ihrem Wahlprogramm eigentlich abschaffen möchte.

Man muss dem Drachen den Kopf abschlagen. Ich sage dabei nur Ursula von der Leyen.

AfD-Politiker Thomas Röckemann

Zwei Entwicklungen lassen sich in Magdeburg beobachten: Einerseits bleiben völkische Rhetorik und rechtsextreme Verschwörungserzählungen unwidersprochen. Die Partei bemüht sich nicht mehr, solche Äußerungen zu unterbinden. AfD-Chef Tino Chrupalla erklärt auf Nachfrage, er sei ja nicht die „Sprachpolizei“.

Gleichzeitig will man professionell wirken, einen Regierungsanspruch demonstrieren. Die Strategie der Selbstverharmlosung fährt die AfD schon seit einer Weile. Dazu passt, dass die AfD in ihrem Wahlprogramm versucht, die ganz radikalen Töne wegzulassen. Und dazu passt der Auftritt von Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview. Der AfD-Chef präsentiert lächelnd und mit Deutschlandfähnchen am Revers sein Konzept gegen den Fachkräftemangel: Die Deutschen sollten einfach selbst Kinder kriegen.

Spitzenkandidat Krah betont bei einer Pressekonferenz, man wolle nicht auf Krawall setzen und sagt trotz des endlosen Ringens um die Wahlliste: „Die AfD ist erwachsen geworden.“

Neues Netzwerk in der AfD

Die ganz großen Konflikte um die Liste und das Programm versuchte die AfD an diesen beiden Wochenenden hinter den Kulissen abzuräumen. Dabei tat sich ein neues Netzwerk aus jungen AfD-Politikern um Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier hervor, über das zuerst ausführlich der „Spiegel“ berichtet hatte. Münzenmaier hatte mit Parteichefin Alice Weidel und dem Rechtsaußen Höcke eine „Konsensliste“ abgestimmt, von der viele Kandidaten schlussendlich auf der AfD-Liste für das Europaparlament landeten.

Gleichzeitig zeigten sich Risse in Björn Höckes rechtsextremen „Flügel“-Netzwerk. Im Streit um die Präambel favorisierte er einen Entwurf, den er gemeinsam mit anderen Spitzenpolitikern aus den Ländern eingebracht hatte. Auch darin Geraune von „globalistisch eingestellten Eliten“. Umstritten war vor allem der Satz, die europäischen Staaten sollten selbst Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen, statt „unter den Schutzschirm eines fernen und eigennützigen Hegemons zu flüchten“. Man konnte das als Forderung nach einem Nato-Austritts lesen.

Das aber wollte die Parteispitze nicht. Höcke und seine Leute drehten schließlich bei und akzeptierten den Präambel-Entwurf, der von Parteichefin Weidel favorisiert wurde. Dort wurde dann noch ein Satz ergänzt, wonach Europa seine Verteidigungsfähigkeit „schrittweise“ in die eigene Hand nehmen sollte. Am Ende, betonen sie im Höcke-Lager, sei es ja nur noch um Stilfragen gegangen. Heißt: Inhaltlich ist man eigentlich zufrieden.

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