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Ein Flüchtling geht mit seiner Familie auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Reinickendorf.

© dpa/Paul Zinken

Ziel „zügige Arbeitsaufnahme“: Kommt nun die Arbeitspflicht für Geflüchtete?

Die Ampel steht nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD unter Druck, ihre Asylpolitik zu ändern. Thüringens Innenminister Maier plädiert etwa für eine einheitliche Geldkarte für Geflüchtete statt Bargeld.

Der Kanzler schlägt einen neuen Ton an. „Die Stimmen, die auf eine rechtspopulistische Partei in Deutschland entfallen sind, müssen uns besorgen“, sagt Olaf Scholz (SPD) am Dienstag über die Gewinne der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen: „Das geht schon um die Verteidigung der Demokratie.“ Die AfD hatte bei den Wahlen am Sonntag in Bayern 14,6 Prozent und in Hessen 18,4 Prozent geholt.

Im Sommer klang das bei Scholz noch ganz anders. Im Juni relativierte er die teils rechtsextreme AfD als „Schlechte-Laune-Partei“. Im Juli gab der sonst so bedächtig formulierende Kanzler den politischen Wahrsager und rief den AfD-Abgeordneten im Bundestag zu: „Sie werden bei der nächsten Bundestagswahl nicht anders abschneiden als bei der letzten!“ 2021 hatte die AfD bundesweit 10,3 Prozent erzielt – heute ist sie in Umfragen doppelt so stark.

Die Frage aber, die im ganzen Land viele Menschen umtreibt, ließ Olaf Scholz während seines Auftritts am Dienstag in Hamburg unbeantwortet: Plant der Kanzler einen Kurswechsel in der Migrationspolitik? Umfragen zufolge drängen mehr als 80 Prozent der Bürger darauf.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim deutsch-französischen Kabinettstreffen.

© dpa/Marcus Brandt

Die Bundesregierung habe „schon sehr lange angefangen, eine sehr konsistente Politik im Umgang mit Migration zu entwickeln“, sagte Scholz. Es sei klar, dass sie dabei dafür sorgen müsse, „dass die irreguläre Migration zurückgedrängt wird“. Scholz wiederholte seine Äußerung, die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kämen, sei „zu hoch“.

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Woidke will neuen Kurs in Migrationspolitik

Und nun? Bereits am Montag hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ein Umsteuern in der Migrationspolitik verlangt. Von einer „deutlichen Senkung der Migrationszahlen für Deutschland“ sprach Woidke im Tagesspiegel: „Es darf nicht sein, dass mafiöse Schleuserstrukturen weiterhin darüber bestimmen, wer Zuflucht in Deutschland erhält.“ Woidke forderte mehr Rückführungen und „die Umstellung von Barzahlungen auf Sachleistungen“.

Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg.

© dpa/Soeren Stache

Das können die Länder zwar schon jetzt tun, doch Rufe nach einer bundeseinheitlichen Regelung werden laut. „Jedes Bundesland kann schon jetzt Geld- durch Sachleistungen für Geflüchtete ersetzen. Effektiver wäre ein bundeseinheitliches Vorgehen, etwa eine Geldkarte für Geflüchtete, die verhindert, dass Bargeld abfließt“, sagte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) dem Tagesspiegel.

Maier zählt einen solchen Schritt zu nötigen Maßnahmen, damit die Kommunen bei der Unterbringung der Geflüchteten nicht überfordert würden und die Bereitschaft zur Integration gewahrt bleibe. „Um die Situation wieder besser unter Kontrolle zu bekommen, müssen wir den Schleusern, der Organisierten Kriminalität der schlimmsten Sorte, das Handwerk legen.“

Mit mehr Schleierfahndung und gezielten Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien müssen wir gegen Schleuser vorgehen.

Georg Maier (SPD), Innenminister von Thüringen

„Faire Verteilung von Flüchtlingen“

Ferner müsse die EU Abkommen mit Ländern wie Tunesien erzielen, um die Schleuser schon dort zu bekämpfen, sagte Maier: „Mit mehr Schleierfahndung und gezielten Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien müssen wir gegen Schleuser vorgehen.“ Für einen effektiven EU-Außengrenzschutz sei die Grenzschutzbehörde Frontex gestärkt werden.

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sei ein Fortschritt. Maier forderte: „Der nächste Schritt muss eine faire Verteilung der Flüchtlinge in der EU sein. Das würde Deutschland signifikant entlasten.“

Maier sagte, „das Machtwort des Kanzlers bei der EU-GEAS-Reform gegen die Blockade der Grünen war richtig“. Es trage dazu bei, dass die Bundesregierung die Herausforderungen meistere. „Wir Politiker“, sagte Maier, „müssen den Menschen signalisieren: Wir haben die beklagten Probleme in der Zuwanderungspolitik erkannt und wir gehen dagegen vor. Wir packen es an.“

Niedersachsen erwägt „Pflicht zur Arbeitsaufnahme“

Derweil erwägt das rot-grün regierte Niedersachsen sogar eine Arbeitspflicht für Geflüchtete. „Die bestehenden Regelungen müssen so verändert werden, dass eine Pflicht zur Arbeitsaufnahme gilt, sobald arbeitsfähige Geflüchtete aus der Erstaufnahmeeinrichtung an die Kommunen zugewiesen werden“, heißt es im Entwurf eines Beschlussvorschlages zur Ministerpräsidenten-Konferenz, die ab Mittwoch in Frankfurt tagt.

Der Entwurf liegt dem Tagesspiegel vor. Wegen des Arbeitskräftemangels sei es „nicht länger hinnehmbar, dass viele Geflüchtete nicht in Arbeit und Beschäftigung gebracht werden können“.

Für Kommunen solle eine „Möglichkeit der Heranziehung für gemeinnützige Arbeiten geschaffen werden“, heißt es in dem noch nicht endgültig abgestimmten Papier weiter. Unternehmen, die Geflüchtete beschäftigten, sollten verstärkt bei der Integration unterstützt werden. Das Warten auf Sprach- und Integrationskurse dürfe „nicht weiter Grund für die verzögerte Integration in den Arbeitsmarkt sein“.

Der beste Weg für mehr Akzeptanz und schnellere Integration liege in „der zügigen Arbeitsaufnahme“. Die Landesregierung Niedersachsen warnt in ihrem Entwurf-Papier: „Die Aufnahmebereitschaft vor Ort droht weitgehend verloren zu gehen. Vielfach wächst das Gefühl einer Überforderung. Es gibt mittlerweile eine weitgehende politische Übereinstimmung, dass die Zahl der Aufzunehmenden deutlich gesenkt werden muss.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt sagte, seine Partei habe überzeugende Antworten zu den Themen Rente, Löhne, Wohnen und Infrastruktur, müssen sie aber „deutlicher kommunizieren“. Als größter Regierungspartei werde von der SPD erwartet, sich in wichtigen Fragen stärker durchsetzen.

Durchsetzungsstärke und Konsequenz bei Entwurf und Umsetzung einer „neuen Asyl- und Migrationspolitik mit den Säulen Humanität und bessere Organisation kann eine Chance bieten, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte Arlt.

Die Forderung nach schnellerer Rückführung und Abschiebung abgelehnter Asylbewerber kann man immer gern erheben, sie betrifft aber nur eine marginale Anzahl Flüchtender.

Dorothea Marx, Parlamentarische Geschäftsführerin (SPD) in Thüringen

Kritik an Woidke

Woidkes Forderung nach einer verschärften Migrationspolitik ist dabei kein Konsens in der SPD. „Ich halte nichts davon, sich jetzt mit Vorschlägen zu überbieten“, sagte Sachsens SPD-Fraktionschef Dirk Panter dem Tagesspiegel. Ein gemeinsamer Weg müsse für Städte, Landkreise, Länder und den Bund funktionieren. „Diesen Weg zu finden, genau daran arbeitet Olaf Scholz.“

Widerspruch kam auch aus der SPD-Landtagsfraktion Thüringen. „Die Forderung nach schnellerer Rückführung und Abschiebung abgelehnter Asylbewerber kann man immer gern erheben, sie betrifft aber nur eine marginale Anzahl Flüchtender“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Dorothea Marx dem Tagesspiegel. Eine gerechtere Verteilung Flüchtender in Europa sei „natürlich sinnvoll und auch geboten“. Sie verwies darauf, „wie viel mehr Flüchtende arme Länder in anderen Kontinenten klaglos aufnehmen“, weshalb sich jeder noch einmal überlegen solle, „ob unsere Belastungsgrenzen denn wirklich überschritten sind“.

Am Donnerstag wollen die Ministerpräsidenten unter anderem über die Finanzierung der Flüchtlingskosten reden. Sie klagen seit Monaten, dass etwa die finanzielle Unterstützung des Bundes bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu niedrig sei. Der hessische Regierungschef Boris Rhein (CDU) hatte zum 1. Oktober den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen. Das Treffen am Donnerstag findet daher in Frankfurt statt.

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