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Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will mögliche Abschiebungen von Clan-Mitgliedern erleichtern.

© imago/photothek/Florian Gaertner

Abschieberegeln und Clans: Das riskante Spiel von Innenministerin Faeser

Vor der Hessen-Wahl machen immer neue Vorschläge aus dem Innenministerium die Runde. Selbst in der eigenen Partei sieht man die Vorstöße Faesers kritisch.

Je näher die Landtagswahlen in Hessen rücken, umso mehr erhöht sich die Zahl der Vorschläge, mit denen Nancy Faeser zu punkten versucht. Diesen Eindruck kann man haben anhand der jüngsten Vorstöße der Innenministerin, die am 8. Oktober bei den Landtagswahlen in Hessen als SPD-Spitzenkandidatin antritt.

Erst in der vergangenen Woche war ein Diskussionsentwurf aus dem Innenministerium bekannt geworden, dem zufolge der Abschiebegewahrsam für ausreisepflichtige Personen von zehn auf maximal 28 Tage erhöht werden soll. Zudem schlägt Faesers Innenministerium in dem entsprechenden „Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung“ vor, Angehörige von kriminellen Clans auch dann abzuschieben, wenn noch keine Verurteilung wegen einer Straftat vorliegt.

Ich glaube, das Ministerium macht, was es will.

Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte, sollen demnach „Angehörige von Gemeinschaften der Organisierten Kriminalität“ nach dem Diskussionspapier „unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung“ ihr Aufenthaltsrecht verlieren. Dem Bericht zufolge existiert eine ähnlich pauschalisierende Regelung im Ausländerrecht bislang nur für den Bereich der Terrorismusbekämpfung.

Der Jurist Daniel Thym sagte dem Tagesspiegel, dass die Vorschläge an eine „Geisterdiskussion“ grenzten. Selbst wenn die Behörden in der Abwägung zu dem Schluss kämen, dass ein Grund für eine Ausweisung vorliege, dann stünde den betroffenen Personen immer noch der Klageweg offen, sagte Thym weiter.

An der Verfassungskonformität des Vorschlags aus dem Innenministerium bestehen laut Thym indes keine Zweifel. Schließlich sei nicht vorgesehen, dass alle Familienmitglieder eines Clans ausgewiesen werden dürfen. Betroffen seien nur Menschen, die selbst aktiv Teil einer kriminellen Vereinigung sind, wozu eine bloße Verwandtschaft nicht ausreiche.

Zweitens beinhalte der Entwurf keinerlei Automatismus. Mitglieder einer kriminellen Vereinigung dürfen auch künftig nur nach einer umfassenden Güterabwägung abgeschoben werden, die zahlreiche Faktoren betrifft – etwa, wie lange jemand hier lebt, ob die Person eine Familie hat oder wie gut sie integriert ist. Bei dieser Güterabwägung würde die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung künftig stärker wiegen, so Thym. 

Dagegen sagte der Rechtswissenschaftler Ulrich Battis dem Tagesspiegel: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Innenministerium ernsthaft erwogen wird, dass Menschen allein wegen ihrer Mitgliedschaft zu einer Familie ausgewiesen werden.“ Ausweisungen müssten als Eingriff in Grundrechte „immer im Einzelfall gerechtfertigt sein“, sagte Battis weiter.

Kritik aus den eigenen SPD-Reihen

In den Reihen des Berliner SPD-Landesvorstandes wurde der Vorschlag aus dem Innenministerium kritisch aufgenommen. Man könne sich nicht vorstellen, dass dies ein ernstgemeinter Vorschlag einer Sozialdemokratin sei, hieß es. Es müsse sich um ein Missverständnis handeln. Die Sippenhaft sei in Deutschland bewusst abgeschafft worden.

Auch der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt, twitterte: „Nun Sippenhaft.“ Er glaube, „das Ministerium macht, was es will“.

Die Grünen-Innenexpertin ist der Ansicht, dass es bei den Ausnahmen bleiben soll, die bei der Terrorbekämpfung vorgesehen sind.
Die Grünen-Innenexpertin ist der Ansicht, dass es bei den Ausnahmen bleiben soll, die bei der Terrorbekämpfung vorgesehen sind.

© Bündnis 90/Die Grünen/Lamya Kaddor

Kritik kam ebenfalls von den Grünen. „Wir sehen den Vorschlag mit Zurückhaltung“, sagte die Grünen-Innenexpertin Lamya Kaddor dem Tagesspiegel. Kaddor sagte, es sei schwierig und grundsätzlich nur in Ausnahmefällen möglich, „Menschen ohne strafrechtliche Verurteilung unter Generalverdacht zu stellen“. Nach ihren Worten solle es bei der in der Terrorbekämpfung vorgesehenen Ausnahme bleiben.

„In Berlin verschärfen wir den Kampf gegen Clankriminalität schon“, sagte unterdessen Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dem Tagesspiegel. Das Ziel sei dabei auch eine bessere Vernetzung der Sicherheitsorgane sowie der Senatsinnenverwaltung und der Senatsverwaltung für Justiz.

„Ich hoffe, dass die Bundesinnenministerin, die sich im Wahlkampf in Hessen befindet, nicht nur Ankündigungen macht, sondern auch wirklich macht – und erklärt, wie sie die verschärften Abschieberegelungen rechtlich umsetzen will“, sagte Wegner weiter.

Ein Sprecher von Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) stellte klar: „Die bloße Zugehörigkeit zu einer Familie oder der jeweilige Name dürfen und können kein Entscheidungskriterium sein.“ Es müsse in einem Rechtsstaat stets um das individuell zurechenbare Verhalten gehen.

„Gleichermaßen müssen wir alle in unserem demokratischen Rechtsstaat zulässigen Möglichkeiten ergreifen, um dem Schutzanspruch der Menschen gerecht zu werden“, sagte er weiter. Die Diskussionen um diesen Punkt zeigten deutlich, dass er im Weiteren erörtert und präzisiert werden müsse. Nach den Angaben des Sprechers wird der Diskussionsentwurf des Bundesinnenministeriums derzeit in Berlin geprüft. 

Belarussische Migrationspolitik als Herausforderung

Auch die jüngsten Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium zu einer Verschärfung bei den Abschiebe-Regelungen von ausreisepflichtigen Ausländern stießen innerhalb der Ampel-Koalition auf Skepsis. Vor allem die Grünen lehnten die Vorschläge ab, denen zufolge die Zahl der Abschiebungen in Deutschland erhöht werden sollen.

Nach Angaben der Bundesregierung hatte die Zahl der Abschiebungen im vergangenen Jahr lediglich bei knapp 13.000 gelegen. Dagegen kamen geplante Abschiebungen in mehr als 20.000 Fällen nicht zu Stande – unter anderem deshalb, weil die Betroffenen dagegen geklagt hatten.

Auch an anderer Stelle steht Faeser unter Druck. Seit einigen Wochen lässt der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko offenbar wieder eine Flüchtlingsroute Richtung EU aktivieren, auf der 2021 schon einmal zahlreiche Migranten aus Ländern wie dem Irak zur EU-Außengrenze und später auch nach Deutschland gekommen waren.

Nach den polnischen Behördenangaben wurden bislang in diesem Jahr rund 19.000 Versuche eines illegalen Grenzübertritts zwischen Belarus und Polen registriert. Im vergangenen Jahr waren es den Angaben zufolge 1700 Versuche, im Jahr zuvor 40.000.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko (rechts, mit Russlands Präsident Wladimir Putin) belebt die Flüchtlingsroute aus dem Jahr 2021 neu.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko (rechts, mit Russlands Präsident Wladimir Putin) belebt die Flüchtlingsroute aus dem Jahr 2021 neu.

© dpa/Alexander Demianchuk

Wie im Jahr 2021 ziehen auch diesmal wieder etliche der über die Belarus-Route in die EU gelangten Migranten von Polen nach Deutschland weiter. Das schlägt sich auch in den Zahlen der Bundespolizei nieder: Im ersten Halbjahr wurden an der Grenze zwischen Deutschland und Polen 12.331 illegale Einreisen registriert. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 4592 gewesen.

Trotz des Anstiegs bei der illegalen Migration will Faeser an den Abschnitten zu Polen und Tschechien aber bislang nicht Grenzkontrollen ermöglichen, wie sie seit 2015 an der Grenze zwischen Bayern und Österreich durchgeführt werden. Dennoch hält die Union den Druck in der Frage der Grenzkontrollen auf Faeser aufrecht – ebenfalls nicht zuletzt mit Blick auf die Hessen-Wahl im Oktober.

So war es Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) gewesen, der im vergangenen Monat „flächendeckende Kontrollen an den deutschen Außengrenzen“ gefordert hatte. Am Montag schlug Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) im Deutschlandfunk in dieselbe Kerbe. Nach seinen Worten sind Faesers bisherige Vorschläge „miniaturhaft im Vergleich zu den Problemen, vor denen wir stehen“.

Schuster sprach davon, dass sich Deutschland in einer „veritablen Migrationskrise“ befinde. Nach seinen Worten sei die Zahl der illegalen Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze inzwischen weit höher als auf dem Abschnitt zwischen Bayern und Österreich.

Schuster forderte Faeser daher dazu auf, bei der EU sämtliche deutschen Grenzabschnitte für mögliche Kontrollen zu notifizieren, um gegebenenfalls anschließend stationäre Kontrollen durchführen zu können. Entsprechend geht die französische Regierung bereits vor.

An Kanzler Olaf Scholz (SPD) richtete Schuster zudem die „dringende Bitte“, bei der Aushandlung von Migrationsabkommen auch das Außenministerium mit einzubeziehen. Dafür solle nicht allein das Innenministerium zuständig sein, forderte Schuster. Es müsse auch möglich sein, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) über „Rückführungen mit Afghanistan“ verhandeln könne, sagte er.

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