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Das „Porträt des Dr. Gachet“ (zweite Version) malte Vincent van Gogh 1890, wenige Wochen vor seinem Suizid.

© Musee d?Orsay Dist. RMN-Grand Pa

Weizenfelder, Krähen, Gewitterwolken: Van Goghs letzte Bilder

Eine Amsterdamer Ausstellung zeigt rund 50 Gemälde, die Vincent van Gogh in den beiden letzten Monaten vor seinem Tod malte. Er war depressiv, aber auch hochproduktiv.

Nein, es ist nicht das letzte Bild, das Vincent van Gogh vor seinem Tod gemalt hat, dieses „Weizenfeld mit Krähen“. Obgleich es natürlich nahe liegt, die schwarzen Vögel, nur als schwarze Pinselstriche angedeutet, als Todesboten zu lesen. Tatsächlich entstand das Gemälde am 8. Juli 1890 und damit zwar nur drei Wochen vor dem Suizid des depressiven Künstlers.

Aber in dieser kurzen Zeitspanne hat er weitere 14 Gemälde geschaffen. Das tatsächlich letzte ist das Bild der Baumwurzeln, bei dem Van Gogh den Blick ganz auf den Boden richtet und nicht den kleinsten Streifen Himmel durchs Geäst schimmern lässt. Er fühlte sich, so ungefähr hat er es seinem Bruder Theo geschrieben, entwurzelt, ohne Verbindung zum Leben, das er mehr an sich vorbeiziehen sah, als dass er selbst daran teilzuhaben glaubte.

Seine beiden letzten Lebensmonate verbrachte der 1853 geborene Vincent van Gogh im Örtchen Auvers-sur-Oise, nur 30 Kilometer von Paris entfernt. Dort, in der Kunstmetropole, lebte der Bruder, verheiratet und fest im Leben stehend. Ihm schrieb Vincent so häufig, wie man heutzutage Textnachrichten verschickt, etliche Briefe aber angereichert mit genauen Zeichnungen der Gemälde, die er gerade schuf. 74 sind in Auvers entstanden, zwischen der Ankunft am 20. Mai 1890 und der Selbstverletzung am 27. Juli, die 30 Stunden später zum Tod am 29. Juli führte.

Es war eine nochmals gesteigerte Produktivität dieses so produktiven und dennoch an sich verzweifelnden Künstlers. Rund 50 der in Auvers entstandenen Gemälde sind jetzt im Van Gogh Museum in Amsterdam zu sehen, ergänzt um 30 Zeichnungen und nicht zuletzt die so kostbaren, illustrierten Briefe an den Bruder, der in diesem letzten Lebensabschnitt des Künstlers zur nochmals stärkeren Stütze wurde und doch die Kurzschlusshandlung nicht verhindern konnte.

Natürlich will der Besucher die Kunst mit dem Leben van Goghs in Deckung bringen, das eine im anderen spiegeln. Das ist nicht falsch, aber dennoch nicht angemessen. Denn was in den großzügigen Ausstellungssälen des Van Gogh Museums zu sehen ist, ist die Summe eines künstlerischen Lebenswerks und zuallererst als solche zu beurteilen.

Van Gogh ist ein Neuerer, der dennoch überall die Fäden der Vergangenheit aufnimmt, der radikal Neues erprobt, in Komposition und Farbigkeit, und dennoch sich verbeugt vor jenen, die vor ihm da waren, just in jenem Örtchen Auvers, so der bereits verstorbene Landschaftsmaler Charles-François Daubigny oder der Zeitgenosse Paul Cézanne.

Dessen so kühl-klares Bild mit dem absonderlichen Titel „Haus des Gehängten“ von 1873 ruft van Goghs Ansicht in Erinnerung, die dasselbe Haus zeigt, nur von der anderen Seite her. Und schon im Ansatz dem Werk des 16 Jahre Älteren diametral entgegengesetzt. Van Gogh macht den bewegten Duktus seiner Pinselstriche und die sich aufwölbende Materialität der Farbe zum Ereignis.

In den Landschaften von Auvers wählt er wiederholt das Breitwandformat von einem mal einem halben Meter, die Leinwand von der Rolle geschnitten; so kann er den Himmel über der tiefen Horizontlinie ausformulieren, dramatisch tiefdunkelblaue über den „Weizenfeldern unter Gewitterwolken“ oder schwefelgelb über der „Landschaft im Zwielicht“.

Das Pariser Musée d’Orsay, das diese Once-in-a-lifetime-Ausstellung im Herbst übernehmen wird, steuert acht Gemälde bei, die 1952 aus dem Nachlass des Docteur Gachet ins Museum kamen, gestiftet vom Sohn des kunstsinnigen Pariser Arztes, der in Auvers ein gastfreies Haus unterhielt und von van Gogh verehrt wurde. Paul Gachet widmete sich der Behandlung der „Melancholie“, unter die die noch nicht als solche benannte Depression fiel, und riet dem Künstler zur Tätigkeit in der Natur.

Van Gogh entfernte sich kaum aus dem Umkreis, der von der Pension, in der er in diesem damals schon touristisch erschlossenen Örtchen Aufnahme gefunden hatte, und Gachets Haus am Ortsrand gezogen wird. Er liebte die reetgedeckten Häuser, die ihn an seine niederländische Heimat erinnerten, aber war aufgeschlossen gegenüber Neubauten im französischen Beaux-Arts-Stil, und sogar eine kürzlich erst errichtete Stahlbrücke über das Flüsschen hat er gezeichnet. Die Zeichnungen sind ein besonderes Highlight der Ausstellung, man bekommt sie fast nie zu sehen. So ist das großformatige Blatt mit dem „Bauernhaus von Père Eloi“ ein absolutes Meisterwerk.

Meisterwerke sind auch die aus Paris gekommenen Bilder, das Porträt des selbst melancholisch dreinblickenden (und eher den Künstler spiegelnden) Dr. Gachet und die Ansicht der Kirche des Ortes, monumental gegen den kobaltblauen Himmel gesehen. Oder das Selbstporträt, das van Gogh aus seinem vorangehenden, einjährigen Aufenthalt im „Asyl“ des südfranzösischen Saint-Rémy nach Auvers mitgebracht hatte und das daher hier zu recht gezeigt wird. Vincent van Gogh wollte in Auvers Portraits schaffen, er sah sie als Wiedergabe der Psyche der Dargestellten.

Tatsächlich hat er die eigenen Gemütszustände gemalt, aber zugleich in große Kunst überführt und alles Anekdotische hinter sich gelassen. Seine Künstlerfreunde, und es waren durchaus nicht wenige, wussten, welchen Verlust der Tod des gerade einmal 37-Jährigen bedeutete. Er hinterließ ein Œuvre, das ungeachtet der Postkartenbeliebtheit so vieler seiner Motive nicht ausgeschöpft ist. Es reicht geradewegs bis in unsere Tage.

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