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Autobiografischer Comic „Schichten“: Mut zum Fehltritt

Die französische Comiczeichnerin Pénélope Bagieu versammelt in ihrem neuen Buch „Schichten“ kuriose und bewegende Erlebnisse aus ihrem Leben.

Von Birte Förster

Talente haben es oft an sich, dass sie sich erst mit der Zeit offenbaren. Manchmal liegen sie dann ganz woanders als ursprünglich gedacht. Als Kind bekam Pénélope Bagieu beim Skifahren einen Teddyanstecker als Trostpreis und beim Tanzen eine Sonderrolle, um nicht die ganze Aufführung zu sprengen.

Dass sie mit ihren sportlichen Fähigkeiten punkten konnte, lässt sich also nicht gerade behaupten. Aber genau das war ihr lange nicht bewusst. Selbstbewusst wähnte sie sich damals in dem Glauben, dass Sonderehrungen und -rollen mit ihrem außergewöhnlichen Talent zusammenhingen.

Welchen Einfluss diese Überzeugung auf ihr späteres Leben hatte und ihr den Mut gab, Dinge zu wagen, erzählt die Comiczeichnerin in ihrer autobiografischen Graphic Novel „Schichten“ (aus dem Französischen von Silv Bannenberg, Handlettering von Michael Hau, Reprodukt, 144 S., 24€).

Leben und Tod: Auch die Katze Rauchi aus, die fast 20 Jahre an der Seite der Autorin weilte, spielt in dem Buch eine Rolle.

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Es ist eigentlich doch ein Glück, dass für die 1982 geborene Französin („Unerschrocken“, „California Dreamin‘“, „Hexen hexen“) nichts aus einer Karriere als Profisportlerin geworden ist, sondern sie schließlich ihr wahres Talent in einem ganz anderen Bereich entdeckte: dem Comiczeichnen. In locker-leichten und humorvollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen kann sie die Leser:innen in ihrem neuen Comic somit an ihren Erinnerungen teilhaben lassen.

Mal sind es kurze Szenen, mal längere Sequenzen aus Kindheit, Jugend und ihrem Leben als Erwachsene. Chronologisch geht sie dabei nicht vor. Das schafft Dynamik und sorgt für eine kurzweilige Lektüre. Bagieu bringt kuriose und bewegende Erlebnisse aus allen Lebensphasen zusammen – darunter eben auch der ein oder andere Fehltritt.

Ein gescheiterter Flirtversuch

Der ist nicht immer sportlicher Natur, sondern manches Mal auch im Zwischenmenschlichen zu verorten. Stichwort gescheiterte Flirtversuche: In einer kurzen Episode ist sie als junge Frau zu sehen, die sich einem Mann tanzend annähert. Schließlich rocken sie gemeinsam über die Tanzfläche – bis sich Pénélope plötzlich in einem kurzen, geballten Monolog zu Falschaussagen in dem Liedtext äußert.

Nach der bis dahin non-verbalen Annäherung enttanzt sich der werte Herr daraufhin langsam wieder. Sie bleibt allein zurück, ihre Miene eine Mischung aus Verunsicherung und Peinlich-berührt-sein. In dieser wie auch in vielen anderen Szenen bringt Bagieu mit wenigen Strichen die Komik des Moments pointiert zum Vorschein.

Enttanzt: Eine Seite aus „Schichten“.

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Sie erzählt von ihrem Schulalltag, Freundschaften und den ersten Beziehungen. Es geht um peinliche Eroberungsversuche ihres Schwarms, das Brustwachstum und die damit verbundene Anerkennung in der Schule, ihre Rolle des ewigen Kindes in der Familie oder den Horror vor eiskalten Fliesen unter den Füßen.

Schwieriges Wiedersehen mit einer alten Freundin

Vergnüglich greift sie ihre Erinnerungen auf und lässt die Bilder, zum Teil mit wenigen Worten, für sich sprechen. Vor allem Mimik und Gestik der Figuren, reduziert und doch ausdrucksstark, vermitteln humorvoll, worum es geht. So schildert Bagieu auch das konfliktbehaftete Wiedersehen mit einer einst Vertrauten.

Die Ausgangssituation ist folgende: Ihre damals beste Freundin spannt ihr den Freund aus, es kommt zum Kontaktabbruch, die Freundschaft ist daraufhin beendet. Jahre später treffen sie in einem Copy Shop zufällig aufeinander, beide drucken dort gerade ihre Abschlussarbeiten aus.

Bagieu macht aus dieser schwierigen Situation ein großartiges Mienenspiel, authentisch und mitreißend komisch zugleich. Mit dem Rücken zueinander stehen die beiden Frauen an den Kopierern. An ihren Gesichtern lässt sich eine Mischung aus Geschäftig-tun-wollen, Stolz und Verlegenheit ablesen. Gleichzeitig beobachten sie sich heimlich aus dem Augenwinkel. Es folgt ein Happy End: Bagieu bricht schließlich das Schweigen und schlägt ihrer ehemaligen Freundin vor, einen Kaffee trinken zu gehen. Kurz darauf sitzen sie sich ausgiebig plaudernd im Café gegenüber.

Aber auch ernste Themen kommen in der Graphic Novel zur Sprache. In der „Wishbone-Geschichte“ schildert die Comiczeichnerin, wie sie und ihre Schwester früher beim Essen an einem Hähnchenknochen zogen und sich dabei etwas wünschten. Für diejenige, die ihn nicht zerbrach, sollte sich der Wunsch erfüllen.

Der Heranwachsenden kam dabei immer wieder eine Situation in den Sinn, die sie oft auf ihrem Schulweg in der Metro-Station erlebte. Im Gedränge auf dem Bahnsteig wurde sie wiederholt Opfer von sexueller Belästigung. Als Elfjährige wünschte sie sich daher, sich wie die Helden in den Videospielen dagegen zur Wehr zu setzen.

Die Bilder, in denen das junge Mädchen von großen, schattigen Gestalten umringt ist, lassen Gefühle der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins deutlich spürbar werden. Die diffusen, ineinander übergehenden grau-schwarzen Schatten ohne Konturen erzeugen eine beklemmende Atmosphäre und verdeutlichen zugleich, dass es in dem Gewusel nicht immer möglich ist, den Verursacher zu erkennen.    

Das Titelbild des besprochenen Bandes.

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Genauso wenig klammert sie bedrückende Erlebnisse wie den Verlust ihrer Großmutter sowie ihrer anhänglichen Katze Rauchi aus, die fast 20 Jahre an ihrer Seite weilte. Das Thema Tod vermittelt sie bei aller Trauer mit Leichtigkeit und einer Prise Humor.

Die Zeichnungen sind liebevoll und erfüllt von Zuneigung. Wenn etwa zu sehen ist, wie sich die Arme der verstorbenen Großmutter in jeglichen Lebenssituationen um den Kopf der Protagonistin legen und so deren Versprechen symbolisieren, dass diese immer da sein wird.

In „Schichten“ vermittelt Pénélope Bagieu unterhaltsam, wie sie an positiven und an negativen Erfahrungen gewachsen ist. Aus heutiger Perspektive blickt sie versöhnlich und wohlwollend auf ihr früheres Ich, auf ihre Fehler und ihren Mut. Das regt zum Nachahmen an.   

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