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Fast hundert Demonstranten versammelten sich vor dem State Capitol, um Gouverneur Ivey aufzufordern, die Hinrichtung zu stoppen. Vergeblich.

© dpa/Mickey Welsh

Mythos „humane Hinrichtungsmethode“: So bewerten Experten die Stickstoff-Exekution in den USA

Erstmals ist in den USA ein Mensch mit Stickstoff exekutiert worden. Der Staat Alabama sprach von der „vielleicht humansten Hinrichtungsmethode“. Menschenrechtsexperten widersprechen vehement.

Mindestens zwei Minuten lang schüttelte und krümmte sich Kenneth Eugene Smith. Sein Kopf bewegte sich heftig hin und her. Der 58-Jährige strampelte, zitterte und zuckte auf seiner Trage, nachdem der Stickstoff in seine Maske geströmt war. Rund fünf Minuten vor 20 Uhr nach Alabama-Zeit begann die Prozedur, um 20.25 Uhr erklärte man ihn für tot.

So schildern es US-amerikanische Medienvertreter, die in Atmore, Alabama anwesend waren, als am Donnerstag weltweit vermutlich erstmals ein Mensch mit Stickstoff hingerichtet wurde.

Smith war zum Tode verurteilt worden, nachdem er 1988 im Auftrag eines Pastors dessen Ehefrau ermordet hatte. Bereits 2022 sollte das Todesurteil vollstreckt werden. Damals gelang es den Gefängnismitarbeitern jedoch nicht, Smith eine Giftspritze zu verabreichen.

Immer wieder stehen die USA in der Kritik, weil dort in vielen Staaten noch die Todesstrafe angewandt wird. Dem Death Penalty Information Center zufolge ist sie in 27 Bundesstaaten gesetzlich möglich, wiewohl sie nicht mehr in allen verhängt wird. Doch auch die Regierung und das Militär halten an ihr fest. Damit geht das Land unter westlichen demokratischen Staaten einen Sonderweg.

Vermutlich die erste Stickstoff-Hinrichtung weltweit

Zuletzt hatten die USA Menschen stets mit Giftinjektionen hingerichtet. 24 Menschen starben 2023 durch diese Methode. Den erstmaligen Einsatz von Stickstoffgas bezeichnete der Bundesstaat Alabama in einem Gerichtsdokument als „vielleicht die humanste jemals entwickelte Hinrichtungsmethode“. Auch, weil Stickstoffgas manchmal zum Töten von Tieren verwendet werde. Aber kann eine Hinrichtungsmethode überhaupt human sein?

Bei der sogenannten Stickstoff-Hypoxie wird dem Gefangenen über eine Gesichtsmaske reiner Stickstoff zugeführt. Wie genau eine Stickstoffvergiftung im Regelfall ablaufen kann, erklärt der Spezialist Frank Wappler so: „Das Einatmen von Stickstoff löst zunächst Schwindel und Herzrasen aus. Dem folgt eine panikartige Hechelatmung. In der nächsten Phase kommt es zu Übelkeit und Erbrechen“, sagt der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am Klinikum der Universität Witten/Herdecke-Köln dem Tagesspiegel.

Nach einigen Minuten werde die Person ohnmächtig. Während dieser Ohnmacht sei es sehr wahrscheinlich, dass es zu Krämpfen und schließlich zum Atemstillstand kommt, woran die Person letztlich sterbe. „Schmerzen werden von Stickstoff selbst nicht verursacht, allerdings führt das Ersticken zu einer extremen Stresssituation, die naturgemäß als äußerst belastend empfunden wird“, sagt Wappler, der auch Mitglied des Erweiterten Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) ist.  

Joel Zivot, Professor für Anästhesiologie und Experte für tödliche Injektionen an der Emory University in Atlanta, wies allerdings zuletzt im „Guardian“ darauf hin, dass es den Begriff Stickstoff-Hypoxie in der Medizin gar nicht gebe. „Hypoxie bedeutet Sauerstoffmangel, also hat man das mit Stickstoff kombiniert und es so genannt. Medizinisch gesehen gibt es so etwas wie Stickstoffhypoxie gar nicht.“

Es gab noch nie irgendwelche Forschungen zu Stickstoff-Exekutionen - offensichtlich wäre eine solche Forschung unethisch.

Joel Zivot, Professor für Anästhesiologie, gegenüber dem Guardian

Der Begriff erwecke den falschen Eindruck, dass es sich um eine medizinisch anerkannte Methode handele. Doch das sei nicht der Fall. „Es gab noch nie irgendwelche Forschungen zu Stickstoff-Exekutionen - offensichtlich wäre eine solche Forschung unethisch“, sagte er dem Guardian.

Auch in der Tiermedizin werden Stickstoff-Exekutionen offenbar längst nicht mehr eingesetzt. Die Methode sei veraltet, auch bei US-Tierärzten, schrieb die Deutsche Apothekerzeitung am Donnerstag.

So hatte es denn auch bereits im Vorfeld massive Kritik daran gegeben, Kenneth Eugene Smith auf diese Weise hinzurichten. Und nach der Tötung des 58-Jährigen reißen die Missbilligungen nicht ab.

Der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk sagte am Freitag, die neuartige und unerprobte Methode des Erstickens durch Stickstoffgas könne womöglich „Folter oder einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen“. Ein EU-Sprecher erklärte, nach Einschätzung von Experten handele es sich um eine „besonders grausame“ Methode. Und das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen warnte davor, diese Hinrichtungspraxis nun zu akzeptieren und erneut anzuwenden.

Amnesty spricht von einem „Experiment“

Amnesty International teilt die Kritik. Den Tod durch Ersticken mit Gas schätzt die Menschenrechtsorganisation „als besonders grausame Hinrichtungsmethode ein“, sagte Sprecher Markus Berg dem Tagesspiegel. „Hier wird an einem Menschen ein Experiment durchgeführt.“

Der Staat Alabama habe keinerlei Informationen darüber geliefert, wie diese Prozedur ablaufen soll und was mögliche Fehler sein könnten. Berg verwies zudem auf die lange Geschichte misslungener Exekutionen in Alabama.

Hier wird an einem Menschen ein Experiment durchgeführt.

Markus Berg, Amnesty International

Hinrichtungen seien jedoch immer grausam, unabhängig von der Methode, so Berg. Deshalb lehnt Amnesty International die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe in allen Fällen ab und fordert die weltweite Abschaffung. „Die Hinrichtung ist eine unwiderrufliche Strafe: Das Risiko, einen Unschuldigen hinzurichten, kann nie ausgeschlossen werden“, sagt Berg.

Seit 1973 seien beispielsweise mehr als 191 Häftlinge, die in den USA in den Todestrakt geschickt wurden, später entlastet oder aufgrund ihrer Unschuld aus dem Todestrakt entlassen worden.

Experte: Probleme gab es bislang bei jeder Hinrichtungsmethode

Auch der Politikwissenschaftler Frédéric Krumbein lehnt die Todesstrafe grundsätzlich ab. „Ich halte keine Form des Hinrichtens für human, weil es bei allen bekannten und angewandten Hinrichtungsmethoden zu Problemen gekommen ist“, sagt der Experte für Menschenrechte dem Tagesspiegel. Probleme, weil der Tod entweder nicht sofort eingetreten und/oder mit starken Schmerzen verbunden gewesen sei.

Deshalb stellt die Hinrichtung mit Stickstoff für ihn „weder einen „Fortschritt“ noch einen besonderen Rückschritt dar“. Aber jede neue Form der Hinrichtung berge mehr Risiken für unerwartete Folgen, vor allem von qualvollen Schmerzen für den Hingerichteten, so Krumbein.

Zugleich weist der Experte darauf hin, dass in einigen Bundesstaaten der USA eine Mehrheit hinter der Anwendung der Todesstrafe steht. Grundsätzlich müsse beachtet werden, dass die USA sich durch ein viel härteres Strafsystem auszeichnen.

Es würden etwa deutlich mehr Personen zu längeren Haftstrafen verurteilt und auch die Haftbedingungen seien härter als in Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten. „Insofern ist die Todesstrafe vor allem Ausdruck eines anderen Strafverständnisses, welches im Allgemeinen (deutlich) härtere Strafen vorsieht“, konstatiert Krumbein.

Bis zuletzt hatten Smiths Anwälte versucht, die Hinrichtung zu verhindern. Doch weder die zuständigen Gerichte in Alabama noch der Oberste US-Gerichtshof stoppten die Vollstreckung der Todesstrafe.

„Dies war die fünfte Hinrichtung, der ich in Alabama beigewohnt habe, und ich habe noch nie eine so heftige Reaktion auf eine Hinrichtung gesehen“, sagte der Reporter Lee Hedgepeth der „New York Times“ zufolge.

Smith selbst erklärte zum Abschluss, Alabama habe die Menschheit an diesem Tag einen Schritt zurückgeworfen. „Ich gehe mit Liebe, Frieden und Licht. Danke, dass ihr mich unterstützt habt. Ich liebe euch alle“, zitiert die „Washington Post“ seine letzten Worte.

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