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Von der Hamas verschleppt. Weit mehr als 100 Menschen sollen die Islamisten nach Gaza entführt haben.

© dpa/Abed Rahim Khatib

„Brauchen mehr als Beileidsbekundungen“: Angehörige von entführten Deutsch-Israelis fordern Eingreifen von Deutschland

Familienangehörige erklären im Gespräch mit dem Tagesspiegel, warum die Hamas auf eine Forderung aus Deutschland eingehen müsse. Ansonsten seien die Chancen, die Geiseln „jemals wiederzusehen, sehr gering.“

Shaked Haran war als Einzige nicht dabei, als sich ihre Schwester Shoshan und deren Familie zur Feier in Beeri traf. Der landwirtschaftliche Kibbuz liegt nahe der Grenze zu Gaza und wurde am Samstag von Hamas-Terroristen überfallen. Diese wüteten dort, wie an kaum einem anderen Ort. Jeder Zehnte der 1200 Einwohner soll ermordet worden seien. Dutzende wurden verschleppt. Unter ihnen wohl auch Shakeds Familie.

Nun wendet sich Shaked an die deutsche Regierung und die Öffentlichkeit, denn vier der elf entführten Familienmitglieder haben eine deutsche Staatsangehörigkeit. Darunter ihre Schwester und deren drei Töchter, von denen die Jüngste erst fünf Jahre alt ist. Auch die Großelterngeneration und ein chronisch kranker Onkel und dessen Pflegekraft wurden entführt.

Die Familie Haran.

© Privat

„Fast die ganze Familie, drei Generationen, haben sich zum Feiertag zusammengefunden. Wir feierten Sukkot, was man mit dem Osterfest bei Christen vergleichen kann“, sagt Rachel Gur im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Sie lebt in Israel, stammt selbst aus der Region, ist eine Kollegin und Freundin von Shaked. Sie helfe ihr mit der Arbeit, da sie für sie „wie eine Schwester“ sei.

Gur berichtet, dass die Familie am Samstagmorgen zunächst Raketenalarm hörte, was in der Gemeinde so nah am Gazastreifen zunächst nichts Ungewöhnliches ist. Daraufhin begaben sie sich alle in den „Safe-Room“, einen Raum mit dicken Wänden und abschließbaren Türen, der in fast jedem Haus in dieser Region zum Schutz der Anwohner eingebaut ist.

Doch bald darauf hörten sie Schüsse und die Familienangehörigen berichteten über Whatsapp, dass Hamas-Terroristen ins Dorf eingedrungen waren, berichtet Gur. Deren Strategie sei es gewesen, die Häuser anzuzünden, um die Verschanzten zu zwingen, ihren Schutzraum zu verlassen: „Sie haben sie ganz einfach ausgeräuchert“, sagte Gur. Noch am selben Tag schickten ihr Überlebende Videos von dem völlig niedergebrannten Haus. Doch Leichen fanden sich dort keine.

Die letzte Nachricht der Familie auf Whatsapp lautete: „Sie sind jetzt im Haus. Wir lieben euch“. Über die Ortung des Handys konnte Shaked verfolgen, wie ihre Angehörigen dann über die Grenze zum Gazastreifen verschleppt wurden.

Dutzendfach riefen sie auf ihren Handys an, bis irgendwann ein Mann abhob und mit arabischem Akzent zwei Worte gesagt habe: Gaza und Gilad Shalit. Letzteres ist der Name eines Israelis, der vor Jahren von der Hamas in den Gaza-Streifen entführt wurde und für den Israel bereit war über 1000 palästinensische verurteilte Straftäter einzutauschen.

Seitdem hat Shaked die Gewissheit, dass ihre Familienangehörigen Geiseln der Hamas sind. Weitere Lebenszeichen gab es bisher nicht. Daraufhin kontaktierte sie die deutsche Botschaft. Am Mittwoch wurden sie dann vom deutschen Botschafter in Israel empfangen, der ihnen sein Mitleid aussprach und angab, das Land arbeite unter Hochdruck an einer Lösung.

„Wir brauchen mehr als Beileidsbekundungen“, sagt Gur. „Die deutsche Regierung muss von der Hamas fordern, ihre Staatsbürger freizulassen. Wir flehen darum, dass Deutschland sich einmischt.“ Die deutsche Öffentlichkeit müsse verstehen, dass die Hamas Deutsche in ihrer Gewalt hat und nicht bloß Israelis.

Es gibt Berichte über mindestens eine weitere Deutsche, die ebenfalls im Kibbutz Beeri von der Hamas entführt worden sein soll. Die 36-jährige Yarden Romann war zu Besuch bei ihren Schwiegereltern, als sie von Terroristen in ein Auto gezwungen wurde.

In dem Kibbutz gab es viele Anwohner mit einer deutschen Staatsbürgerschaft

Gur sagt, dass viele in dem Kibbuz eine deutsche Staatsbürgerschaft hätten, da er damals von deutschen Juden gegründet wurde, die vor dem Holocaust nach Israel fliehen konnten. Auch ihre eigene Mutter habe noch Deutsch gesprochen. Sie gehe daher davon aus, dass aus Beeri noch mehr Deutsche entführt wurden, auch wenn sie keine genauen Zahlen kenne.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte derweil, sie stehe „nonstop“ im Austausch mit Kollegen aus der Region und Akteuren, die „direkte Gesprächskanäle zur Hamas haben“. Man versuche im Hinblick auf die Geiseln alles, „aber mit einer Terrororganisation wie der Hamas ist das natürlich alles andere als einfach“.

Gur sagt hingegen, die Familie verlange von der deutschen Regierung, ihrerseits von der Hamas eine sofortige Freilassung aller Deutschen zu fordern: „Die Hamas wird darauf eingehen müssen, denn sie kann nicht riskieren, alle Unterstützung aus Europa zu verlieren.“

Eine andere Lösung sehe sie nicht. Die israelische Regierung sei angesichts der sich entwickelnden Militäroperation aktuell nicht in der Position, über Geiseln mit der Hamas zu verhandeln. „Wenn die deutsche Regierung nicht einschreitet, ist die Chance, unsere Angehörigen jemals wiederzusehen, sehr gering“, so Gur.

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