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Es gibt zu wenig Nachwuchs in den Lehramtsstudiengängen.

© imago/Caspar Benson

Update

Wege aus dem bundesweiten Lehrkräftemangel: Staatsvertrag soll die Länder unter Druck setzen

Deutschland droht ein sechsstelliges Pädagogendefizit. Die Kultusministerkonferenz will Reserven ausfindig machen. Die Berliner Linke möchte nicht mehr warten.

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Es ist inzwischen schon beinahe egal, wen man fragt: Der Lehrkräftemangel drängt sich bundesweit immer mehr in den Vordergrund - so desaströs sind die Statistiken, die allesamt auf den gleichen Befund hinauslaufen, dass kaum ein Bundesland seinen Bedarf decken kann.

Jetzt macht sich die Berliner Linksfraktion einen Vorstoß des ehemaligen Bildungs-Staatssekretärs Mark Rackles (SPD) zu eigen und forderte einen „Staatsvertrag zur Lehrkräftebildung“, auf den die Kultusministerkonferenz (KMK) hinarbeiten solle. Der entsprechende Parlamentsantrag wurde auch gleich beschlossen.

Somit liegt der Ball nicht nur bei der KMK, sondern ganz speziell bei Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), die ab Januar die KMK-Präsidentschaft innehat. Zwar hat sie sich als Hauptaufgabe vorgenommen, bundesweit die Ganztagsangebote an den Schulen zu verbessern. Aber es ist offenkundig, dass nicht der Ganztag, sondern der Personalmangel das größere von beiden Problemen ist.

Die KMK-Präsidentschaft Berlins ab Januar 2023 ist ein historisches Zeitfenster, um die Initiative für einen Staatsvertrag voranzubringen.

Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion

Die Präsidentschaft Berlins sei „ein historisches Zeitfenster“, um die Initiative für einen Staatsvertrag voranzubringen, lautete denn auch der Appell der linken Bildungsexpertin Franziska Brychcy. Alles in allem würden bis 2035 bundesweit zusätzlich 75.000 Lehrkräften gebraucht. Andere Schätzungen sind bei 26.000 (KMK) oder sogar bei 158.000 Lehrkräften. Die hohe Zahl stammt vom renommierten Forscher Klaus Klemm für den Verband Bildung und Erziehung.

Aber welcher Zahl soll man glauben? Dazu erläuterte der Kieler Erziehungswissenschaftler Olaf Köller auf Anfrage, die große Schwankungsbreite habe damit zu tun, dass „unterschiedliche Parameter berücksichtigt oder auch nicht berücksichtigt werden“. So rechne Klemm, der immer zu den hohen Zahlen komme, den Umstand mit ein, dass ab 2026 im Grundschulbereich ein Ganztagesbetreuungsanspruch gelten werde. Auch die Flüchtlingswellen kämen in seinen Berechnungen zum Tragen. Er glaube „eher den Zahlen von Klemm“, so Köller weiter. Das bedeute, dass bereits bis 2030/31 „eher 100.000 als 26.000 Lehrkräfte“ fehlen.

Besonders umfassend hatte sich seit seinem Rücktritt als Staatssekretär im Jahr 2019 Mark Rackles mit dem Thema Lehrkräftemangel befasst. Das Ergebnis bestand 2020 in seiner Forderung nach einem Staatsvertrag. Jetzt aber ist die Idee wieder auf der Tagesordnung.

Das hat nicht nur mit dem fortschreitenden Mangel zu tun, sondern auch damit, dass Rackles sich Unterstützung von der Linken geholt hat: Am Montag trat er bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) an die Öffentlichkeit. Sie forderten als Konsequenz aus der bedrohlichen Personalentwicklung nicht nur erneut einen Staatsvertrag. Vielmehr soll die KMK einen gewaltigen Schritt tun und von der Einstimmigkeit ihrer Beschlüsse abgehen.

158.000
Lehrkräfte könnten bis 2035 fehlen, ergab eine Studie.

Das allerdings wäre ein Bruch mit dem bisherigen Selbstverständnis: Wegen der föderal verfassten Bildungspolitik, die jedem einzelnen Bundesland weitgehende Autarkie in schulischen Fragen gibt, darf bisher kein einziges Bundesland durch Mehrheitsentscheidungen zu relevanten Maßnahmen gezwungen werden. Eine Folge dieser Autarkie ist, dass jedes Bundesland so viele oder so wenige Lehrkräfte auszubilden kann, wie es will. Das hatte schon in der siebziger Jahren zum eklatanten Lehrkräftemangel geführt, als die Babyboomer zur Schule gingen.

Zwar wollte am Dienstag die KMK zur Forderung von Rackles und Holter nicht Stellung nehmen. Aber hinter den Kulissen wird eifrig an der Frage gearbeitet, wie man die Probleme lösen könnte, ohne die Grundfesten der KMK zu erschüttern. So ruhen aktuell die Hoffnungen auf dem Kieler Bildungsforscher Olaf Köller.

Wir wollen den Ländern Hinweise geben, wie sie mehr Reserven ausschöpfen können.

Olaf Köller, Erziehungswissenschaftler

Köller leitet die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK, die ein Gutachten zur Bekämpfung des Mangels herausbringen soll. Zwar wird das umfangreiche Papier erst Ende 2023 vorliegen. Aber Köller teilte am Dienstag auf Anfrage mit, dass es bereits im Januar eine kürzere Stellungnahme zu „Maßnahmen zur kurz- und mittelfristigen Behebung des Lehrkräftemangels“ geben werde, „damit die Länder hier Hinweise bekommen, wie sie mehr Reserven ausschöpfen können“.

Hohe Studienabbrecherzahlen verstärken den Mangel weiter

Dass es Reserven gibt - davon ist auszugehen. So bleiben etwa noch viele Ressourcen ungenutzt, weil potentielle künftige Lehrkräfte entweder keinen Studienplatz bekommen oder aber das Studium abbrechen. Die vorgetragenen Gründe sind vielfältig und reichen von mangelnder Unterstützung durch Tutorien bis hin zu einem Mangel an Professorinnen und Professoren. Auch dieser Mangel ist zum Teil selbstgemacht, weil die Besetzungsverfahren rund drei Jahre dauern.

Eine weitere Stellschraube könnten die Studieninhalte sein. So beklagen Studierende, dass sie für das Lehramt Grundschule höhere Mathematik beherrschen müssten. Immer wieder berichten die Betroffenen von hohen Durchfallraten in den einschlägigen Klausuren.

Hinzu kommt aber ab 2025 noch ein weiteres Problem: Die Abiturientenzahlen sinken und damit die Zahl der potentiellen künftigen Lehramtsanwärter. Ein Sprecher der künftigen KMK-Präsidentin Busse Aus der Berliner Bildung sagte dazu am Dienstag, die Länder seien sich der Lage sehr bewusst „und stemmen sich gemeinsam dagegen“.

Die Kultusministerkonferenz habe das Thema in ihren zentralen politischen Vorhaben im Oktober 2020 „klar benannt“ und habe vor allem entsprechende Maßnahmen vereinbart. Klare Ziele seien also bereits definiert. Weiter hieß es: „Natürlich kann ein Staatsvertrag einen Beitrag leisten. Dafür brauchen wir aber Übereinstimmung bei allen 16 Ländern, dass das Instrument Staatsvertrag in dieser Frage den richtigen Weg darstellt.“

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