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Birgitta Lenz ist ehrenamtliche Flughafen-Seelsorgerin.

© Gerd Nowakowski

Lilafarbene Westen am BER: Wie Flughafenseelsorger helfen

Am Flughafen BER gibt es 30 ehrenamtliche Seelsorger. Die vielfältige Arbeit reicht von kleinen bis hin zu großen Hilfestellungen. Interessierte können einen Ausbildungskurs besuchen.

Es sind Geschichten von großer Verzweiflung und tröstender Zuwendung, die Birgitta Lenz erzählen kann. Viele Fälle von Not und Ratlosigkeit hat die 67-Jährige, die trotz ihrer grauen Haare jünger wirkt, in den vergangenen vier Jahren als ehrenamtliche Flughafen-Seelsorgerin erlebt.

„Wir kümmern uns so um die Menschen, wie es Jesus getan hat – wir schenken ihnen erstmal Liebe“, sagt die frühere Religionslehrerin, die mit ihrer lilafarbenen Weste und der Aufschrift „Flughafenseelsorge“ mitten im Gewusel der großen Eingangshalle steht. Sie ist seit 2019 im Team der rund 30 ehrenamtlichen Flughafen-Seelsorger:innen – anfangs noch am Flughafen Tegel, danach am BER, ehemals Schönefeld.

Ihre wachen Blicke schweifen durch die geschäftige Halle vor der Sicherheitskontrolle – die „Landseite“, wie Lenz sagt. Sie ist einmal in der Woche für etliche Stunden im Einsatz. Mit ihrem Ausweis hat sie auch freien Zugang zum Abflugbereich, der „Luftseite“. Schon vor dem Abflug ereignen sich manche Tragödien, wenn das Flugzeug verpasst wird oder ein Flug ausfällt. Einer Frau, deren Flug zum Wohnort der sterbenskranken Oma ausfiel, besorgte sie einen Ersatzflug. Es komme auch vor, dass sie zu spät eintreffenden Passagieren beschleunigt durch den Sicherheitscheck helfe und zum Gate begleitet.

Lenz hat einen Blick dafür, wer nur in normaler Hektik ist, wer orientierungslos und verloren herumsteht oder in seelischer Not ist. „Ich halte die Augen offen und schaue, wo ich helfen kann.“ Meistens sind es kleine Hilfestellungen, Wegweisungen oder auch eine Assistenz bei der Gepäck-Abgabe, bei der ältere Menschen zuweilen überfordert sind. Und was ist der seelsorgerische Anteil bei ihrem Tun? „Jesus war für die Menschen da, und wir sind für die Menschen da“, sagt Lenz schlicht. „Wir helfen einfach, ohne dass auf der Hilfestellung steht: Das kommt von der Kirche.“

Großeinsatz wegen Sudan

Aber immer wieder gibt es ganz besondere Einsätze, die die Seelsorger:innen fordern, sagt auch Norbert Moser, der seit über 12 Jahren dabei ist. Erst im April waren die Seelsorger:innen im Großeinsatz, als mehrere Bundeswehr-Maschinen viele Menschen aus dem Sudan evakuierten, die in Todesgefahr vor dem aufflammenden Bürgerkrieg flüchten mussten. Oft brauche es nur jemand zum Hand halten und zum gemeinsamen Schweigen, erzählt Moser.

Häufig bekommen die Seelsorger:innen von der Polizei oder Behörden Hinweise oder Informationen. Birgitta Lenz erinnert sich an einen ankommenden Fluggast, der in China zwei Jahre in Haft gesessen hatte und abgeschoben wurde, ohne Papiere, ohne Kleidung oder Kontakte. Für solche Fälle arbeiten die Seelsorger:innen mit der katholischen ​IN VIA-Flughafensozialarbeit zusammen, die auch Kleidung hätten.

Wir sind wie ein Rettungsring – den kann man ergreifen, muss es aber nicht.

Birgitta Lenz, ehrenamtliche Flughafen-Seelsorgerin

Wichtig sei es aber, zu spüren, ob Menschen überhaupt reden oder betreut werden wollten. „Wir sind wie ein Rettungsring – den kann man ergreifen, muss es aber nicht“, sagt Lenz: „Und man kann auch wieder loslassen.“ Dabei sei klar, dass manche Probleme von den Seelsorgern nicht zu lösen sind. Lenz erinnert sich an einen Flüchtling, der mit kaputter Brille und einzig einer Plastiktüte in Berlin strandete. Er hatte den Anschlussflug verpasst und weder Geld noch Pass und weigerte sich zudem, seine Botschaft zu kontaktieren. Dem habe man zwar Nahrung und eine Notunterkunft geben können, mehrfach scheiterte der Mann aber dabei, an Bord eines Flugzeugs zu gelangen.

Menschen von überallher

Birgitta Lenz betreute auch eine verzweifelte Mutter, deren mitreisende Tochter bei der Landung in Berlin wegen eines bestehenden Haftbefehls festgenommen wurde. „Du bist nie allein“, dies versuche man den Menschen in Not zu vermitteln. Woher die Menschen kommen oder woran sie glauben, spiele keine Rolle. Deshalb frage man weder, wie jemand heißt, noch lasse man sich Papiere zeigen.

Es gibt die vielen kleinen Hilfestellungen, die zum Alltag der Seelsorger:innen gehören. Es gibt aber immer auch Einsätze, „die habe ich mir zuvor nicht vorstellen können.“ So wie die Tröstung einer ganzen Familie, deren Flugzeug in Berlin notlandete, weil ein Familienmitglied während des Flugs verstarb. Oder der Fall einer alten Frau, die plötzlich von nirgendwo auftauchte, kein Deutsch sprach, und im Terminal ihr Lager aufschlug. Nach wenigen Tagen waren ihre Koffer gestohlen, und irgendwann waren auch ihre Papiere weg. Wochenlang habe sie im Gebäude campiert, musste zwischenzeitlich auch gegen Läuse behandelt werden – bis sie plötzlich wieder verschwand.

Die Flughafenseelsorger bekommen Supervision

Angesichts des erlebten Leids könne man auch an seine persönlichen Grenzen kommen – zuweilen auch darüber hinaus, sagt Norbert Moser. Da sei es gut, dass es eine Supervision gebe, bei der man alles erzählen könne, was einen bewegt. Oder auch über die inneren Zweifel sprechen, ob man alles richtig gemacht habe, fügt Birgitta Lenz hinzu.

Trotz aller Belastungen zweifelt sie nicht an ihren ehrenamtlichen Einsatz. „Das ist es“, habe sie 2019 gedacht, als sie kurz vor ihrer Pensionierung vom seelsorgerischen Dienst am Flughafen hörte. „Ich bin so glücklich“, sagt sie: „Das gibt mir so viel.“ Anders als zum Airport Tegel, zu dem sie je Strecke über eine Stunde benötigte, ist der BER-Standort für Lenz „ideal“, weil sie in der Nähe wohnt.

Die Ehrenamtlichen sind zwischen 30 und über 70 Jahre alt und kommen aus vielen Berufen; ein Pilot ist ebenso dabei wie ein Jurist oder, wie Norbert Moser, ein früherer Bank-Manager. Jede:r entscheidet selbst, wie oft und zu welchen Zeiten er kommt, erzählt Birgitta Lenz im Büro auf der Empore der Eingangshalle, nahe der für alle Menschen offenen „Raums der Stille“ und der Flughafen-Kapelle, in der regelmäßig auch Andachten stattfinden.

Verschwiegenheit ist Pflicht

Nicht nur bei Passagieren und Besucher:innen, um die sich die Ehrenamtlichen kümmern, gilt die seelsorgerische Verschwiegenheit. Schließlich kommen auch Mitarbeiter:innen von Fluglinien oder aus anderen Bereichen des Airports mit ihren Sorgen und Nöten zum Gespräch vorbei.

Träger der Flughafen-Seelsorge sind die katholische und evangelische Kirche; der katholische ​Diakon Norbert Verse und die evangelische Pfarrerin Sabine Röhm haben jeweils eine halbe hauptamtliche Stelle.

Anfang 2024 wird es wieder einen Ausbildungskurs für Ehrenamtliche in der Flughafenseelsorge geben. An insgesamt sieben Ausbildungswochenenden von Februar bis September geht es von den Grundlagen der Kommunikation über die Gesprächsführung bis hin zu einer Einführung in die Sicherheit und die Abläufe am Flughafen. Anschließend folgt eine Praktikumsphase an der Seite von erfahrenen Ehrenamtlichen.

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