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Hochhaus-Bauprojekt „Pionier“ von Zanderroth GmbH in Berlin

© Zanderroth GmbH

Architektur für sozialen Wohnungsbau: Dieser Wohnturm könnte an zehn Stellen in Berlin stehen

Über zehn Jahre – von 1985 bis 1995 – wurden in Berlin 320.000 Sozialwohnungen errichtet. Viele in Hochhäusern. Seither passierte wenig. Architekten wollen die Tradition beleben und suchen den Dialog.

Vor ein paar Wochen hatten sie ihren großen Auftritt, beim alljährlichen Kongress der Fachzeitschrift „bauwelt“ im Kino International: Sascha Zander und Christian Roth, die als Architekturbüro unter Zanderroth firmieren, zeigten vor voll besetztem Saal, wie katastrophal bergab es mit dem Sozialen Wohnungsbau in den vergangenen Jahren gegangen ist, aber auch, was man dagegen tun könnte.

Jetzt haben die Architekten und Stadtplaner ihre zwar erschreckenden, aber gleichwohl schön gestalteten Grafiken zu einer Ausstellung gemacht. In seiner Architektur Galerie Berlin hat ihnen Ulrich Müller die Rückwand für ihre wichtigste Grafik sowie eine lange Tischplatte auf Betonsockeln für ihren Lösungsvorschlag zur Verfügung gestellt.

1985 bis 1995 war die Hochphase, dann ging es bergab

Die Grafik bestürzt: Ein ansteigender Berg in Rot symbolisiert den Bestand an Sozialwohnungen in Berlin. Der erreichte zwischen 1985 und 1995 mit gleichbleibend über 320.000 seine Hochphase. Danach ging's buchstäblich bergab, binnen fünf Jahren um 70.000, seither in zwanzig Jahren um weitere 150.000.

Inzwischen erreicht die Zahl der Sozialwohnungen in Berlin nicht einmal mehr 100.000. In der gesamten Bundesrepublik – eine schwarz schraffierte Kurve dahinter – sieht der Verlauf ähnlich aus. Hier wurde schon um 1967 mit 3,7 Millionen ein enormer Bestand erreicht, der zwanzig Jahre bei gut vier Millionen seine absolute Höhe aufwies und danach ebenso schnell wie der Berliner Bestand dahinschmolz, auf derzeit nur mehr 1,1 Millionen Sozialwohnungen.

Dabei ist Berlin – und darauf konzentrieren sich Zanderroth – bekanntlich in einem, scheint's, unaufhörlichen Wachstumsprozess begriffen, an Einwohnern, vor allem aber an der Zahl der Haushalte, weil die Single-Haushalte anteilmäßig immer weiter zulegen. Der Schlüssel zur Lösung der Wohnungsfrage liegt in der Verfügung über Grund und Boden – und da verfügt das Land Berlin doch über knapp die Hälfte der rund 890 Quadratkilometer Berliner Bodens. Nun, ein Großteil sind Wälder und Seen, aber ein paar Quadratkilometer gelangen in den Verkauf, zuletzt waren es rund sieben je Jahrzehnt.

Berlin hat Tradition im Bau von Sozialwohnungen, wie hier im Märkischen Viertel im Bezirk Reinickendorf, das in den Jahren 1963 bis 1974 errichtet wurde.
Berlin hat Tradition im Bau von Sozialwohnungen, wie hier im Märkischen Viertel im Bezirk Reinickendorf, das in den Jahren 1963 bis 1974 errichtet wurde.

© imago/Schöning

Völlig unbeeinflusst davon haben sich die Bodenrichtwerte entwickelt – sie sind zuletzt in kürzester Zeit um das Zehnfache gestiegen. Das wirkt sich erheblich aufs Baugeschehen aus, und das ist nicht neu, sondern war schon immer bekannt: Die Verfügung über den Boden ist der Dreh- und Angelpunkt.

Eine Antwort mit 320 Wohnungen auf 21 Stockwerken

Nun haben sich Zanderroth ein Gebäude ausgedacht, einen Wohnturm mit 21 Geschossen und 320 Wohnungen, je zur Hälfte gefördert und frei finanziert. Mit anderen Worten: Querfinanzierung. So tragen die frei vermarkteten Wohnungen die gesamten Grundstückskosten, was die Sozialwohnungen langfristig bezahlbar macht.

Zanderroth haben das durchgerechnet und haben zehn Standorte in Berlin untersucht, wo der Turm stehen könnte, inklusive Stadtteilzentrum, Kita, Fahrradstellplätzen und Dachgarten, im Grunde so etwas wie eine quasi-autonome „Wohnmaschine“, wie sie die Avantgarde der 1920er Jahre gern im Munde führte.

Je Geschoss sind 16 Wohnungen unterzubringen, was bedeutet, dass die kleineren, jeweils 45 Quadratmeter messenden Ein- und Zweizimmerwohnungen einen langen Schlauch vom Gebäudekern zu den Außenseiten hin bilden, die doppelt großen Vierzimmerwohnungen aber notwendigerweise an den Gebäudeecken liegen. Je 120 Ein- und Zweizimmerwohnungen im Gesamtpaket von 320 Wohnungen spiegeln die gesellschaftliche Realität Berlins als einer Stadt überwiegend von Singles und Pärchen.

Die Herstellungskosten dieses mächtigen Bauwerks haben Zanderroth im April 2023 mit gut 100 Millionen Euro berechnet, was für die frei finanzierten Wohnungen einschließlich der Grundstückskosten auf 6900 Euro je Quadratmeter hinausliefe. Das wird in Berlin mittlerweile locker bezahlt.

Über die Finanzierung mögen sich die Experten beugen, über die Frage der Vermarktung von Wohnungen in einem derart dicht gepackten Bau die einschlägigen Makler. Nicht ohne Grund heißt der Entwurf „Pionier“, denn hier würde tatsächlich Neuland betreten. Aber dass Neuland betreten werden muss, um der Wohnungsnot im Berlin der 2020er Jahre beizukommen, müsste die Politik mittlerweile begriffen haben. Fehlt nur noch: entsprechendes Handeln. Argumente finden sich zur Genüge in den grafischen Darstellungen von Zanderroth.

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