zum Hauptinhalt
Carl Andre in seiner Ausstellung 1978 in der Londoner Whitechapel Gallery.

© Getty Images/Evening Standard/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Zum Tod des amerikanischen Bildhauers Carl Andre: Der Künstler, der Skulptur aufs Quadrat reduzierte

Mit 88 Jahren ist der US-Bildhauer Carl Andre in New York verstorben. Er brachte in den 1960er Jahren die Minimal Art aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland.

Von Bernhard Schulz

In New York fing alles an, aber in Düsseldorf begann die europäische Ausbreitung der Minimal Art. Da eröffnete 1967 Konrad Fischer seine Galerie in einer zum Ladenlokal hergerichteten Hofdurchfahrt. Es gibt die hübsche Anekdote, dass Werner Schmalenbach, der mächtige Gründungsdirektor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, eines Tages die Galerie irritiert verließ, weil er an den Wänden kein Kunstwerk sah. Die Stahlplatten, die die Bodenfläche von gerade drei mal elf Metern bedeckten, nahm er nicht als solches wahr.

Die Arbeit hieß „5 x 20 Altstadt Rectangles“ und wurde, gemeinsam mit ihren zahlreichen Varianten je nach Größe des zu belegenden Bodens, zum Markenzeichen der Kunst von Carl Andre. Dass man Kunst berühren oder gar betreten könne, war Anfang der 1960er Jahre, als sich Minimal- und Konzeptkunst gegen den schal gewordenen Abstrakten Expressionismus New Yorks formierten, noch unerhört.

Es steckt hinter dem Kunstwerk keine Idee. Die Idee ist im Kunstwerk selbst.

Carl Andre, Bildhauer

Andre, geboren 1935 in einer Kleinstadt in Massachusetts, griff ausschließlich zu Materialien, die keine Benutzung krumm nehmen, von besagten Stahlplatten bis zu roh behauenen Blöcken aus widerständigem Zedernholz, seinem weiteren Lieblingsmaterial, oder gleich zu Beton. Daraus formte er streng geordnete Installationen, die den bis dato auf ein Einzelobjekt bezogenen Begriff der Skulptur weiteten und „Skulptur als Ort“ erfassten, wie denn auch seine umfangreiche Retrospektive 2016 im Hamburger Bahnhof samt Rieckhallen überschrieben war.

Dort war auch eine Auswahl der vielen hundert Gedichte zu sehen und zu lesen, die Carl Andre nicht zuletzt während seiner mit Brotjobs zugebrachten Jahre, etwa als Bremser auf Güterzügen, verfasst hatte, und die eine ähnliche Grundstruktur aus Zufallsmaterial und serieller Ordnung aufweisen. Als Form-Erfinder sah er sich nie, pries vielmehr Brancusi als Vorbild, weil der schon alle Skulptur aufs Elementare reduziert habe.

300 Stahlplatten für den Neuköllner Körnerpark

Folgerichtig nannte er seine je nach Aufstellungsort in der Anzahl variablen, aber gleichförmigen Holzblöcke „Element Series“, die er reihen oder schichten konnte, und die immer neue Skulpturen „als Ort“ bildeten. Auch aus Blei oder Gasbeton mochten solche Blöcke bestehen und lagen mit einem Mal auf Plätzen und in Parks.

Insgesamt 300 quadratische Stahlplatten von einem Meter Kantenlänge verteilte er im Herbst 1984 auf Einladung des daad im Neuköllner Körnerpark, diesmal nicht in orthogonalem Raster, sondern scheinbar zufällig und doch einem, wenn auch nicht unmittelbar einsichtigen Grundmuster folgend.

Andres Lebensweg erfuhr einen tiefen Einschnitt, als seine Frau, die aus Kuba stammende Künstlerin Ana Mendieta, nicht lange nach der Hochzeit 1985 auf bis heute ungeklärte Weise zu Tode kam. Der Verdacht eines Gewaltverbrechens, wenngleich 1988 gerichtlich bereinigt, hing ihm seither an. In den USA bekam er lange keine Ausstellung mehr; erst die von der Dia Art Foundation organisierte Retrospektive, die 2016 in Berlin Station machte, lenkte den Blick wieder auf das Lebenswerk.

„Es steckt hinter dem Kunstwerk keine Idee,“ hat er einmal erklärt: „Die Idee ist im Kunstwerk selbst.“ Und sei es unter den Sohlen derer, die es betreten. – Am Mittwoch ist Carl Andre 88-jährig in seiner Wahlheimat New York gestorben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false