zum Hauptinhalt

Homepage: „Sehr komplex und ambivalent“

Politik-Professor Harald Fuhr von der Uni Potsdam über vertrackte Probleme in öffentlichen Verwaltungen, Bewältigungsstrategien, den Know-how-Export der Uni ins Ausland und die Lage in Afghanistan

Herr Fuhr, vertrackte Probleme in öffentlichen Verwaltungen, das klingt erst einmal etwas merkwürdig. Worum geht es?

Es geht um sehr komplexe und ambivalente Probleme, Dinge, die nicht einfach zu definieren sind, Probleme, die sich nicht auf einzelne, sondern gleich mehrere Behörden beziehen, bei denen Informationsbedarf existiert. Also zum Beispiel der Klimawandel oder die Energiewende. Sie erscheinen im ersten Moment einfach zu bewältigen, im zweiten oder dritten Schritt zeigt sich dann aber, dass sehr viele unterschiedliche Akteure in Lösungsstrategien einbezogen werden müssen. Das sind Probleme, die nicht einfach zu fassen sind. Wir fragen danach, wie die öffentlichen Verwaltungen damit umgehen.

Die Klimaforschung hat doch bereits Antworten zum Klimaschutz. Was ist daran nun vertrackt?

Das Problem ist, dass die gravierenderen Wirkungen des Klimawandels erst in 20 bis 30 Jahren offenbar werden. Aber wir müssen die Probleme jetzt angehen. Wir müssen heute Entscheidungen treffen, die die zukünftige Generation beeinflussen werden. Der gesellschaftliche Nutzen entsteht erst später. Das ist das Schwierige. Kurzfristig wird es einige Verlierer geben, wenn man etwa Kohlekraftwerke aufgibt und die Preise für fossile Rohstoffe hochsetzt. Die Sanktionen für eine bessere Zukunft betreffen also Akteure der Gegenwart. Das ist eine schwierige Gemengelage. Die kurzfristigen Kosten betreffen heute einzelne Gruppen der Gesellschaft, die sich aus nachvollziehbaren Gründen dagegen wehren.

Harald Fuhr (60) ist seit 1997 Professor für Internationale Politik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Einer seiner Schwerpunkte ist Governance in den Entwicklungsländern.

Das Abschalten der Kohlekraftwerke würde einen Teil der Grundlast der Stromversorgung wegnehmen – und Arbeitsplätze kosten.

Das sind beispielsweise die Punkte, die beachtet werden müssen. Andererseits werden dann im Bereich der erneuerbaren Energien und alternativer Produktionsformen neue Arbeitsplätze entstehen. Vor uns liegt eigentlich ein gigantisches Investitionsvolumen. Letztlich ist das aber nichts Neues: Solche Veränderungen gab es aber bereits viele Male seit dem Ende des 18. Jahrhunderts.

Aktuell beschäftigt die Verwaltungen bei uns auch die Aufnahme von Flüchtlingen.

Auch dies ist ein schwieriges Thema, da die Hintergründe mit der politischen Situation, derzeit zum Beispiel im Nahen Osten, zusammenhängen. Man müsste eigentlich an der Wurzel der Probleme arbeiten, das ist gegenwärtig aber sehr schwierig. Aktuell haben wir es mit der Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu tun. Das kann kurzfristig Probleme bereiten. Doch eigentlich haben wir es mit der Endstufe eines Problems zu tun, das die Heimatländer der Flüchtlinge selbst betrifft. Dort Strukturreformen durchzuführen, wäre eine wichtige Voraussetzung, um Probleme bei uns abzuschwächen.

Schwierig wird es, wenn sehr viele Akteure in Lösungen einbezogen sind. Das Debakel des BER-Flughafens scheint auf ähnlichem Boden gewachsen zu sein.

Wenn zu viele Akteure mit ihren eigenen Interessen auf den Plan treten, kann die Situation so komplex werden, dass sich Planungsverfahren in die Länge ziehen. Wenn dann noch Planungsfehler hinzukommen, können sich solche Projekte lange hinziehen. Und das erzeugt dann zusätzliche Kosten.

Welche Antworten haben Sie?

Unsere öffentlichen Verwaltungen sind zunehmend mit solchen komplexen Problemen befasst. Einfache Antworten gibt es nicht. Es geht im Wesentlichen darum, dass die Problemwahrnehmung geschärft wird, dass gesehen wird, wie die Herausforderungen beschaffen sind. Es geht darum, die Probleme in ihrer Breite zu erkennen, wie Akteure einbezogen werden können und welche Koordination mit anderen Behörden dafür notwendig ist. Dann ist eine gewisse Transparenz in der Lösungsstrategie erforderlich: zum Beispiel müssen Informationen von den beteiligten Behörden bereitgestellt werden und die möglichen Folgen bedacht werden. Wir können die komplexen Probleme nicht beseitigen. Aber wir können sie besser begreifbar machen und die Problemlösungen besser sequenzieren.

Schauen wir einmal in das vergangene Jahrhundert zurück: Weltwirtschaftskrise, Spanische Grippe, Weltkriege und Ölkrise – vertrackte Probleme gab es schon immer. Nichts Neues also?

Doch. Denn durch die Globalisierung ist noch einmal eine Stufe an Komplexität hinzugekommen. Es sind mehr Akteure mit einzubeziehen, auch international: Zum Beispiel blicken heute neben zivilgesellschaftlichen Akteuren auch eine ganze Reihe von Nichtregierungsorganisationen und die Medien mit auf die Lösungen. Die Medien schaffen eine schnellere Öffentlichkeit, sodass viele Seiten in die Lösung der Probleme mit einbezogen werden wollen. Die öffentliche Hand ist heute in einem sehr komplexen Netz von Akteuren, Meinungen, Positionen und Interessen verstrickt. Das muss erst einmal entwirrt werden. Hinzu kommt, dass in offenen Gesellschaften Probleme schneller auch auf die Nachbarländer übergreifen.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Die deutschen Verwaltungen stehen im internationalen Vergleich recht gut da. Das gilt eigentlich für die meisten Verwaltungen in Europa. Leistungsabfall und die Unfähigkeit zu Problemlösungen ist vor allem in den Nicht-OECD-Ländern zu beobachten, sei es in Asien, Afrika oder Lateinamerika. Mangelhafte staatliche Verwaltungen führen in einigen Ländern zu gravierenden Folgeproblemen.

Bei uns also kein Nachholbedarf?

Natürlich gibt es immer Raum für Optimierungen – denken Sie nur an den Fall des BER. Fehlleistungen und Fehlplanungen werden sich nie völlig ausschließen lassen. Aber man sollte in der Lage sein, aus den Fehlern zu lernen, um sie nicht zu wiederholen. In den meisten Industrieländern gibt es dazu gute Aufsichtsbehörden und freie Medien, die solche Fehler aufdecken und monieren. Auf Dauer kann sich kein Land permanente Fehlleistungen der Verwaltungen erlauben.

Sie selbst waren unlängst in Afghanistan. Wie sind die Verwaltungen dort aufgestellt?

Das ist das andere Extrem. Dort müssen öffentliche Verwaltungen immer noch aufgebaut werden. Wir unterstützen in Afghanistan derzeit zwei Vorhaben. Einerseits geht es um die Erarbeitung von Möglichkeiten zu einer Verwaltungsreform mit der neuen Regierung. Hier geht es um Entbürokratisierung, Entflechtung und klare Zuständigkeiten. Mehr Transparenz und weniger Korruption spielen ebenso eine große Rolle. Das andere Vorhaben bezieht sich auf die Hochschulentwicklung des Landes. Hier geht es konkret um die Errichtung verwaltungswissenschaftlicher Fakultäten an insgesamt fünf Hochschulen. Die zukünftigen Verwaltungsbeamten sollen dort unter anderem lernen, dass moderne Verwaltungen auch mit den Bürgen im Dialog stehen. Wir sprechen mit unseren Hochschulkollegen darüber, wie sich Verwaltungswissenschaften in Forschung und Lehre umsetzen lassen.

Gibt es bereits erste Erfolge?

Ich bin insgesamt optimistisch. Vor zwei Jahren gab es noch keinen Unterricht in dem neuen Fach Verwaltungswissenschaften, heute gibt es 2000 Studierende. Im nächsten Jahr werden die ersten Bachelors in die Verwaltungen kommen. Die junge Generation will nach vorne schauen, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahren, die sind hochgradig engagiert, wollen nicht mehr zurück in die Krisenzeiten. Das ist heute sehr viel deutlicher als noch vor zwei Jahren. In den vergangenen zehn Jahren hat Kabul trotz aller aktuellen Anschläge enorme Fortschritte gemacht. Aber man muss auch sehen, dass das Land noch nicht über den Berg ist. Die Situation könnte auch noch einmal kippen.

Hat die Universität Potsdam auf diesem Gebiet ein besonderes Know-how, das sich ins Ausland exportieren lässt?

Wir haben in Potsdam den Bereich der Verwaltungswissenschaften in den vergangenen zehn Jahren ausgebaut und sind da nun sehr stark aufgestellt. Unser Studiengang ist auch eng angelehnt an die Verwaltungspraxis, etwa in Brandenburg, aber auch deutschlandweit. Wenn es um Verwaltungsfragen geht, ist unsere Expertise sehr oft gefragt. Wir beraten Verwaltungen von der lokalen bis zur internationalen Ebene, von der Uckermark bis nach Ulan Bator. Das reicht von Finanz- und Personalmanagement über Gemeindegebietsreform bis zu Fragen internationaler Zusammenarbeit.

Haben Sie bereits ein Flugticket in ein weiteres Land?

Wir werden im Februar noch einmal nach Afghanistan fliegen, denn unser Vorhaben ist noch nicht beendet. Danach wird es eine Winterschule mit dem Indischen Institut für Öffentliche Verwaltung in Delhi geben. Wir streben an, dass unsere afghanischen Kollegen sowohl ihre Kollegen als auch die Verwaltungspraxis etwa in Indien oder der Türkei vor Ort besser kennenlernen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false