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Historiker Peter Lieb vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw).

© ZMSBw

Interview | Peter Lieb über die Schlacht um Berlin: „Nüchtern betrachtet totaler Irrsinn“

Der Historiker Peter Lieb vom Potsdamer Bundeswehrinstitut (ZMSBw) über  das Ende des Krieges vor 75 Jahren und sein neues Buch "Die Schlacht um Berlin und das Ende des dritten Reichs 1945".

Herr Lieb, Sie haben kürzlich ein Buch zur Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945 geschrieben. Was hat Sie dazu veranlasst? Literatur zu diesem Thema ist ja durchaus schon vorhanden.
Unser Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat vor zwei Jahren die Publikationsreihe „Kriege der Moderne“ ins Leben gerufen. In den einzelnen Schriften dieser Reihe widmen sich die Autoren in leicht zugänglicher Form verschiedener Schlachten und Kriege. Das richtet sich nicht nur an Fachhistoriker, sondern vor allem auch an interessierte Laien. Aus Anlass des 75. Jahrestages des Kriegsendes haben wir entschieden, eben auch zu diesem Thema ein Buch zu machen und es in dieser Reihe erscheinen zu lassen.   

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Konnten Sie dabei auch auf bislang unerschlossene Quellen zurückgreifen?

Man muss sagen, für die deutsche Seite ist die Quellenlage, was die militärischen Quellen angeht, relativ überschaubar, weil in den letzten Kriegstagen und Kriegswochen reines Chaos herrschte. Es wurden daher nur noch wenige Akten produziert. Die sowjetischen Akten wiederum sind in Russland zum größten Teil nach wie vor für uns verschlossen. Da kommen wir leider kaum heran.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte vor einigen Monaten angekündigt, Akten aus dem Zweiten Weltkrieg ins Internet zu stellen.

Welche Unterlagen das konkret betrifft, ist noch unklar. Aber es ist fraglich, ob da allzu große Erkenntnisse herauskommen werden. Putin hat das so propagandistisch angekündigt, dass man sich als Historiker fragt, ob er da wirklich Akteneinsicht gewährt, oder ob er nur gezielt einzelne Akten freigeben lässt.  

Ende April 1945 war für die Deutschen militärisch alles verloren. Und doch wurde in Berlin noch erbittert und verlustreich gekämpft. Warum? 

Nüchtern betrachtet war es zu dieser Zeit natürlich totaler Irrsinn, Berlin verteidigen zu wollen. Hitler hatte sich jedoch der Wahnvorstellung hingegeben, dass es immer noch zu einem Bruch der gegnerischen Koalition zwischen den kommunistischen Sowjets und den westalliierten Demokratien kommen könnte. Er hatte das Beispiel Friedrichs des Großen vor Augen...

...dessen Bildnis sogar über Hitlers Schreibtisch im „Führerbunker“ hing... 

...und der im Siebenjährigen Krieg ebenfalls mit dem Rücken zur Wand stand, sich aber durch einen glücklichen Umstand doch noch befreien konnte. Aber 1945 war es völlig illusorisch, dass das Bündnis der Sowjets mit den Westmächten brechen würde. 

Mehr als diese Idee, dass die Koalition zerbrechen könnte, hatte Hitler nicht mehr?

Also es ging natürlich schon auch darum, dass ihm im belagerten Berlin irgendwelche Truppen von außen zur Hilfe kommen müssten. 

Als eine Hoffnung für Hitler galt die 12. Armee, auch bekannt als Armee Wenck, benannt nach ihrem Befehlshaber Walther Wenck.

Diese Armee ist Anfang April 1945 an der Elbe aufgestellt worden zum Kampf gegen die Westmächte. Mitte April erhält sie dann den Befehl, sich hauptsächlich nach Osten gegen die Rote Armee zu wenden. Ende April gelangt sie in den Raum Belzig und kommt dort kurzzeitig sogar recht schnell Richtung Berlin voran. Die Spitzen erreichen Ferch. Am Abend des 29. April funkt Wenck  dann allerdings, der Angriff könne nicht weiter fortgeführt werden. Der sowjetische Widerstand war zu stark. Damit sieht Hitler seine letzte Hoffnung begraben und begeht tags darauf am 30. April Selbstmord. 

Welchen Nutzen hatte diese Operation der Armee Wenck dann überhaupt noch?

Die 12. Armee hat immerhin erreicht, dass Teile der Garnison Potsdam zu ihr dazustoßen konnten. Die Potsdamer Garnison hatte zu dieser Zeit ungefähr 20.000 Mann. Da sind die Volkssturmleute mit eingerechnet. Es war ein wild zusammengewürfelter Haufen, der es allein nicht mehr geschafft hätte, dem Machtbereich der Sowjets zu entkommen. Zudem konnte ein deutsches Lazarett in Beelitz-Heilstätten evakuiert werden. Die deutschen Truppen aus dem Kessel von Halbe konnten ebenfalls zur Armee Wenck durchstoßen. Man zog dann gemeinsam nach Tangermünde im Westen, wo sich viele in amerikanische Kriegsgefangenschaft begaben. Doch die Amerikaner nahmen nur einen Teil der Leute auf. Die anderen gerieten schließlich doch in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 

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